Nina Heick

ZWEI HERZEN


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getrennt. Die Trauung wird diskret behandelt. Keine Zuschauer, kein Strauß, den ich zu fangen versucht hätte. Würde mich nicht wundern, wenn alle weiblichen Gäste zu einer Verschleierung verpflichtet wären. Ich kann’s kaum erwarten – fetttriefender Fraß und Deboras Bumsneuigkeiten. Im Anschluss wird Sven auf mich warten und bis Sonntag bei mir bleiben. Nicht anders als sonst. Vorher Rasur- und Hautpeelstress, Anspannung wegen Schlafmangel, Einschränkung, Anpassung und Vorsicht und endlich Freude, sobald er im Eingang steht – die vertraute Umarmung, aus der ich mich nicht lösen will; unsere Lippen, die sich suchen und finden.

      Laylas Hochzeit und meine Erlösung

      Schon eine halbe Stunde vor offiziellem Beginn erreichten Debora und ich die Tragödie des Abends. Ich fühlte mich selten so fehl am Platz wie in dieser orientalischen Räumlichkeit – erfüllt von ohrenbetäubendem Türkisch-Pop. Meine Blicke wanderten von goldenen Pailletten über kitschige rosa-violette Wandbehänge, Plastikblumen, weihrauchgetränkte Silberkelche bis hin zu dicken Muddis und den dazugehörigen Töchtern – vollends verschleiert, in bunt glitzernden Trachtenkleidern aus Satin und Samt.

      Viel ist nicht zu berichten. Debora trug eine zweite Haut in Türkis, die weder Busenpracht in schwarzem Spitzen-BH noch üppige Speckrollen kaschierte. An ihrer Selbstdarstellung und ihren Erzählungen hatte sich nichts geändert. Ich überhörte und ignorierte. Hin und wieder lächelte ich, während ich beim Zusehen der bauchtanzenden Haremsdamen meine Flucht plante. Nach drei Stunden nahmen meine Ungeduld und Launigkeit überhand. Ich hatte Hunger.

      Endlich trafen Braut und Bräutigam ein und ergriffen mich tatsächlich für einen Augenblick lang. Debora stand das Wasser bereits in den Glubschern – beinah hätt’s auch mich erwischt.

      Layla sah angespannt aus, aber hübsch dabei in der weißen Pracht.

      Glückwunsch zur Ehe. Überreichen von Geschenken. Musik aufgedreht. Die füllige DJ-Lady schlackerte mit den Armen und ließ’n Kopp wackeln, das Publikum die Ärsche und Hüften.

      Um 22 Uhr roch es nach Futter. Der Duft von saftigem Fleisch machte mich unruhig. Da stand es nun, das gedeckte Buffet. Jungfräulich, unangetastet. Sabber im Mund. So sollte es leider bleiben – ich aß keinen Happen, denn schon um 22.30 Uhr holte mich mein Liebster ab. Länger hätte ich die Festlichkeit nicht ertragen.

      Erst nachdem ich meine Gier beim Inder in der Wandelhalle am Hauptbahnhof gestillt hatte, widmete ich Sven meine volle Aufmerksamkeit. In der Langen Reihe zu Cocktail und Baileys Latte macchiato konnte ich meine Finger schon nicht mehr von ihm lassen. Ich zog seinen Duft wie gutes Koks in meine Nase und muss total verstrahlt ausgesehen haben, verliebt wie ich ihn anhimmelte. Seine Komplimente besiegten alles zuvor Erlebte, nicht zu guter Letzt der Rosenstrauß, den er, vor meiner Haustür angekommen, aus dem Kofferraum zauberte. Endlich. Die ersten Blumen in fünf Monaten Beziehung. Fünf Rosen. Zwar keine roten, aber immerhin orangene. Die einzelne auf meinem Esstisch rechtfertigte ich, bevor er sie überhaupt sehen konnte. Reibungslos verlaufen.

      Eine unvergessliche Nacht, unvergesslicher Sex mit Happy End – im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Kopf zwischen meinen Beinen, seine Hände überall. Und ich kam. Laut, leidenschaftlich, lustvoll. Ein Triumph für ihn, dass die vorigen Fehlschläge nicht an ihm gelegen hatten; Erleichterung für mich, dass es mir endlich gelungen ist, loszulassen. Ich hoffe, dass dies der Anfang war – der Anfang vom Ende einer Vielzahl an Verletzungen aus vorigen Beziehungen, insbesondere der Schäden meiner letzten.

      Lieben, die sich nicht leben lassen

      In der Vergangenheit lernte ich, dass es Lieben gibt, die sich nicht leben lassen. Wie die mit meinem Ex Tim zum Beispiel. Eine Liebe, bei der man nicht mit und genauso wenig ohne den anderen existieren kann. Bei der man von vornherein weiß, dass es zwecklos ist, einen Versuch zu wagen, und es trotzdem tut. Bei der man liebt und zugleich hasst und schließlich daran zugrunde geht. Den Absprung schaffte ich erst im April dieses Jahres. Die endgültige, nicht erste Trennung erfolgte bereits im Januar. Keiner von uns vermochte es wirklich, aufzugeben. Zurück blieb nichts als Schmerz. Meine letzte Nachricht an Tim schrieb ich am vergangenen 13. Juni. Genau ein Jahr zuvor hatten wir uns kennengelernt. Das Fatale an der Sache – was mir erst im Nachhinein aufgefallen war – Sven und ich begegneten uns in dieser Nacht vom 12. auf den 13. Zwar haben wir den 12. zu unserem Datum ernannt, eigentlich aber brach ein neuer Tag an. Zufall? Ich weiß nur eines – Sven ist und gibt das, was ich mir gewünscht habe und was mir Tim niemals hätte bieten können. Sicherheit, Anerkennung, Loyalität. Dennoch bringt jede Bindung Probleme mit sich.

