Nina Heick

ZWEI HERZEN


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er sich verliebt hätte. Daran würde sich nichts ändern. Sven gewann und schaffte Platz in meinem gebrochenen Herzen – die Bereitschaft des Einlassens, das Einstürzen der Fassade. Noch ein Berg, der versetzt werden musste und uns zusammenschweißen sollte – mein Geburtstag. Wir feierten beziehungsweise tranken uns in den nächsten Tag hinein, der zum letzten Mal schwarze Schatten warf und Svens Ernsthaftigkeit auf die Probe stellte. Mein Plan von einem harmonischen Stadtbummel zu romantischem Dinner danach ging leider nicht auf. Bis Sven endlich wach war, standen wir bereits unter Zeitdruck. Für 20 Uhr hatte das Hotel eine Überraschung für mich vorgesehen. Mein Partner fand, dass wir auf eines von beidem verzichten sollten, da es sich sonst nicht lohne. Das Bestimmen, das mir, nicht ihm, zustand, machte mich wütend. Wir würden den Shoppingausflug sowie die nette Geste des Personals wahrnehmen, ob es ihm passe oder nicht. Heute würde ich das Recht zu entscheiden haben und er hätte sich danach zu richten. Die Feierlichkeit nahm Abschied, als ich meine zahlreichen Glückwünsche bei Facebook studierte. Neid und Missgunst. Kein Anzeichen von Bemühung, die Stimmung mir zuliebe aufzulockern. Sven zeigte sich provokant lustlos und abgrundtief gelangweilt. Na Happy Birthday! Nach meiner Pöbelei – ins linke Ohr rein, durchs rechte raus – gab ich auf, drückte den Ignore-Button und kaufte Tüten voll Klamotten, ohne den maulig schlurfenden Bengel neben mir zu beachten. Nach Selbstbeschenken kehrten wir ins Cappuccino ein, wo wir Kaffee, frisch gepressten Orangensaft und bestes Pamboli verzehrten. Ich genoss die Geräuschkulisse aus Brunnengeplätscher, Spatzengezwitscher und Taubenflügelschlagen, den wolkenlosen, blauen Sonnenhimmel und den Duft nach frisch blühendem Jasmin. Sven zahlte – das war wohl auch das Mindeste, was man hätte erwarten können. Wo war mein Präsent? Es folgte keins. Immerhin war die Bescherung am Abend gelungen – eine Flasche Sekt aufs Haus. Der Ansturm neuen Ärgernisses trudelte auf der Terrasse ein, während wir draußen vor der Hotelbar Sangria hinunterschütteten und ich Svens Verhalten noch einmal zur Sprache brachte. Ich sei traurig darüber, wie mein großer Tag, der ein besonderer hätte werden sollen, abgelaufen wäre und bedaure, nicht wenigstens eine Karte oder eine andere liebevolle Aufmerksamkeit erhalten zu haben. Die Äußerung führte zu so großer Enttäuschung, dass ich mit entsetzter Miene um die Zimmerkarte gebeten und wortlos zurückgelassen wurde. Fassungslos verbrachte ich zwei Stunden mit Besäufnis am Pool und fabrizierte Handyunkosten durch schimpfende Berichterstattung an meine Mutter und fasste den Entschluss, mich unumgänglich nach Aufenthaltsende zu trennen. Als Sven mir die Tür öffnete und ich im Dunklen sein verflenntes Gesicht bemerkte, änderte sich meine Meinung schlagartig. Ich breitete die Arme aus und drückte ihn fest an mich, ehe ich zu lachen anfing – betrunken wie ich war – und fragte, wieso er heule, wo doch eigentlich ich allen Grund dazu gehabt hätte. Weil er ein Arschloch sei, winselte er. Stimmt, dachte ich, nahm ihn bei der Hand und zerrte ihn auf den Balkon, um auf seinem Schoß sitzend Antworten einzufordern. Der Junge versank in Vorwürfen und Selbstmitleid, sodass ich diejenige war, die Trost bot und nicht getröstet wurde. Das Finale dafür intensiver – Beischlaf unter Tränen und seinen Worten Ich liebe dich. Anbruch einer doch noch glanzvollen Zeit, an die ich mich gern zurückerinnere und nach der ich mich schmunzelnd sehne. Unsere einzige Partynacht, beginnend in der All you can drink-Kneipe zur holländischen Gesellschaft – ulkigste Vögel, mit denen wir aus fünf Strohhalmen Tequila-Sunrise-Kelche leerten – und endend in einer Disco, barfuß tanzend, küssend und schwitzend; das Baden im Meer und Ablecken der Salzwassertropfen auf der Haut des anderen; die zu Mittag geliebten Besuche im Strandcafé – selig bei Baguette con serrano und zumo de naranja natural; seine Frage, mit wie vielen ich Sex hatte, meine Antwort nach langem Stillschweigen 15? (multipliziere x 2) und die herrlich mucksche Fresse hierauf; das regelmäßige Cocktailanprosten bei den Chinesen zu Chill-out-Musik, würzigen Erdnüssen und frittierten Shrimps – eine Nacht darunter bei strömendem Regen ins Trockene geflüchtet, Bauchmuskelkater vor Lachen und Rumalberei; die ruhigen Balkonabende bei Kerzenschein und Buchlesen; nicht zu vergessen das zweimal täglich köstlich gedeckte Buffet und das Personal – er Deutscher, immer für einen Witz offen, und sie, die stets auf Spanisch fluchte, wenn wir die Essenszeiten nicht einhielten und als Letzte den Saal verließen. Den Rest von Svennis Ferien verbrachten wir meist gemeinsam und trafen uns häufig. Wir feierten in einem kleinen Kreis meinen Geburtstag nach, wo Charly uns bumsend auf der Damentoilette erwischte und es lauthals lachend durch den ganzen Club brüllte. Mein Praktikum im Verlag begann. Wir waren oft in Felix’ Wohnung – wälzten uns allein im Wohnzimmer oder entspannten in Gesellschaft. Es folgten Svens 24. Geburtstag; Bekanntschaft mit seinem Kumpelkreis; vielfache Kiezbesuche; alkoholische Schanzenabende; das Kennenlernen seiner Eltern und des zweiten Bruders; der Umzug meiner Mutter, bei dem mein Macker anpacken half; das Teilen meiner Mittagspausen; Nutella-Crêpe-Naschen auf dem Alstervergnügen; das Abhotten in den Grünanlagen und kuschelige Filmnächte bei mir. Es war schön, sich zu sehen, wann immer man wollte. Allerdings fiel es mir noch nicht leichter, auf meine Freiheit zu verzichten und mich einzuschränken. Sven nahm meine Anwesenheit mehr in Anspruch, als mir lieb war. Ich fühlte mich durch das tägliche Telefonieren und die Zweisamkeit, die alles andere ausschloss, schnell in die Enge getrieben. Wenn Sven mich vermisste, wurde er meistens memmenhaft und weinte. Emotionale Erpressung. Ich nahm die Rolle der Mama an, die mich zunehmend stresste und unglücklich werden ließ, sodass ich schließlich meinen Energietherapeuten Christian Ledicke aufsuchte und ihn um Rat bat. Er erkannte, dass Sven mich mit seinem Leid manipulierte und auf diese Weise versuchte, Bedürfnisse durchzusetzen, was ihm meistens gelang, da ich nicht Nein sagen konnte. Das wiederum führe zu Aggressionsstau, Fluchtsuche in Ausredenfindung und Befindlichkeitsstörungen. Um die Beziehung aufrechtzuerhalten, war es dringend notwendig, Respekt und Toleranz füreinander aufzubauen. Mut zur Offenheit und Wunschäußerung. Nichtsdestotrotz tat mir der Zusammenhalt mit Sven auch gut und es gelang mir, meine Essstörung zu zügeln. Der Kampf stellt bis heute jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung dar. Aber ich bin stolz auf uns, die wir beide nicht einfach sind und doch Wege finden, Probleme friedlich zu lösen. Und ich bin stolz auf mich, mein Ventil im Sport und kreativen Schaffen zu finden. Ich bewundere Sven um seine Geduld und Nachsicht, um seine Stärke zu verzeihen und die Bereitschaft, mich in Krisen auszuhalten. Durch ihn lerne ich, wie sich wahre Liebe anfühlt, und erkenne, dass die Erfahrungen zuvor nichts mit ihr gemeinsam hatten, weil sie von Unerreichbarkeit und Pein geprägt waren. Nichts mehr als Begehren des Gegensätzlichen und des unstillbaren Verlangens, das Erzwingen von Gemeinsamkeit und Jagen nach Grenzüberschreitung.

