Peter Josef Dickers

Du lieber Himmel


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verlassen. Bummeln am Brückentag, ausschlafen am Brückentag: Warum wird diesem Heiligen nicht die Ehre zuteil, die er verdient? Sankt Brückentag, Freund des Lebens und der Leichtigkeit, erfreut sich nachhaltiger Wertschätzung und Beliebt-heit.

      Spricht jemand vom verfluchten Brückentag? Am Brückentag soll er allein am Schreibtisch im Büro gesessen haben, weil die Kollegen Sankt Brückentag feierten. Ein Schreibtisch-täter, der einen Volksheiligen nicht zu schätzen weiß. Statt Weichen für die Zukunft zu stellen, stellt er sich in die Schmoll-Ecke. Bilanz-Fälschungen wegen des Brückentags soll es gegeben haben. Blutspende-Aktionen seien hinter Erwartungen zurückgeblieben, weil Brückentag statt Blutspenden gefeiert wurde.

      Ist Sankt Brückentag für solche und andere Versäumnisse verantwortlich? Hat er den Stau auf der Autobahn verursacht, als Tausende unterwegs waren, um Brückentag zu feiern? Sankt Brückentag hat nicht den blinden Wahrnehmungs-Fleck verschuldet bei denen, die ihm missgünstig gestimmt sind.

      Im kommenden Jahr, wird gemunkelt, soll sich die Verehrung auf ein Minimum beschränken. Es gebe nur wenige Brückentage. Kaum hat sich der Heilige einen Namen gemacht, tritt die Abteilung „Bedenken“ auf den Plan. Miss-günstige Stimmen werden laut. Der Heilige ist in Gefahr, nicht entsprechend seiner Ansehens gewürdigt zu werden.

      Viele Heilige verlieren an Bedeutung und Zauber, weil sie nicht dazugehören und sich neben die Gesellschaft stellen. Verstaubten Oldies aus Großmutters Zeiten gleichen sie und Leuten von gestern, die sich gegen den Gang der Zeit stemmen. Ihre Statuen werden verhüllt.

      Sankt Brückentag dagegen ist der Heilige von heute für heute. Ein zeitgemäßer Heiliger. Wann setzt man ihn auf die Überholspur zur Heiligsprechung und erhebt ihn zur Ehre der Altäre, in Gottes oder Teufels Namen?

      Der Automat

      Ich soll mit der Zeit gehen. Alle sagen das. Dass es leichter gesagt, als getan ist, sagt niemand. Unschlüssig stehe ich vor dem Automat, der auf meinen Eingabebefehl wartet. Ich habe ihn nicht dazu aufgefordert, aber er besteht darauf. Meine Fahrkarte rückt er heraus, wenn ich seinen Anweisungen folge.

      Warum das so ist, sagt er nicht. Mit ihm reden kann ich nicht. Versteht er auch nicht. Den freundlichen Herrn am Schalter, der mir bisher den Fahrschein ohne Widerstreben aushändigte, ist nicht da. Auf ihn war Verlass, meistens. Dass er Punkt zwölf Uhr die Klappe herunterließ, weil er Mittagspause hatte, war unnötig. Dienstanweisung, sagte er.

      Den Schalter, an dem er mich bediente, gibt es nicht mehr. Ein Opfer der Umstände. Warum die Schalterhalle noch Schalterhalle heißt, sagt niemand. Den Bahnhof gibt es noch. Es fahren Züge ab. Es kommen Züge an. Nicht pünktlich wie die Eisenbahn früher, aber sie kommen. Keine Züge wie früher, aber Züge. „Lösen Sie Ihre Karte bequem am Automat“, empfiehlt die große Leuchtschrift. Bahnreform nennen sie das. Sie nimmt Rücksicht auf meine Augen, die große Buchstaben leichter erkennen als kleine. Ein Service.

      Dass der Service einen Notstand auslöst, weiß der Automat nicht. Er tut seine Pflicht. Pro-grammierte Zweckdienlichkeit. Anweisungen muss ich akzeptieren, widerspruchslos. Das ist das Problem. Ich kann ihn nicht fragen, ob er die Stadt kennt, wohin ich fahren will. Er ant-wortet nicht. Ich kann wählen zwischen zehn Zonen. Zu welcher Zone mein Fahrtziel gehört, sagt der Automat nicht. Ich muss es aber eingeben.

      „Markieren Sie die zuständige Zone“, werde ich aufgefordert. Woher soll ich das wissen? Ich kann niemanden fragen. Früher war das anders. Zonen haben mit Entfernungen zu tun. Eine Zone umfasst zwanzig Kilometer. Das ist überschaubar und leuchtet mir ein. Wie viele Kilometer ist mein Fahrtziel vom Automat entfernt? Wenn ich die Kilometer-Angabe zu gering einschätze, liefert mir der Automat eine gültige Fahrkarte, aber eine Karte für die falsche Zone. Überziehe ich die Entfernungs-angabe, bedankt er sich für meine Großzügig-keit und druckt mir eine Fahrkarte aus, mit der ich tagelang Zug fahren könnte, obwohl ich längst ausgestiegen sein müsste. Ich verstehe nur Bahnhof.

