Peter Josef Dickers

Du lieber Himmel


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Wenn man unterwegs ist

      Donau heiße ich

      Fluss im Überfluss

      Fragen Sie den Katalog

      Kopflos

      Vom Zauber der Ereignislosigkeit

      Kleiderordnung

      VIP Hurra

      Leichte Brise

      Am Niederrhein

      Unter anderem Blickwinkel

      Immer auf demselben Fluss

      Die Dame auf dem Sonnendeck

      Frohe Ostern

      Am Eisernen Tor

      Im Donaudelta

      Unterwegs zum Nullpunkt

      Das Tenderboot

      Zu wenig unterm Kiel

      Der Reisegutschein

      Türkische Paprika

      Gebundene Füße

      Serbische Impressionen

      Ungarn – Wie der Zauberwürfel

      Budapest – Nicht nur Weltkulturerbe

      Rumänischer Appell

      Eine deutsche Schule in Bulgarien

      Bitte schön

      Feuerland, am Ende der Welt

      Jerusalem 1965 – Ein Brief

      1984 im Sowjetischen Baltikum

      1985 unterwegs zum Sowjetischen Orient

       Wenn Weihnachten ist

      O Tannenbaum

      Der Bio-Weihnachtsbaum

      Ohne Lametta

      Für den guten Zweck

      Oktober-Weihnacht

      Wünsch dir was

      Wundersame Verwandlung

      Schenken Sie noch?

      Die Weihnachtsgans

      Käme doch der Engel zurück

      Nur ein Schaf

      Hirte mit Schal

      Nicht wie im vergangenen Jahr

      Unerwarteter Besuch

      Kling-Glöckchen

      Guck mal, das Schaf

      Die Kinder kommen

      Auf der Flucht

      Geburtsanzeige

      Ein unbekanntes Licht

      Weihnachten auf Antigua

      Die lebende Krippe

      Raus damit

      Wohin mit dem Geschenkpapier?

       Wenn Tägliches nicht alltäglich ist

      Bestanden

      Wir nannten ihn Buddha. Wenn jemand sagte, er habe Unterricht bei Buddha, bemitleidete man ihn. Buddha konnte nicht unterrichten. Alle sagten das. Kaum jemand nahm ihn ernst. Aber er lächelte. Selbst wenn jemand Unfug gemacht hatte, lächelte Buddha.

      Ein halbes Jahr vor dem Abitur beschloss ich, einen Hebräisch-Kurs zu belegen. Einziger Hebräisch-Lehrer an der Schule war Buddha. Ich spürte den unverhohlenen Spott meiner Mitschüler. Dennoch fragte ich bei ihm an, ob es noch möglich sei, am Hebräisch-Kurs teil-zunehmen. Buddha lächelte. Wenn ich bereit sei, wöchentlich mindestens zwei Mal mit ihm Hebräisch zu pauken, könnte ich das schaffen.

      Nach dem Unterricht blieb ich in der Schule, weil Buddha für mich in der Schule blieb. Er packte sein Butterbrot aus; ich kramte meine Stulle aus der Tasche. Manchmal aß ich sein Käse-, er mein Wurstbrot. Wir kauten und buchstabierten das hebräische Alphabet. Ich lernte die hebräische Bibel lesen und wusste bald, dass „Tohuwabohu“ am Anfang der Schöpfungsgeschichte steht. „Die Erde war wüst und leer.“ Zuerst fühlte ich mich auch so. Aber Buddha weckte mein Interesse, die Leere zu füllen.

      Die Abiturprüfungen liefen in einem anderen Rahmen ab als heute. Jeder Abiturient musste nach der schriftlichen auch in die mündliche Prüfung. Das Schicksal entschied sich gegen mich. Ich musste ins Hebräische. Buddha sah mich untröstlich. Aber er lächelte. Das würde ich schaffen, sagte er. Ein langer Text wurde mir im Vorbereitungsraum zum Übersetzen vorgelegt. Schon weil er lang war, schien ich chancenlos zu sein.