      Nachdem Tim aus meinem Leben und bevor Sven in mein Leben trat, gab es andere. Lückenfüller. Ich war nicht in der Lage, ernsthafte Partnerschaften einzugehen und emotionale Nähe aufzubauen. Mein Misstrauen war zu groß.

      Ich mochte Nele, weil sie jung war. Aber sie entsprach nicht meinem Beuteschema. Die Zielgruppe lag zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig. Nele war erst neunzehn und beeindruckte mich mit ihrer naiven Jugendlichkeit. Ich, zu dem Zeitpunkt dreiundzwanzig, hatte mir mit ihr nicht viel zu sagen. Zudem meinte ich, ich würde sie verderben, ihre heile Welt mit meinen Dreckserfahrungen verunreinigen. Wahrscheinlich habe ich sie unterschätzt, denn dumm war sie keinesfalls. Sie war ruhig und schlicht gestrickt, ein wenig gefühlsarm. Und sie wusste nichts über sich selbst. Sie tat gut, weil sie nichts erwartete. Weil sie mir nicht böse war, wenn ich Verabredungen ausfallen ließ. Sie hatte Verständnis dafür, wenn sie nicht bei mir schlafen durfte oder ich sie nach kurzer Zeit des Zusammenseins heimschickte. Jedenfalls akzeptierte sie es, ohne mir jemals Vorwürfe zu machen. Sie erlaubte mir, ich zu sein und mein komplexes Wesen im Raum stehen zu lassen. Wir konnten lange Arm in Arm daliegen und schweigen. Ich erinnere mich noch an jene Partynacht, in der wir in einer dunklen Ecke saßen und ich plötzlich zu weinen anfing. Mich bewegte wohl die Erkenntnis, dass sie mir gefiel, ich mich aber nicht in sie verliebte, da mein Herz noch immer für Tim schlug. Sie fragte nicht. Sie hielt mich einfach. Ich hatte mich im November letzten Jahres in ihr Lächeln verguckt. In einer Zeit, in der zwischen Tim und mir mal wieder Funkstille herrschte. Neles Lächeln erinnerte mich an das erste Mädchen, in das ich mich verknallte, als ich sechzehn Jahre alt war, mit dem niemals etwas gelaufen ist und dessen Erscheinungsbild ich in darauffolgenden Partnerschaften zu finden versuchte.

      Nele war es, die mich küsste und mir ein paar Schmetterlinge in den Bauch zauberte, bis ich erkannte, dass ich von ihr nicht mehr erwarten konnte, als einfach nur da zu sein. Das reichte mir nicht. Zumal mir Gespräche so wichtig sind. So erlosch mein Interesse und ich genoss die unbeschwerten Momente, in denen ich mich nicht verstellen musste.

      Sobald allerdings Tim ein Lebenszeichen von sich gab, ließ ich alles stehen und liegen.

      Irgendwann begannen mich Gewissensbisse zu zerfleischen. Ich fühlte mich verpflichtet, Nele einzuweihen und meine Sprunghaftigkeit zu erklären. Es dauerte, bis ich so weit war. Sie reagierte entspannt und gab zu, sich ihrer Gefühle selbst nicht im Klaren zu sein.

      Im März entschloss ich mich für eine Pause, die uns nicht mehr zusammenbrachte.

      Noch heute, wenn ich durch die Lange Reihe schlendere, denke ich an uns. Wie ich sie auf der Arbeit besuchte; wie sie mir an Nikolaus heimlich vier Schokokugeln in die Jackentasche schob; wie sie mich gackernd durchkitzelte, während ich um Erbarmen flehte, oder wie wir uns in der Kälte die rotblauen Hände wärmten. Dann frage ich mich, was sie wohl macht und wie es ihr geht. Vielleicht wären wir gute Kumpels geworden. Sie ist nicht die einzige Person, an die ich ständig erinnert werde. Jeden Tag beschäftigen mich Menschen, die mir einst begegnet sind und mich ein Stück meines Weges begleitet haben.

      Im Mai war es Ben, der bei den Grünanlagen im Schanzenpark meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Drei Wochen, die gut begannen, um sich kurz darauf in nichts aufzulösen.

      In den ersten Minuten unseres Gesprächs wurde ich bereits von meiner Intuition gewarnt, der ich zum Glück so schnell nicht nachgab. Er war randvoll mit MDMA und machte keinen Hehl daraus. Sein Verstand war klar und seine Ausstrahlung gab mir Grund dazu, die Gefahr, mich in die nächste Drogengeschichte zu begeben, fürs Erste zu verdrängen. Dass er glaubwürdig machte, das Zeug nur einmal genommen zu haben und es in diesem Sommer