      Im Zweifelsfall entscheide ich mich für die Karte. Vielleicht gibt es nur noch Fahrkarten für diese Zone, weil der Automat für andere Zonen sein Soll erfüllt hat. Ich wollte zwar nicht so weit fahren, wie ich mit dem Fahr-ausweis fahren könnte, aber der Apparat er-muntert mich, meinen Fahrthorizont zu erweitern. Es soll Reisen geben, die kein Ende nehmen. Ich muss mit der Zeit gehen und mich ihrem Geleitzug anschließen.

      Ich habe mich entschieden. Der Automat fordert mich auf zu zahlen. Das Kleingeld reicht nicht. Einen Geldschein soll ich in die dafür vorgesehene Öffnung einführen. Perfekte Technik. Dennoch habe ich Zweifel und sehe mich bestätigt: Der Schein wird nicht ange-nommen. Der Automat kennt ihn nicht. Niemand hat ihm mitgeteilt, dass es sich um ein gültiges Zahlungsmittel handelt, wenn auch erst seit einigen Wochen.

      Der freundliche Herr, der mich bisher bedient hat und den ich fragen könnte, was zu tun ist, ist nicht da. Vielleicht tüftelt er an einem neuen Automat. Auch Automaten gehen mit der Zeit.

      Auf dem Bahnhofsvorplatz halten Busse. Ein Angebot, wenn der Automat keinen Fahrschein herausrückt. Den Fahrer kann ich fragen. Der Fahrer antwortet. Ein Ansprechpartner. Ich hätte mich sofort für den Bus entscheiden sollen statt für den Automat.

      Wo ist der Fahrer? Nicht zu sehen – nicht im Bus, nicht außerhalb des Busses. Er braucht nicht anwesend zu sein, weil der Bus heute nicht verkehrt. Er fährt zweimal wöchentlich: dienstags und freitags. Heute ist Mittwoch.

      Ob der Automat es gewusst und eine zweite Chance verdient hätte?

      Große Scheine in kleiner Tasche

      Üppig war der Betrag nicht, den ich erspart hatte; unbedeutend klein auch nicht. Das Geld ausgeben, mir ein paar schöne Tage gönnen – dazu konnte ich mich nicht entschließen. Warum sollte ich Erspartes opfern? Dass vor dem Komma eine Null stand, wenn ich meine Ersparnisse günstig anlegen würde, lockte mich nicht aus der Reserve, obwohl der Berater zu bedenken gab, dass die Zinsen steigen könnten. Der günstigste Termin Geld anzulegen, sei jetzt, ob für mich oder für die Bank, sagte er nicht.

      Ich konnte mich nicht entscheiden, obwohl namhafte Staatsbedienstete, Leute mit edlem Gemüt, versichern, Geld nur dort anzulegen, wo es möglichst wenig Zinsen abwirft. Es gewinnbringend anzulegen, entspreche nicht dem Geist der Zeit. So groß waren allerdings meine Ersparnisse nicht, dass ich es mir leisten konnte, sie am Rande der Welt nach und nach weniger werden zu lassen.

      Gut für mich, nicht gut für den Berater, dass es noch andere Ratgeber gab, die Ratschläge erteilten, wenn es um Erspartes ging. Mein Erspartes nahm ich mit und ging zu einem, der sich auskennen musste. Ich benötigte keine große Tasche. Einige große Scheine fanden Platz in einer kleinen Tasche. Ich verspürte Genugtuung.

      Der Berater erkannte, dass ich Erfreuliches mitzuteilen hatte. Er hatte viele Ideen. Ich merkte es, als er mit der Beratung begann. Seine Kompetenz überzeugte mich. Idee reihte sich an Idee. Es überraschte mich, wie viele Möglichkeiten es gab, große Scheine so anzulegen, dass ihr Wert am Ende nicht kleiner wurde. Ich war beeindruckt und stimmte einem besonders geeignet erscheinenden Plan zu.

      Wie ich den dafür fälligen Betrag überweisen wolle, fragte er. Das konnte ich ohne Nach-denken beantworten. Ich streckte dem Berater meine Tasche mit den nicht ganz kleinen Scheinen entgegen. Der schien die Geste nicht zu verstehen und fragte noch einmal, wie ich das Geld überweisen wolle. Im Nachsatz fügte er etwas an, das mich irritierte. Es hatte mit gewaschenen Scheinen zu tun, die ein Problem darstellen könnten.

      Dass die Bank meine Ersparnisse im Wasch-salon behandelt hatte, ehe sie mir ausgehändigt wurden, wusste ich nicht. Meine Ratlosigkeit war eindeutig. Die Abwehrhaltung des Beraters ebenso. Den Betrag solle ich über-weisen. Das, so riet er mir, müsse ich der Bank mitteilen, die mir die Scheine ausgehändigt habe.

      Als ich dem freundlichen Berater der Bank, die mir die Scheine ausgezahlt hatte, wieder gegen-übersaß, merkte ich, wie schwierig der Um-gang mit Beratern und großen Scheinen ist. Der Berater freute sich, mich wieder