      Dann holte Buddha mich zur Prüfung ab. Lächelnd bemerkte er, wie ich mich fühlte. Kurz vor der Tür zum Prüfungsraum blieb er stehen und sagte: „Wenn du gleich die vielen Lehrer siehst, die uns zuhören, dann denk daran: Nur zwei Leute verstehen Hebräisch, du und ich.“

      Hebräisch war mein Lieblingsfach. Ich hatte „bestanden“.

      Die örtliche Tagespresse würdigte auf folgende Weise, dass sechzig junge Leute das Abitur geschafft hatten:

      Sechzig Heranwachsende wurden verabschie-det. Abschied von der Schule. Das heißt, sie verabschiedeten sich selbst. Denn wenn ihre Antworten nicht genügt hätten, wäre ihnen der Abschied erspart geblieben. Aber obwohl neun Jahre eine Gewöhnungszeit sind, die es – nach dem Gesetz der Trägheit – schwer macht, sich vom Routinegang zum Gymnasium zu lösen, haben alle sechzig wie befreit aufgeatmet, als man sie mit dem Wort „bestanden“ entließ.

      Entlassung bedeutet nicht nur Abschied von einer liebgewordenen Schule, sie bedeutet einen Sieg: Den Sieg des Wissens über die Tücken menschlicher Ungenügsamkeit wie über die Klippen der Prüfung. Sie bedeutet das erfolgreiche Ende eines Lebensabschnitts, und das ist noch wichtiger als das gesammelte Wissen; denn von dem „Universalwissen“ wird nach zwanzig, dreißig Jahren nur ein Teil übriggeblieben sein. Nicht zu Unrecht heißt die Prüfung „Reifeprüfung“ – als reife Menschen ins Leben gehen, die Reife mehren zum Wohle der Menschen und zum eigenen Nutzen, das ist der größere Sinn der Abschiedsstunde.

      Noch sind die ersten Tage inhaltsleer. Man weiß noch nicht recht, wo man hingehört. Die freie Zeit hat etwas überraschend Rätselhaftes an sich. Aber schon bald gehen die ersten in einen Beruf, in ein Geschäft, an die Universität oder leisten ihre Wehrpflicht ab. Ein zweiter Abschied steht bevor, der erste große Abschied von zuhause. Der Glücksrausch geht schnell vorüber, dem Sieg folgt ein neuer Kampf, diesmal schwerer als der erste, weil die Obhut der Schule und des Elternhauses zurücktritt.

      Zum Erfolg sagen wir den Jungen wie den Eltern herzlichen Glückwunsch, zum neuen Kampf und zu den neuen Opfern ein herzliches Glückauf.

      Ein Glückwunsch an Buddha stand nicht im Bericht. Er hätte ihn verdient gehabt.

      Alles was Recht ist

      Vergangene Nacht wurde ich um Zwei Uhr wach. Ich hatte mir vorsichtshalber den Wecker gestellt. Die Straßenlaterne vor meinem Schlaf-zimmerfenster brannte wie immer, obwohl ich dem dafür Zuständigen bei der Stadt erklärt habe, welcher Unfug es ist, nachts ein Schlaf-zimmer zu erleuchten. Nichts hat sich getan. Die Licht An- und Ausmacher haben taube Ohren. Verantwortungsbewusste Bürger werden nicht ernst genommen.

      Diskutieren? Zwecklos. Alle verstecken sich hinter gesetzlichen Vorgaben. An ihre Einsicht appellieren? Sinnlos. Meine akribisch geführten Aufzeichnungen, wie oft nachts jemand an meinem Haus vorbeigeht, der eine Laterne braucht, werden ignoriert. Ich kämpfe gegen Windmühlenflügel. Müssen die zwei Männer und die eine Frau, die ich gestern zwischen ein und vier Uhr gezählt habe, nachts etwas sehen können? Können sie nicht warten, bis es hell ist? Nein, sie brauchen Straßenlaternen. Bezug zur Wirklichkeit? Fehlanzeige. Irrsinn