Peter Josef Dickers

Du lieber Himmel


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das, gestehen sich das aber nicht ein. Oft sind es Phasen vor einem Aufschwung. Nicht bei allen ist Aufschwung. Bei ihr ist Aufschwung. Lethargie oder Versprechungen waren gestern. Sie versteht es, über dem zu schweben, was das Leben anstrengend macht. Sie weiß Bedrohungs-Szenarien auszuweichen, Beschwichtigungs-Signale auszusenden und ein Feuerchen auszutreten, ehe es zum Brand wird.

      Sie hat geheiratet – Andy, den sie liebt. Auch wegen Emily, ihrer Tochter. Emily mag Andy, Andy mag Emily. Alle spüren, dass sie sich mögen. Sie haben gefeiert mit allen, die dabei waren.

      Sie wäre nicht Sie, wäre es eine Feier gewesen wie andere, wie bei anderen. Sie schätzt Sonderwege. Dutzend-Verhalten, Dutzend-Ware sind nicht ihre Art. Sie denkt in anderen Kategorien. Der Ort des Feierns, die zeitlichen Umstände, der Wolkenbruch – anders. Nicht Weihrauch-Atmosphäre. Dennoch feierlich. Sehnsuchts-Orte schlechthin gibt es nicht.

      Ihre Gäste waren nicht überrascht, dass sie zu ihrer Feier, zur Feier mit Andy und Emily, erschien, als sie es für notwendig hielt. Sie weiß um die Kunst des Planens und um die Kunst des Verwerfens. Ihre Genauigkeits-Ansprüche sind andere. Planungen sind das, was sie daraus macht. Sie bestimmt die Spiel-regeln. Ihre Gäste wussten das. Auch sie wusste, dass ihre Gäste das akzeptierten. Ihr Zeit-Horizont ist nichts für Kurzsichtige.

      Eine schöne Feier war es – mit Wolkenbruch, Sonnenschein und Segensworten:

       gesegnet sei die Reise durch die Jahre eures Lebens

       es gibt viele, die euch begleiten

       möget ihr Kraft haben, füreinander da zu sein

       wenn die Sonne für Euch lacht, wenn Wolken sich zusammenziehen

      Sie bestand ihr Examen. Sie bewies es ihren Kritikern – allen, die dachten, Geduld und Ausdauer seien nicht ihre Stärke. Sie schaffe nur Bastelarbeiten, nichts Endgültiges, dachten sie und beriefen sich auf Argumente. Jetzt verbergen sie nicht ihre Anerkennung.

      Sie ist wieder Mutter geworden. Lucy ist da. Kein Aufschrei wie damals, als Emily kam und alles zwecklos erschien: Schule, Zukunft, ihr Leben. Alles schien sie in Misskredit zu bringen.

      Emily veränderte ihr Leben. Wenn es um Emily geht, gerät sie ins Schwärmen. „Mit ihr kann man reden. Sie versteht alles.“ Inzwischen bastelt Emily an ihrem eigenen Weltbild, ihrem eigenen Profil. Sie weiß, was sie will. Mama arbeitet daran, das zu verstehen und zuzulassen, was Emily will. Auch Lucy war sofort will-kommen. Nicht drei, sondern vier sind sie jetzt. Eine Familie. Keine Sorge, übersehen oder vergessen zu werden.

      Ehemalige Gewissheiten wurden brüchig oder verfielen. Sie hat Freunde verloren, Freunde gewonnen. Sowohl-als-auch-Geschichten, erfreuliche und andere. Wenn sich etwas zusammenbraute, wusste sie, an wen sie sich wenden konnte. Andere müssen sich nicht als Retter feiern lassen. Letztlich hat sie sich selbst gerettet, ist Autor ihres Lebens geblieben, mit Andy, der sie liebt.

      Ihr Leben ist nicht zwecklos – nicht mehr, sagen einige. Es gab Stationen. Es wird weitere geben. Ihr Leben floss nicht ruhig dahin. Legenden und Geschichten oder Menschen, die ihretwegen die Backen aufblasen, kümmern sie nicht. Sie hat gelernt zu hören und zu über-hören, zu sehen und zu übersehen. Zu den Anfängen kehrt sie nicht zurück. Dieselben Schallplatten wird sie nicht auflegen.

      Es muss nicht alles so bleiben, wie es jetzt ist. Geschichten, die das Leben schreibt, sind oft Geschichten mit offenem Ende.

      Sie bleibt, wie sie ist, und begnügt sich nicht mit lauwarmen Gerichten. Sie ist nicht artig-defensiv. Sie war es nie. Sie ist, wie sie war, und ist es doch nicht. Ihre Spontaneität, das Unwägbare, Unkalkulierbare hat sie nicht abgelegt. Aber sie geht anders damit um.

      Es tut ihr gut, Frau, Partnerin, Mutter zu sein. Sie ist neu sortiert, neu orientiert. Und sie weiß: Nichts ist zwecklos.

