Peter Josef Dickers

Du lieber Himmel


Скачать книгу

einem Jahr sei es so weit, sagte er jedes Mal. Dann sei die Zeit reif für eine Ent-scheidung, reif für Must have.

      Im kommenden Jahr sehen wir uns wieder.

      Hautverjüngung

      „Eine luxuriöse Schönheitsbehandlung mit außergewöhnlichem Resultat. Die Zeichen der Hautalterung werden sichtbar reduziert. Sie erstrahlen in lang anhaltender, neuer Jugend-lichkeit.“ Als „Body und Soul“-Behandlung versteht sich die Offerte der SPA-Abteilung. Körper und Geist würden es mir danken, wenn ich mich darauf einließe, wird versichert. Ich müsse nur verjüngungswillig sein.

      Die Aussicht, schöner und glücklicher zu wer-den, und dazu noch jünger auszusehen, hat ihren Reiz. Am SPA führt kein Weg vorbei. SPA ist Gesundheit. SPA ist Wellness und Glück, unverzichtbar wie Essen und Trinken. Dennoch kann ich meine Unsicherheit nicht verbergen. Was ist, wenn Bedürfnisse unerschöpflich sind? Kann man mir nach einer Behandlung das verheißene Resultat ansehen? Zeichen der Hautalterung sollen reduziert werden, aber nicht verschwinden. Warum soll ich mich dann auf eine Behandlung einlassen? Warum ver-meintlichen Gewissheiten vertrauen? Kann ich mich entspannt zurücklehnen, wenn die versprochene Jugendlichkeit zwar lange anhält, aber niemand sagt, wie lange? Was nützen Verjüngungskuren mit vorübergehender Schadensbegrenzung?

      „Gehaltvolle Pflanzenöle versorgen Ihre Haut mit dringend benötigten Lipiden.“ Lipide kenne ich nicht. Sie scheinen aber wichtig zu sein. Der Broschüre sei Dank. Im Kleingedruckten, unten links Seite zwölf, entdecke ich den unauffälligen Hinweis, einer Entschuldigung nicht unähnlich: Lipiden sind Fette. Fette haben keinen guten Ruf; dennoch benötigt man sie. SPA-Fette seien ungefährlich und wichtig, wird betont. Der Körper brauche Energie durch Lipide. Schon die alten Griechen hätten es gewusst.

      Ich bin erleichtert. Selbstsicherheit kommt mir zugute. Mit Fetten kenne ich mich aus. Fett-freie Wurst sei keine Wurst, sagt mein Metzger. Von Lipid-loser Wurst hält er nichts. Mit fettigen Ölen kann ich mir im SPA relativ lang andauernde Jugendlichkeit herstellen lassen. 149 Euro kostet die Verschönerungs-Aktion, eine massive Attacke auf mein Sparschwein. Eine Scheibe Lipid-haltige Wurst ist preis-werter. Mein Metzger behauptet, die Wirkung sei die gleiche.

      Der Reichtum des Menschen bemesse sich an dem, worauf er verzichten könne, schreibt ein amerikanischer Schriftsteller. Wenn das Behar-rungsvermögen der Haut so ausgeprägt ist wie mein Charakter, wird es der luxuriösesten Schönheitskur schwerfallen, mich nachher anders aussehen zu lassen als vorher. Warum mich Hautverjüngungs-Strategien unterwerfen, wenn der Personalausweis immer noch die Anzahl meiner Lebensjahre verrät?

      Wenn ich nach ultimativer Gesichtspflege einem blond gelockten Jüngling ähnele, bin ich dann noch ich selbst? Freunde und Nachbarn stecken die Köpfe zusammen und tuscheln über mich. Sie werden sich womöglich nicht an mich erinnern. Veränderte Proportionen und der Verschwinde-Zauber einer alternden Haut könnten Verwirrung auslösen. Mein Selbstver- trauen wankt.

      Unverhältnismäßigem Darstellungs- und Repräsentationsbedürfnis werde ich wider-stehen, die Zeichen der Zeit und eine nicht mehr ganz junge Haut akzeptieren. Enttäu-schend für meine Haut. Es werden Tage kom-men, an denen ich nicht von hochwertigen Ölen verwöhnt, aber vom Glück gestreichelt werde. Wenn ich, statt ein Jugend-Stimulanz verordnen zu lassen, eine Scheibe Wurst verzehre, wird es mir die in die Jahre gekommene Haut danken.

      Mein Körper weiß sich zu wappnen. Ich kann ihn nicht überlisten. Ich muss nach keinem Jugend-Elixier suchen, das mich in permanente Gegenwart befördert. Alternde Haut ist keine behandlungsbedürftige Krankheit; sie ist un-abänderlich wie der Wechsel der Jahres-zeiten und lässt sich nicht wie ein Ärgernis aus der Welt schaffen. Zeit und Alter nagen an mir; dagegen ist kein lipidfreies oder lipidhaltiges Kraut gewachsen.

