Nina Heick

ZWEI HERZEN


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Septembernacht, die meine Impulsivität entlarvte. Im Keller bei Housebeats und klatschnassem Jungvolk wurde meine Handtasche geklaut. Ich riss den ganzen Laden auseinander und blökte jeden an, den ich verdächtigte. Wie von einer Tarantel gestochen, flitzte ich krakeelend durch den Laden – hartnäckig nach meinem Hab und Gut suchend. Fundlos und außer Kontrolle sauste ich nach draußen und schlug erzürnt gegen Mauern und Glasflaschen. Sven folgte schweigsam, entsetzt wohl auch, und griff zum Telefon. Polizeianruf und sperren meiner Kontokarte. Fuchsteufelswild und plärrend ließ ich ihn am Straßenrand stehen und lief zurück in Richtung Club und hinein in den düsteren Schanzenpark – von einem Farbigen begleitet, der zu wissen glaubte, wo sich meine Tasche befand. Ich setzte mich der Gefahr aus, entschlossen, jedem, der mir dumm kommen würde, die Fresse zu polieren. Da lag sie, mein Goldstück. Verwahrlost im Gras neben der rostigen Kinderrutsche. Ohne Geld, ohne Kippen, ohne Handy. Alles Flehen um Rückgabe meiner Wertsachen vergebens. Zu spät fiel mir ein, dass der Schwatte höchstwahrscheinlich in die Sache verwickelt war. Er hatte mich zuvor beim Tanz um eine Fluppe gebeten, während möglicherweise einer seiner Kollegen unbemerkt meinen Kram nehmen konnte. Reich an Triumph kehrte ich zu meinem Manne zurück, der blass und halbtot zu sein schien vor Schiss und Erschütterung. Was er nicht alles erduldete ...

