Nina Heick

ZWEI HERZEN


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Unser erstes Date brachte skurrile Wahrheiten über Ben ans Tageslicht. Sie erschreckten und reizten mich zugleich. Er war Mormone, lebte noch bei seiner Exfreundin Marie, von der er sich erst kürzlich getrennt hatte, und war vernarrt in seinen Hund Basco – offenbar mehr als in alles andere. Der Köter war überall dabei. So süß und clever der Kleine auch dreinschaute, ich wurde seiner überdrüssig oder vielmehr Bens Besessenheit von diesem Tier. Es war das Gesprächsthema Nr. 1. Bens religiöse Neigung irritierte mich. Ich blieb auf der Hut und beobachtete ihn kritisch. Er war achtundzwanzig und Student auf Lehramt.

      Es mangelte ihm nicht an Intelligenz und ich bewunderte, wie viel er schon gesehen und erlebt hatte – auf Reisen und in unterschiedlichen Berufen. Wir trafen uns häufig und sprachen viele Stunden über alles, was mich interessierte oder auch an Themen neu für mich war. Mir gefielen seine Ansichten und Einstellungen, die den meinen ähnelten. Der erste Kuss war unbeholfen und passte nicht wirklich. Wir standen am Gleis – unentschlossen und nervös auf eine Reaktion des anderen wartend. Mehrere Züge brausten vorbei, ehe wir uns aus der Umarmung lösten und ich fortfuhr – betrunken vom Rausch der Aufregung.

      Ben scheute sich nicht, mir preiszugeben, wie sehr er an mich dachte, sich nach mir sehnte, und zu offenbaren, dass er sich verliebt hatte. Für ihn war ich bereits nach zwei Wochen die Frau, die eine perfekte Partnerin an seiner Seite abgeben würde. Die Art, wie er mich begehrte, meine Haut berührte, als sei sie aus zerbrechlichstem Glas, meinen nackten Körper betrachtete, als sähe er ein seltenes Ausstellungsstück im Museum, faszinierte mich einerseits und warf andererseits die Frage auf, wo sich der Haken befinde. Das ging so lange gut, bis er in die WG im Haus gegenüber seiner ehemaligen Butze zog. Mit diesem letzten Wochenende war es aus. Dass er den Kontakt zu Marie aufrechterhielt – angeblich des Hundes zuliebe – war sein Problem, das ich nicht zu meinem zu machen beabsichtigte. Ich hielt das Thema Exfreundin auf Distanz und betrachtete es mit kühler Nüchternheit, fing aber an, mich zu ärgern, als Ben mich gegen meinen Willen involvierte. Seine Egosuhlerei und die stolzen Berichte, Marie würde sich in Eifersuchtsszenen über mich auslassen und von mir abraten, wurden nervtötend und unausstehlich. Was unternahm er dagegen? Nichts. Warum erzählte er mir das? Die Krönung folgte. Ben und ich auf seinem Bett; sie kam von nebenan unangemeldet hereingestürmt. Es reichte offenbar nicht, mich als Nachbarsgast zu wissen. Sie musste sich der Konkurrenz stellen und zeigen, wer der Boss war. Aufgetakelt und mit der besten Freundin im Schlepptau begrüßte sie mich scheinheilig frohen Mutes. Während sie Basco streichelte und zu ihm sprach, er sei ihr Baby und keiner würde ihr dieses jemals nehmen, glaubte ich, in eine Irrenanstalt geraten zu sein. Die Situation war lächerlich und armseliger noch, dass Ben den Kinderkram mitspielte. Nachdem die Alte abgedampft war, stellte ich ihn zur Rede und gab zu verstehen, dass eine solche Konstellation nicht meiner Vorstellung entsprechen würde. Zum Schutz gegen Verletzung könnte dies meinen Rückzug bedeuten. Ben brachte weder Verständnis noch Mitgefühl auf. Alles, was er dazu zu sagen hatte – nichts halte ewig und für Treue gebe es keine Garantie – war weit ab von dem, was mir an Sensibilität vorschwebte. Fürs Vögeln hat’s in jener schlaflosen Nacht grad noch gereicht; zwei Tage später führten wir ein abschließendes Telefongespräch. Er fühle sich durch mich unter Druck gesetzt und könne keine Ängste von außen gebrauchen. Außerdem würde ich ihn an eine seiner Exen erinnern, die ihn einst zugrunde gerichtet und für die er sich maßlos aufgegeben hätte. Dem fügte ich nichts hinzu. Dass Ben nach knapp zwei Wochen Nichtmeldens per Mail den Ablauf des Ausklangs bedauerte und kundtat, sich zu Unrecht verurteilt zu fühlen, da er ja nichts falsch gemacht hätte – seine Gefühle ebenso schnell verschwunden seien, wie sie gekommen wären, wofür er ja nichts könne –, ließ mich kalt. Was ein feiger Bub ... Er war kein Verlust. SEIFENBLASEN Einen Augenblick lang: ein Meer aus Farben,ein Lächeln auf den Lippen,noch einmal Kind sein,Augen schließen, genießen, bevor sie zerplatzen.Einen Augenblick lang: Wehmut.Einen Augenblick lang: Sehnsucht.SEIFENBLASENEinen Augenblick lang: Träumen ergeben,leicht und unbeschwert,fasziniert und hingerissen,Atem still, Kammerflimmern, bevor sie zerplatzen.Einen Augenblick lang: Verlust.Einen Augenblick lang: Schmerz.SEIFENBLASENEin Szenario aus schillernden Murmeln,das Formen von Kugeln der Gegenwart,schweben und steigen empor,weisen den Weg der Zukunft.

