Peter Josef Dickers

Du lieber Himmel


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halben Jahr das Schlagloch vor meiner Garage dulde. Zweimal in diesem Winter bin ich schon mit dem Auto aus der Garage gefahren. Dass ich heil herausgekommen bin, verdanke ich dem Umstand, dass das Loch nicht allzu groß ist. Ich weiß nicht, ob ich mir ein Bein gebrochen hätte, wenn nicht die Laterne dort stehen würde. Glauben die beim Amt, dass ich nur dann glücklich sein kann, wenn ich unglücklich bin? Dass die Laterne nur kümmerlich vor sich her flackert und eine Taschenlampe den glei-chen Dienst verrichten würde, interessiert nicht.

      Als ich den im Amt dafür Zuständigen anrief, um ihn darauf aufmerksam zu machen, fragte er, wer zuerst dagewesen sei: das Loch oder die Laterne. Niemand könne zwei Probleme auf einmal lösen. Er irrt, wenn er glaubt, seine Antwort habe etwas mit sachgerechter Infor-mation zu tun. Wichtiges von weniger Wichti-gem oder Unwichtigem unterscheiden, kann er nicht. Oder will er sich mit seiner Laterne ein leuchtendes Denkmal setzen? Dürfen solche Leute unsere Ämterstühle besetzen und ihr Recht auf Dummheit wahrnehmen? Ich werde ihn nicht mehr anrufen, sondern mit Verachtung strafen wegen seiner Bedeutungslosigkeit.

      Es wird sich nichts ändern. Für mein gutes Recht muss ich bezahlen, bekomme es aber nicht. Ist das gerecht?

      Meinem Nachbarn werfen sie alles nach, wenn er meint, benachteiligt zu werden. Seit ein paar Wochen wohnt er hier. Ein Migrant angeblich, mit einem ausländisch klingenden Namen. Leute mit kaum aussprechbaren Namen erregen Aufmerksamkeit. Ihnen wird geholfen, selbst wenn sie nicht darum gebeten haben. Meine Vorfahren sind auch hier eingewandert. Sie wohnten zwei Häuser weiter und brauchten eine größere Wohnung. Keiner hat sich gerührt. Es geht nicht gerecht zu.

      Die Wohnungsmieten kann sich kaum jemand leisten. Eine Studentin, die das Zimmer mieten wollte, lehnte dankend ab, als ich vierhundert Euro im Monat von ihr verlangte. Habe ich die Mietpreise erfunden? Undankbar war sie außer-dem, als ich ihr anbot, einmal in der Woche mein Badezimmer benutzen zu können. Sie verzichtete. Wir hatten früher kein Badezimmer, habe ich ihr gesagt. Als sie mich fragte, wofür ich jetzt eines brauche, habe ich ihr die Tür gewiesen. Von Respekt hat sie nichts gehört. Unrechtsbewusstsein? Natürlich nicht. Studieren wollen alle, am liebsten auf meine Kosten. Die Verantwortung in unserem Land ist abhandengekommen.

      Alles, was Recht ist: Es geht so nicht weiter. Wer nicht tut, was er tun kann, tut Unrecht – auf Marc Aurel, den berühmten römischen Kaiser kann ich mich berufen, der das schon vor zweitausend Jahren gesagt hat. Mir macht man es schwer, das Richtige durchzusetzen. Wer Recht hat, steht allein da. Recht zu haben ist nicht das, wofür einen die Menschen lieben. Ob man mir einmal dankbar sein wird, dass ich Recht hatte und für Recht und Gerechtigkeit gestritten habe? Auf ein Verdienstkreuz werde ich vergeblich warten.

      Das Licht vor meinem Fenster brennt nachts immer noch, obwohl ich zwischen ein und vier Uhr keine Menschenseele auf der Straße sehe. Ich werde etwas unternehmen müssen.

      Die Neandertalerin

      Grüne Oase. Konsum-Paradies. Baden wie Kleopatra. Kosmetik-Verwöhn-Programme. Packungen in der Wasser-Schwebeliege. Will man mir etwas Gutes tun? Die Einladung weckt Neugierde. Jedoch kein Hinweis auf schöne Stunden allein oder zu zweit. Die Dame aus dem Neandertal, die zur Party einlädt, hat andere Interessen. Dass ich sie im Erlebnisbad begrüßen kann, muss andere Gründe haben.

      Soziale Fürsorge zu Angehörigen und Fremden wird ihren Neandertal-Vorfahren nachgesagt. Das zeichnet auch sie aus. Aber kannten ihre Vorfahren Packungen in der Schwebeliege? Unwahrscheinlich. Sie mussten sich den harten Lebensbedingungen der Eiszeit anpassen und ihr Überleben sichern. Ob Übungen in der Schwebeliege dabei hilfreich gewesen wären – nicht vorstellbar.

      Neandertaler waren kultivierter, als wir ahnen. Kunst und Musik sollen sie gepflegt haben. Dass Nachweise ihrer Kunstfertigkeit nicht überliefert sind, kann nur daran liegen, dass Forscher sie bisher nicht aufgespürt haben, auch keine Spuren von Schwebeliegen. Die Einladende hält nicht viel vom Schweben. Standvermögen und Bodenhaftung schätzt sie und zeichnet sie aus.