      149 Euro für eine fetthaltige Behandlung. Wie viele Scheiben Wurst gibt es dafür beim Metzger?

      Badetag

      Wellness hatte in meiner Kindheit einen anderen Stellenwert als heute. Sie hieß anders und verlief anders. Samstags in die Zink-badewanne lautete unsere wöchentliche Wellness-Veranstaltung. Diese nachkriegs-zeitliche Körperkultur fand in unserer großen Küche statt. Nach dem Mittagessen holte Mutter die Zinkbadewanne, die an einem Haken im Stall hing, in die Küche und stellte sie vor das Fenster. Ein bisschen sah sie nach Sarkophag aus. Die Wanne, Bütt hieß sie bei uns, sollte uns Wochenend-Labsal spenden. Uns - das waren Mutter, Tante, mein Bruder und ich.

      Mutter schleppte aus dem Waschbottich im Stall zehn Eimer heißes Wasser heran und goss es in die Wellness-Wanne. Auf dem Küchen-stuhl lag ein dickes Stück Kernseife. Die Reinigung versprach gründlich und porentief zu werden. Aromatische Düfte drangen nur vom Küchenherd herüber, auf dem die Rindfleisch-suppe für das Sonntagsessen kochte.

      Dann folgte ein entscheidender Augenblick. Quer durch die Küche spannte Mutter ein großes Tuch. Das Wellness-Studio wurde abgetrennt und entzog sich unseren Blicken. Mein Bruder und ich saßen auf der Küchen-bank, Blickrichtung Küchenfenster.

      Zuerst entschwand die Tante hinter den Vor-hang. Diese Spanische Wand der Katholiken verbarg Wesentliches. Nur an hellen Sommer-tagen ermöglichte uns das dahinter liegende Küchenfenster bescheidene Anatomie-Studien. Sobald die Tante ihren Baderitus absolviert hatte, erscholl Richtung Küchenbank das Kommando „umdrehen“. Sie entschwand dann wieder unseren Blicken.

      Die Badestube war aber längst nicht für uns beide frei. Jetzt kam Mutter an die Reihe. Das Badewasser war schon ziemlich eingetrübt. Mama fand das nicht schlimm. Sie nahm den großen Schöpflöffel, schöpfte den Seifen-Schmand von der Oberfläche ab und füllte einen Eimer heißes Wasser nach. Die gleiche Prozedur stand an, wenn der hierarchischen Ordnung nach ich in die Wanne steigen durfte.

      Das Badewasser hatte inzwischen deutliche Ähnlichkeit mit der Rindfleischbrühe auf dem Küchenherd angenommen, nur wesentlich trüber und mit diversen Einlagen versehen. Mutter hatte sich wieder angezogen und wusch mir den Kopf. Mit dem Handtuch, das zuvor mit verschiedenen anderen Körperteilen der Badefamilie Bekanntschaft gemacht hatte, trocknete sie mich ab. Dann konnte endlich auch mein Bruder in die Wanne steigen.

      In einem kostengünstig geführten Haushalt war Wasser sehr kostbar. Die Wanne inzwischen einem undurchdringlichen Tümpel, was den Reinigungszeremonien keinen Abbruch tat. Wenn wir am nächsten Morgen über dem Küchenherd die Wäscheleine mit den Socken baumeln sahen, ahnten wir, dass auch sie noch in der Brühe gewaschen worden waren.

      Es war ein spannender Samstag-Nachmittag daheim. Von Allergien oder Staubmilben, von Desinfektionsmitteln oder Fußpilz habe ich nie gehört. Wahrscheinlich gab es das nicht. Und krank geworden bin ich auch nicht.

      Sankt Brückentag

      Er ist bisher nicht zur Ehre der Altäre erhoben worden. Das kann nicht mehr lange dauern. Katholisch-kirchlicher Heiligsprechung geht voraus, dass jemand, der im Geruch der Heilig-keit steht, in besonderer Weise verehrt wird. In diesem Fall geschieht das unablässig.

      Sankt Brückentag ist ein außergewöhnlicher Heiliger. Nicht zu verwechseln mit Nepomuk oder Christophorus – Brückenheilige, die Brücken in ihre Obhut nehmen und diejenigen beschützen, welche sie überqueren.

      Sankt Brückentag ist ein Heiliger mit unver-wechselbarem Gesicht, mehr irdischer als himmlischer Beistand, ein Helfer in den Nöten des Lebens. Ihm zu Ehren werden Brückentag-Feste veranstaltet. Brückentag-Verehrer strö-men zusammen, um ihm ihre Referenz zu erweisen. Sankt Brückentag genießt hohes Ansehen, weil dank seiner Fürsprache mehrere Tage am Stück nicht gearbeitet werden muss. Unter Berücksichtigung von Feier- und Brückentagen lässt sich das Wochenende verlängern. Zusätzlich spart man Urlaubstage. Man nimmt die Welt neu wahr und entdeckt bisher nicht bekannte Freizeit-Strategien.

       Auf Heilige wie Sankt Brückentag, die wissen, was Menschen guttut, haben viele gewartet. Er ist kein Relikt