      Zwang und Freiheit

      „My Love, ich denke die ganze Zeit an dich und daran, wie schön es gewesen ist, dich noch einmal zu sehen und zu küssen. Zwar sehne ich mich nach dir, dennoch macht es mich glücklich, weil es mir zeigt, wie sehr ich dich liebe. Auch die Entfernung kann uns nicht voneinander trennen. Ich bin immer bei dir. Dein Mädchen.“ „Mein geliebtes Wesen, was würde ich dafür geben, dich nun neben mir zu wissen. Ich vermisse dich – dein mich dahinschmelzen lassendes Lächeln, dein einzigartiges Lachen, deine sanften Berührungen, deine zärtlichen Küsse, deinen wunderschönen Frauenkörper. Du bist mein – meine Liebe, meine Gegenwart und meine Zukunft. Vergiss nie, wie sehr ich dich liebe, mein Sonnenschein, mein Gold ...“ Ende August begann auch für Sven wieder der Ernst des Studienlebens und damit die Einschränkung des Beisammenseins, das von nun an nur noch an den Wochenenden zu realisieren war. Dies sorgte für Entspannung meinerseits und sich steigernde Schwankungen seiner Stimmungslage. Obwohl ich ihn ebenfalls vermisste und wehmütig auf unsere Spontanverabredungen zurückblickte, traf mich die Entfernung weniger. Das führte zu Missverständnissen und Verlustängsten. Sven zweifelte meine Zuneigung an und zeigte sich zunehmend eifersüchtig. Wie sollte ich ihm erklären, dass ich ihn nicht minderer liebte als er mich, wir uns in manchen Eigenschaften dennoch voneinander unterschieden? Während ich mich gut allein oder mit Freunden beschäftigen konnte, in Cafés Baileys Latte trinken und ein Buch lesen schätzte oder gern in bunt gemischten Vierteln spazierte, um Menschen zu beobachten, wusste er mit seiner Zeit nichts anzufangen. Was ihm fehlte, waren seine Freunde aus Hamburg, ein Hobby neben dem Training in der Muckibude, das Gefallen an der fremden Stadt und die Versöhnung mit sich selbst. Es waren viele Diskussionen nötig, ehe er begriff, dass wir uns ähneln, aber nicht gleichen und dies keineswegs ein Nachteil oder eine Varianz meiner Hingabe bedeutet. Ich sah allerdings ein, dass mein eigensinniges Wesen aneckt und für andere nicht immer nachvollziehbar ist.