      Knochenfunde lassen darauf schließen, dass Neandertaler klein und stämmig waren. Robus-ter Knochenbau zeichnete sie aus. Robustheit garantiert auch ihren Nachkommen ein ausge-prägtes Durchsetzungsvermögen. Das Gehirn des Neandertalers soll größer gewesen sein als das unsrige heute. Wer sich mit der Jubilarin auf einen Disput über Gott und die Welt einlässt, wird das bestätigt finden.

      In der Neandertal-Welt dominierten die großen Säugetiere. Unsere Neandertalerin bevorzugt die kleinen Tiere und kümmert sich um sie. Große Tiere schätzen ihre Energie und ihren ausgeprägten Willen, Begonnenes zu Ende zu bringen. Neandertaler sind eine besondere Spezies Mensch, an Liebenswürdigkeit nicht zu übertreffen. Jedes Jammertal wird durch sie zum Sehnsucht-Ort.

      Es ehrt mich, einer Neandertalerin im fest-lichen Rahmen begegnen zu dürfen. Wer das Leben genießt, sagt sie, teilt Genuss gern mit anderen. Das zeichnet sie aus. „Es ist traurig, sich allein zu freuen“, wusste schon Gotthold Ephraim Lessing. Genuss ist ein Zwilling. Unsere Neandertalerin hat viele Zwillinge. Das macht sie umso liebens-würdiger.

      Da sie vertraut ist mit dem Buch der Bücher, der Bibel, weiß sie ihre Neigungen biblisch zu begründen. „Auf vollem Bauch steht ein fröh-liches Haupt“, steht im alttestamentlichen Buch der Sprüche. Feste zu feiern ist christlicher Brauch. Christentum und Kirche sind mehr als zweitausend Jahre alt. Vielleicht stimmt es, dass die vielen Feiertage das Christentum retteten.

      Die Bibel erzählt von Frauen, die dem Frauen-Typ einer Neandertalerin nahe kommen. Über Debora wird berichtet, die das Amt einer Rich-terin ausübte. Es ist nicht bekannt, wie bei den Neandertalern Recht gesprochen wurde, jedoch ist nicht auszuschließen, dass Frauen auch bei ihnen richterliche Ämter bekleideten.

      Von einer anderen Charaktereigenschaft und Verhaltensweise der Jubilarin kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wie weit sie in die Neandertal-Geschichte zurückgreift. Denkbar ist es dennoch, wenn sich schon berühmte Vorfahren unserer Neandertalerin dieser Tätigkeit gewidmet und sie dem weiblichen Tugendkatalog zugeordnet haben: das Hunde-Verstehen. Reinhard Mey widmete ihm ein Lied, das einer Neandertalerin aus der Seele spricht: „Es gibt Tage, da wünscht‘ ich, ich wär' mein Hund.“ Von Neandertal-Hunden haben die Forscher bisher nicht berichtet. Das werden sie nachholen.

      Die Neandertalerin muss ihre Beziehung zu Hunden nicht begründen. Es gibt renommierte Hundefreunde. Als Johannes Rau, ehemaliger Bundespräsident, eine Knieverletzung beklagte, die sein Hund ihm zugefügt hatte, soll er geäu-ßert haben: „Als Hund ist er eine Katastrophe, als Mensch unersetzbar.“

      Dem wird die Neandertalerin beipflichten. Ihre Mimik verrät, dass Hunde über alle guten Eigenschaften von Menschen verfügen, ohne deren Fehler zu machen. Der möglichen Unter-stellung, Hunde kämen nicht in den Himmel, begegnet sie mit der Feststellung, dass Hunde schon vor uns dort Einlass fanden. Neandertal-Behausungen werden erst zum Heim, wenn sie Hundebeine beherbergen.

      Das Neandertal ist menschheitsgeschichtlich eine Fundgrube. Viele kennen es nicht oder haben bisher nur aufgrund von Knochenfunden von dem Tal gehört. Das Leben dort besteht nicht aus gepflegter Langeweile. Dafür bürgt die aufgeschlossene, heutige Neandertalerin mit ihrer Offenheit und Erfahrungsbereitschaft, aber auch mit ihrem gesunden Misstrauen gegenüber selbst ernannten Weltenrettern, die sich mit göttlicher Autorität ausstatten. Sie schaut zurück und blickt nach vorn, verharrt jedoch nie in selbstzufriedener Isolation. Die Welt ist für sie keine Einbahnstraße.

      Das Neandertal ist Kultur-Geschichte. Man lebte und lebt auf der Höhe der Zeit. Leibhafti-ger Beweis ist die Neandertalerin.

      Bei ihr ist Aufschwung

      Sie hat viel erreicht. Sie lebt nicht allein. Sie lebt mit Andy, mit Emily, mit Lucy. Mit Mama und Werner. Mit vielen anderen. Formelle und informelle Bündnisse, gemeinsame Probleme schaffen Bindungen.

      Nicht alle trauten es ihr zu. Sie sagte, dass sie es schaffen werde, weil sie um ihre Fähigkeiten wusste. Ein bisschen ist sie stolz auf sich. Und glücklich. Es gab Abschwung-Phasen. Es gab Ziele, die