      Und plötzlich war da Sven

      Und hier begann mein Glück. Ein One-Night-Stand, der eine ungeahnte Wendung nahm.

      Ich hatte mich für das Genießen meiner Freiheit entschieden und plante, Hemmungen abzulegen und mich auf puren Sex einzulassen. Keine Verpflichtungen, kein Stress.

      In einem kurzen Kleid, das beim Bücken die Sicht auf meinen prallen Arsch freigab, verabredete ich mich mit Mona auf dem Kiez. Ich schwebte arrogant und selbstbewusst durch die Straßen in Richtung Hamburger Berg und erwiderte das gierige Glotzen mit stolzem Lächeln. Unerreichbar, geheimnisvoll. Ich kam mir vor wie eine Edelhure, die skrupellos auswählen und wegwerfen kann, wie ihr beliebt. Im Pooca angekommen, forderten die elektronischen Bässe mich zum Tanz auf und ließen meinen Körper im Takt zappeln.

      Im Gedränge fiel mein Blick auf einen Jungen, der mir auf Anhieb gefiel. Ich behielt ihn im Auge und suchte seine Nähe. Meine Anwesenheit war ihm nicht entgangen und so gab ich mich zum Besten – die Hüften kreisend, die Möpse wippend. Mona durchschaute meine Absichten und sah sich anderweitig um. Ihr Gefallen galt einem blonden Mädchen, das offensichtlich zu der Clique meiner neuen Eroberung gehörte. Schweigend und schmunzelnd umhudelte ich meinen Schwarm, der mir irgendwie bekannt vorkam. Unsere Arme berührten sich zufällig, unbeabsichtigt wurden wir aneinandergedrückt. Die Menschenmasse gewährte wenig Spielraum, mein Herz hüpfte. Wir verhielten uns wie Kinder, die verunsichert zu Boden blickten und in Scham versanken. Mein Pegel verhüllte mich in einen angenehmen Trancezustand und setzte intimste Bedürfnisse und Phantasien frei. Ich wurde schüchtern und passiv – eingelullt von der Vorstellung, wie seine Küsse wohl schmecken würden, wie seine Lippen mit der Narbe darüber meinen Hals liebkosten. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er mich an sich zog und ich seine schlanke Taille umfasste – mein Kopf auf seiner Schulter ruhend. Er roch gut. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und betrachtete es. Lange Wimpern. Große Augen, deren Farbe ich noch nicht bestimmen konnte. Hell waren sie. Und hübsch. Eine etwas schiefe, unperfekte Nase. Die Narbe über der Oberlippe ließ mich eine Hasenscharte vermuten. Ich erkannte dieses Gesicht. Das Haar dunkelblond, kurz und lockig. Er war groß, aber nicht zu groß, sodass ich mühelos zu ihm aufschauen konnte. Mein Körper schmiegte sich perfekt an seinen. Ich ertastete die Muskeln durch das T-Shirt – definiert und trotzdem zart. Kräftige Ober- und Unterarme – männlich und sexy. Sein Mund öffnete den meinen, unsere Zungen verschlangen sich innig.

      Er stellte sich mir vor. Sven, in Begleitung von einem Freund namens Nick aus Amerika, seinem Bruder Felix und dessen Freundin Kati, von der Mona so angetan war. Dann nahm er mich an die Hand und zog mich nach draußen. Erst im Licht fiel mir auf, wie jung er eigentlich war. Dreiundzwanzig – in meinem Alter. Er studiere Sportwissenschaft in Bremen und sei jedes Wochenende in Hamburg bei seinem Bruder. Ich fragte ihn, auf welche Schule er gegangen war, und es stellte sich heraus, dass wir einst die gleiche besucht hatten. Daher erinnerte ich mich also. Ich war froh, dass er mich nicht zuordnen konnte. Seither hatte ich mich um hundertachtzig Grad gedreht. Schlanker, sportlicher und weg vom düsteren Gruftlook. Sven fragte mich, wohin es noch gehe in dieser Nacht und ob er sich mir oder seinen Freunden anschließen solle. Das hänge von Mona ab, antwortete ich. Sie stand ein wenig verloren in der Ecke, als Sven und ich auf sie zukamen. Ich nahm sie zu mir und bemerkte ihre Enttäuschung. Nicht meinet-, sondern Katis wegen. Sie hatten wohl die Telefonnummern getauscht, was Mona Grund zur Annahme gegeben hatte, Kati könne sich ernsthaft für sie interessieren. Nur leider stellte sich heraus, dass Felix und sie ein Paar waren. Was Mona brauchte: Ablenkung finden in der Wunderbar. Aus Fairness begleiteten wir sie. Vorher gingen wir aber noch schnell auf einen Drink zum Spanier. Zufrieden und volltrunken genossen wir Mojito, Caipi und lauwarme Sommerluft – ich auf Svennis Schoß. Ein alter Mann beäugte uns, das scheinbare Liebespärchen, und fand, ich sei verliebt. Ich lachte erst ihm, dann Sven zu und trällerte: „Ja, jetzt, für heute gefällst du mir!“

      Die Wunderbar war nicht optimal für einen Heterojungen. In erster Linie wurden wir von Schwulen umworben. Während Mona mit einem Bekannten