      Das zeichnet sie aus. Gute Wünsche begleiten sie.

      Müssen oder nicht müssen

      Must-haves werden mir empfohlen. Muss ich haben, sagt man. Zum täglichen Bedarf gehö-ren sie nicht, aber das werde sich ändern, wird behauptet. Notwendig sollen sie sein. Vielleicht lebensnotwendig. Mit einem Minimum an Kenntnis kann ich ein Maximum an Must-haves erwerben. Mögen sie noch so unnütz erscheinen, mit ihnen soll ich Großes erreichen.

      Meistens habe ich mich gegen die Versuchung gewehrt, etwas haben zu müssen, was ich nicht brauche. Ermutigungsreden solcher und anderer Art habe ich widerstanden – auch dann, wenn Must-haves zur Hälfte vom üblichen Preis angeboten wurden oder sie nichts bis gar nichts kosteten. Versuchungen müsse ich nachgeben, werde ich belehrt. Man könne nicht wissen, ob sie wiederkämen.

      Dennoch handelte ich nicht entsprechend und ließ mich nicht aus der Reserve locken. Ehe ich an Neues dachte, überlegte ich, wofür es von Nutzen sein könne. Dass es der Verwirklichung meines Lebensglücks diene, konnte ich nicht festzustellen. Must-have? Meistens entschied ich für No-must-have.

      Dann entdeckte ich Karl Valentin: „Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“ Ich war verunsichert und sah mich entlarvt. Musste ich meine Apathie über-winden? Irgendetwas in mir versuchte Träume zu erzeugen. Mein Auto fuhr noch. Allerdings: So, wie es fuhr, konnte ich es nicht fahren nennen. Es bewegte sich, wenn ich es auffor-derte. Es blieb stehen, wenn ich es nicht aufforderte. Erwartung und Wirklichkeit passten nicht zusammen. Mein Auto war nicht verlässlich, obwohl ich mich darauf verließ.

      Sie brauchen ein neues Auto, sagte der Mann in der Werkstatt. Must-have. Bisher war ich mit ihm zufrieden, erwiderte ich. Es bleibt manch-mal stehen. Aber es hat verlässliche Seiten, obwohl sie überschaubar sind. Die Litanei der Schikanen ist lang. Ob ich zufrieden bin mit einem anderen Auto, weiß ich nicht.

      Der Mann in der Werkstatt zuckte mit den Schultern. Must-have, konstatierte er. Er wusste, wie man einen Kunden überzeugt, der mit sich ringt. Ich müsse mich entscheiden, drängte er mich. Must-have oder nicht Must-have. Haben müssen oder nicht haben müssen. Beides zusammen sei nicht möglich. Ich müsse das Auto loslassen, fügte er hinzu. Loslassen sei kein Zeichen von Schwäche. Loslassen müsse man, was nicht zu halten sei. Meine Verweigerungshaltung müsse ich aufgeben, von Rückzugsgefechten Abstand nehmen.

      Verlustbewältigungs-Strategien würden mir helfen. Mein altes Auto müsse ich nicht ver-gessen. Immer sei ich damit zu ihm gekommen. Das rechne er mir hoch an. Das Auto habe uns zu Freunden gemacht, für immer. Auch wenn ich mein Auto losließe, blieben wir Freunde. Er besorge mir ein Auto, das ich haben müsse.

      Er hielt eine Leichenrede auf mein Auto, von dem ich mich nicht trennen wollte. Es war bequem, ein richtiges Auto zu fahren. Daheim einsteigen, am Ziel aussteigen. Must-have. Aber wie oft war ich eingestiegen, um irgend-wo auszusteigen? Nicht oft. Must-have? Mein Leben hängt nicht vom Auto ab.

      Der Mann in der Werkstatt durchschaute mich. Er las meine Gedanken nicht zum ersten Mal. Seit Jahren versuchte er mich davon zu über-zeugen, dass ich ein neues Auto haben müsse. Bei jedem Werkstatt-Besuch der gleiche Wort-wechsel: Ich müsse ein anderes Auto haben. Must have. Es gibt keine schlechten Autos, beteuerte er, sondern nur Autos, die nicht mehr richtig fahren. Ein Warnsignal. Daher solle ich mich am Markt der vielen Möglichkeiten bedienen. Nie sei es einfacher als jetzt. Ich müsse mich befreien von alten Denkmustern und Bedürfnisse befriedigen.

      Meine Einsicht wuchs von Jahr zu Jahr. Taten sollten folgen. Der Rechtfertigungsdruck nahm zu. Weiter als zur Werkstatt kam ich selten mit meinem Auto. Die befindet sich direkt neben meiner Garage. Bis dahin schaffe ich es. Muss ich ein neues Auto haben?

      Der Mann wollte mich nicht gefügig machen, sondern überzeugen, einen Sinneswandel bei mir bewirken. Nie überschätzte er meine Möglichkeiten. Die Gespräche verliefen harmonisch. Brandreden führten wir nie. Er drängte