      Beziehung ist Arbeit

      Mein erstes Wochenende in Bremen. Svennis kleine Ein-Zimmer-Bude erinnerte mich an meine erste Dreißig-Quadratmeter-Butze, sodass ich mich sofort beheimatet fühlte. Ich wurde bekocht, verwöhnt, massiert und lieb gehabt. Sein Einrichtungsstil entsprach meinem Gusto. Perfekt! Der Junge hat Geschmack.Eine Woche darauf wurde meine Treue auf die Probe gestellt. Ich war mit meiner Arbeitskollegin Sophie feiern. Wir lernten zwei Kerle kennen, ließen uns großzügig einladen, begehren und zum Tanzen auffordern. Einer von ihnen – der Besseraussehende – legte sich wirklich köstlich ins Zeug, um bei mir zu punkten. Während Sophie trotz Beziehungsstatus schwach wurde, drückte ich meinen Gigolo beim verführerischen Versuch, mich zu küssen, mit den Worten „Danke, war nett mit dir, aber ich bin glücklich vergeben“ weg und war heilfroh darum, als ich meinen Liebsten am Folgetag freudvoll besprang und wir gemeinsam mit Felix und Kati das Reeperbahnfestival, inklusive Frittenbude in concert, unsicher machten.Dank Klimawandel brach Anfang Oktober zu guter Letzt noch einmal der Sommer ein, sodass wir uns freizügig der Sonne stellen und Energie tanken konnten. Wir genossen Hamburgs Tropenhitze im Schanzenpark und bei Svens Eltern im Garten zu gegrillten Würstchen und krossen Steaks. Unterm Tisch wartete Lilly, die schnuckelige, fast blinde Hündin darauf, dass ein Stück Fleisch in ihr bald zahnloses Maul fiel. Das Haus in Othmarschen war mit afrikanischen Skulpturen und anderen Souvenirs geschmückt, die Frau und Herr Schumacher von ihren Reisen mitgebracht hatten. Ich steh auf Multikulti. Zügig wurde ich in die Familie integriert und empfinde mich bereits zugehörig und jeder Zeit willkommen. Insbesondere bewegt mich die herzliche Aufgeschlossenheit und Gutmütigkeit des Vaters. Er strahlt eine Wärme aus, die mir nur von meinem leiblichen Papa her bekannt ist und von der ich als Kind wenig hatte. Die Erinnerung stirbt nicht. Es tut gut, nach strenger Erziehung und schlechtem Verhältnis zum männlichen Adoptivelternteil zu erfahren, dass es auch liebevolle Väter und beständige Familien gibt. Sven erzählte, dass Holger (wir waren rasch beim Du angelangt) sich zu seinen drei Söhnen noch ein Mädchen gewünscht hätte. Hier bin ich! – das vierte Glied der Kette, seine Schwiegertochter. Aber auch Astrid fehlt es nicht an Güte. Ihre Umarmungen wirken ehrlich, das Interesse echt. Sie ist aufmerksam, wenn sie mir glutenfreie Nudeln besorgt und uns selbstgemachte Eintöpfe mitgibt. Wie Mütter eben sind und sein müssen – fürsorglich und voller Hingabe. Sie und meine Ma kommen herrlich miteinander aus. Wobei ich schade finde, dass sich Susi stets vor den Treffen mit Astrid und Holger scheut, weil sie meint, als alleinstehende Frau mit bescheidenem Singlehaushalt passe sie nicht in die wohlhabende Runde. Zwar verfügen die Schumachers über anständig selbst erkämpfte finanzielle Mittel, die ihnen einen gewissen Luxus ermöglichen – ebenso wie Sven, der sich für Markenklamotten und Rennwagen entzückt, was mir jedoch null imponiert –, dennoch prassen sie die Kohle nicht zum Fenster raus und halten sich bedeckt. Sympathisch. Nachdem beide nicht mehr arbeiten müssen, genießen sie nun ihre Freiheit, indem sie das tun, wonach ihnen der Sinn steht. Töpfern, lesen, die Welt entdecken. Respekt! Zu Zeiten, in denen Susi, Klaas und ich noch eine Gemeinschaft waren, fehlte es auch uns nicht an Reichtum. Dies brachte mich damals oft in Verlegenheit, wenn ich Freundinnen einlud. Ich fürchtete, mir Feinde zu schaffen, weil ich um das Wohnen im Bauernhaus mit drei Hunden und den Besitz von Porsche, Harley, Mitsubishi Geländewagen und Mercedes Kombi beneidet wurde. Darüber hinaus fuhren wir regelmäßig zum Skilaufen nach Österreich und flogen nach Mallorca in unser Haus in Sollér, gelegentlich sogar für einen Kurztrip am Wochenende. Ich nahm Reitunterricht und Tanzstunden, was mich jedoch nicht dazu veranlasste, mit meinen unzähligen Möglichkeiten zu prahlen. Im Gegenteil. Ich grenzte mich von der Designermode aus unserem Umfeld ab und kleidete mich in zerrissene Hippiegarderobe – allerdings zu meinem Nachteil. Ich wurde nur noch unbeliebter und lernte, mich mit Händen und Füßen gegen die von hinterhältigen Gören aufgehetzten Bengel zu wehren. Ebenso Sven, der wegen seiner optischen Andersartigkeit und der vielen Operationen Mobbing ausgesetzt war, weshalb er heute keine Zurückhaltung im Lästern und Machogebaren kennt. Nur unter uns zeigt er seinen weichen Kern und die verletzliche Seite, die ich wertschätze und achte, wobei er es manchmal auch übertreibt. In Verwunderung und Rührung fragte er mal, warum ich mich nicht an seinem äußeren Makel störe. Weil es ihn besonders mache und ich ihn lieben würde, gab ich zur Antwort. In der Liebe seien gewisse Dinge unsichtbar, nicht von Bedeutung. Er verstand nicht. Ehemaligen Freundinnen war es unangenehm, sogar peinlich gewesen. Solch Oberflächlichkeit ist für mich unbegreiflich. Natürlich war mir sein Erscheinungsbild anfangs etwas ungewohnt, aber vielmehr, als dass ich das Sonderbare in dem unüblichen Gesicht vernahm, interessierte mich sein Schicksal und das Erkunden des Erlebten und Empfundenen. Ich zögerte keine Sekunde, ihn meinen Freunden vorzustellen. Ganz abgesehen davon, dass diese – so durchgeknallt sie auch sind – die Gabe besitzen, Menschen nach dem Wesen zu beurteilen. Ich halte Svens mangelndes Selbstbewusstsein für völlig unbegründet. Er ist ein hübscher Kerl, den ich siegessicher an meiner Seite präsentiere. Nicht zuletzt hinsichtlich seines Humors und vorbildlichen Charakters. Nie ließ er mich an der langen Leine laufen oder Anerkennung einfordern. Ich musste mich nicht beweisen oder gar blond sein wie meine Vorgängerinnen, um Zuwendung ringen, auf Bestätigung warten oder Loyalität erbetteln. Überdies brauche ich mich nicht für meinen Dauerschnupfen und die chronischen Bauchschmerzen zu rechtfertigen. Niesen tun wir beide wie bescheuert und auch das zweite Leid ist ihm nicht erspart geblieben – er verträgt keine Milch und ich bin praktisch gegen alles allergisch. Wenn wir zusammen sind, bin ich. Darf Mensch sein und Schwächen zeigen. Er ebenso. Seine Hypersensibilität erkläre ich mir mit dem Verpassen des Lernens, sich auszutauschen. Sind Gefühle in Svens Familie ein Tabuthema? Das Verhältnis zu seinen Eltern ist weitaus unherzlicher als das zwischen meiner Mutter und mir. Astrids und Holgers Arme lösen sich sogar schwerer aus meinen als aus seinen. Mag sein, dass so was nicht zum coolen Männerimage passt. Aber auch Kerle haben Bedürfnisse nach Geborgenheit, einem Zuhörer und einer Schulter zum Anlehnen. Was ist schiefgelaufen, dass der Junge so einen Nachholbedarf hat? Und warum steht er unter diesem enormen Leistungsdruck zu funktionieren? Wenn er versagt, herrscht dann Liebesentzug? Oder ist er nichts als Dürre gewohnt, die ich mit Liebesregen zum Blühen bringe ... Es mag unglaublich klingen, wenn ich erzähle, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch nicht von dannen flattern, sich stattdessen vermehren, wir vom Heiraten schmachten, uns um die Vergabe des Nachnamens streiten und von einer Zukunft mit Kindern träumen. Sven gab den Wunsch preis, in Kürze Wohnung und Alltag mit mir zu teilen, welchen ich noch bekriege. Aber er wird vermutlich gewinnen, sobald die übrigen Mauersteine gefallen sind. Wir bewegen uns in die richtige Richtung, in der sich Kompromisse treffen. In der ich einen Teil meiner Freiheit entbehre, die Telefonscheu ablege, einmal am Wochenende auf Fitness verzichte (in Bremen sowieso unmöglich), hinnehme, dass wir gemeinsam über meine Verhältnisse fressen und Diät die Folge ist, akzeptiere und erlaube, dass ausgeschlafen, mal daheim geblieben und entspannt werden darf. Im Gegenzug dazu muss Honey Wohlwollen zeigen, was nicht immer reibungslos verläuft. Wenn ich mit ihm feiern möchte, ist beinah immer irgendwas. Rückenschmerz, Fußweh, Kopfgehämmer, Müdigkeit. Wenn er verpennt und ich die Zeit sinnvoll in Sport investieren will, setzt er den Schlechtes-Gewissen-Dackelblick