Nina Heick

ZWEI HERZEN


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Es mangelt an der Portion Festigung unseres Vertrauens. Nachdem Sven in meiner Abwesenheit Bilder von ehemaligen Liebhabern ausspioniert hatte, formatierte ich meinen Rechner um alle Daten, die ihn nichts angingen. Ehe wir über Zusammenleben nachdenken, sollten solche Kontrollaktionen abgeschafft werden. Ich möchte mich nicht mit Versteckmethoden von Tagebüchern und Fotos plagen müssen, ebenso wenig wie mit Eifersuchtsszenen wegen neuer Bekanntschaften, Facebookpinnwandposts oder Gruppentreffen. Ich weiß um seine Exfreundin, die bei ihm gewohnt und ihn nach Strich und Faden betrogen hat, aber das allein reicht nicht als Entschuldigung. Seine Filme, die er schiebt, bringen mich zur Weißglut. Ich lasse mir nicht unterstellen, mich eines Tages beim professionellen Aktshooting mit dem Fotomodell zu befummeln, und kann keine Rücksicht auf seine Missbilligung nehmen, eventuell meine Geschichte in Buchform zu veröffentlichen. Ich erinnere mich gut an eine sinnlose Katastrophe – ausgelöst durch das Wagnis im Pooca, einen jungen Burschen an meiner Fluppe ziehen zu lassen, oder in einer anderen Situation ähnlicher Gedankenlosigkeit in eine am Bahnhof herumliegende Chipstüte gegriffen und deren Inhalt geleert zu haben. Sven brauchte ein Universum, bis er sich endlich eingekriegt hatte und wieder in der Lage war, eine Kommunikation herzustellen, die tief reichte. Zwar sah ich ein, dass ich mich in meiner naiven Offenheit zum eigenen Schutz zurücknehmen sollte, konnte allerdings nicht entschlüsseln, weshalb mein Fehlverhalten solch einen Skandal anrichtete und derart heftiges Gerangel verursachte. Seine Beklommenheit war berechtigt, aber wozu die Tragik? Freischnauze bekommt mir besser. Anscheinend leben wir das Motto Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?. Eine Beziehung ist Arbeit, Arbeit, Arbeit! Gut funktionieren tut allerdings sein Begreifen, was meine Dauerpleite betrifft. Kauf ich den Kühlschrank voll, so geht die Rechnung bei nächster Gelegenheit auf ihn. Er ist großzügig. Nichts ist schlimmer als Geiz. Zwar habe ich eine Hemmschwelle, jede Einladung anzunehmen, bin aber trotzdem dankbar, wenn es mir doch gelingt, ohne mir dabei schäbig vorzukommen. Überdies schwächt seine Duldsamkeit, sobald ich nach Völlerei meine, mich über die Kloschüssel hängen zu müssen, oder von anderen Spinnereien erfasst werde, nicht ab. Er tätschelt meinen Kopf so lange, bis ich mich beruhige und meine Sorgen vergesse. Die Abschiede werden unerträglich. Kopfkissenrotzerei, das aussichtslose Einschlafen allein, das Vergraben im parfümierten Sweatshirt des anderen. Dass Sehnsucht so abscheulich biestig sein kann, übertraf auch meine Vorstellungskraft. Aktion schafft Ablenkung und seine Nachricht Trost. „Du bist so süß wie Zucker, du riechst so herrlich wie das Meer, du bist hübscher als jeder Regenbogen dieser Welt und in meinem Bauch fliegst du schneller als alle Schmetterlinge zusammen. Du bist die beste, schönste und einfühlsamste Freundin, die ich mir vorstellen kann. Du bist alles, was ich in meinem Leben brauche, um glücklich zu sein. Ich liebe dich mehr, als es Worte beschreiben könnten. Dein Zukünftiger.“

      Berufsperspektive

      Drei Fotografen habe ich inzwischen besucht. Zwei davon, Jürgen Weber und Peter Vogel, waren von meinen Arbeiten begeistert und eröffneten mir die Option, kommendes Jahr einen Praktikumsplatz an mich zu vergeben. Ich würde einiges in den Bereichen Still Life und People lernen. Der letzte, Alexander Falke, hinterließ keinen besonders interessierten Eindruck. Er wirkte zweifelhaft in seiner vagen Idee, mich im Dezember und Januar einzusetzen. Ich gestehe, mich bereits beim Zusehen seiner Skulpturaufnahmen gelangweilt und Aufgeschlossenheit vorgetäuscht zu haben. Zeitvertreib und Hoffen auf Knüpfen hilfreicher Kontakte – that’s it!

      Auch Max Auerbach kam mir wieder in den Sinn. Jede Möglichkeit ausschöpfen. Ich überwand mein angekratztes Ego und griff zum Hörer, um ihm mitzuteilen, dass er seit unserem letzten Gespräch Recht behalten habe. Das ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass ich um jeden Preis Fotografin werden wolle und mir wünsche, die ersehnte Ausbildung im Fotostudio Kaiser ermöglicht zu bekommen.

      „Aber das ist nichts für dich. Ich weiß, wovon ich spreche.“

      „Und wenn schon ... Ich lerne was. Ich brauche einen Lehrer. Meine Faulheit lässt mich nicht eigeninitiativ werden. Ich bin nicht jemand, der sich Wissen in Büchern erlesen kann. Ich erfülle Aufgaben, die mir zugetragen werden.“

      „Die Lehre gibt dir keine Möglichkeit, kreativ zu sein. Du machst Fließbandarbeit.“

      „Dann bin ich eben in meiner Freizeit kreativ. Hierfür muss ich die Technik beherrschen.“

      „Also willst du ganz normal sein. Ein geregeltes Leben führen wie alle anderen.“

      „Ja, genau das will ich.“

      „So normal finde ich dich gar nicht. Aber gut, dann sind wir ja schon einen Schritt weiter. Mach dich auf den Weg zu Stefan Voigt und stell dich persönlich vor. Sag ihm, du kämest von Max Auerbach und spiel die Unwissende. Kein Wort von deiner abgeschickten Bewerbung. Danach rufst du mich an. Wenn das Treffen nichts gebracht hat, finden wir vielleicht eine andere Lösung.“

      Was mich in meinem Eifer obendrein motivierte, war die Antwort auf meine Mail vom 1. November. Ich hatte Klaas mit dem geforderten Stand der Dinge, meiner Absicht einer Weiterbildung und der Notwendigkeit eines Führerscheins konfrontiert. Im Anhang hatte ich mein Portfolio beigefügt und fand zehn Tage darauf Post von ihm im Briefkasten. Zittrige Hände, Zögern beim Öffnen. Ein unerwarteter Freudentanz – ausgelöst durch die für seine Verhältnisse gütigsten Zeilen, die ich je erhalten und an deren Eintreffen ich bereits aufgegeben hatte zu glauben.

      Meine Ziele würden ihn erfreuen und er sei mit mir einer Meinung, dass sich Grafikdesign und Fotografie gut ergänzen würden. Er werde diese Maßnahme daher unterstützen, darüber hinaus einen Betrag von 1000 Euro für die Fahrschule überweisen.

      Sein Lob – ich zitiere: „Abschließend lass mich dir noch sagen, dass ich deine Fotomappe doch sehr ansprechend finde und du selbst solche Motive, die aus normaler Sicht betrachtet eher ein Kopfschütteln herbeiführen, durch deine Darstellung mit der Kamera zu kleinen Kunstwerken aufwertest.“ Diesen Augenblick unersättlichen Hochgefühls werde ich nie vergessen. Vielleicht sollte ich den Abschnitt eingerahmt über mein Bett hängen, eine Notiz dazu: Das erste und vermutlich letzte Kompliment aus der Feder meines Vaters! Stefan Voigt war leider nicht vorzufinden. Er musste spontan das Studio verlassen. Stattdessen wurde ich von einem Azubi in Empfang genommen, durch die Räumlichkeiten geführt und in den Ablauf des Lehrgangs eingeweiht. Die Ausbildung biete alles Wissenswerte im Handwerk sowie im Theoretischen und beinhalte den täglichen Einsatz als Fotoassistenz, der selbstständiges Denken und Vorgehen abverlange. Innerhalb der drei Jahre nehme man am mehrwöchigen Blockunterricht teil, der für das Erreichen wünschenswerter Noten Fleiß und Disziplin fordere. Die Berufsschule befinde sich in Kiel, wo man zu mehreren in einem Zimmer im Internat übernachte. Der Lohn betrage ca. 500 – 700 Euro für die mittlere Reife; ein abgeschlossenes Studium an einer Fachschule werde als Abitur geltend gemacht und daher höher vergütet. Nach Abschluss gebe es keine Probleme, sich im Berufsleben einzufinden. Eine Übernahme in das Unternehmen sei allerdings ausgeschlossen. Die Vorauswahl würde in Bälde eine Einladung zur persönlichen Vorstellung erhalten, bei der man in Gruppen Fragen beantworten und seine Teamfähigkeit unter Beweis stellen müsse. Ein Portfolio mit aktuellen Bildern sei in der Regel gern gesehen; daher eine Unumgänglichkeit, so oft wie möglich die Kamera bei sich zu tragen. Es habe mehrere hundert Bewerber gegeben. Eine kleine Runde sei bereits ausgesucht worden und unter dieser stünden sechs Teilnehmer im Fokus. War auch ich darunter? Der Berg an Informationen jagte mir Furcht ein. Kann ich das? Will ich das? Nebensächlich wie die Jury abstimmen wird – ich verfolge mein Ziel weiterhin. Es liegt mir fern, anzunehmen, dass ich eine Chance hätte, aufgenommen zu werden. Vielleicht ist genau diese Einstellung richtig. Eine Ablehnung würde mich nicht enttäuschen, weil ich zuversichtlich bin, den Mut aufbringen zu können, Eigenregie zu führen. Ich hielt mich an die Abmachung und erstattete Max Auerbach Bericht. „Jetzt heißt es abwarten“, verkündete er. Mal sehen, was mein Vater zu alledem zu sagen hat und ob er sich noch immer bereiterklären wird, mich bei meiner Spurensuche zu sponsern. Heute habe ich die E-Mail versandt. Endlich nähert sich das vielversprechende Wochenende mit meinem Liebsten. Sorgen außer Acht lassen, der begrenzten Dauer frönen, bevor ich Montag meiner Tante beim Beautyporträtshooting assistiere und wieder nichts vom Verrücken und Einstellen der Blitzanlagen kapiere; während des Modelstylings abstumpfe, rumsitze und Haribo schaufle; hinterher allerdings