Peter Josef Dickers

Du lieber Himmel


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zeigte ihm meine Tasche, an die er sich erinnern musste. Damit tat er sich schwer. Bewusstseinsstörung? Er bat mich um Aufklärung. Damit tat ich mich schwer. Ich beichtete ihm meine Verfehlung, Geld von seiner Bank, dazu in großen Scheinen, ihm nicht mehr anvertraut und einem anderen Institut angeboten zu haben.

      Er ging nicht darauf ein und erkundigte sich, welchen Betrag ich einzahlen wollte. Die Frage verstand ich nicht, da ihm die Summe bekannt war. In meiner Tasche wartete sie darauf, sich in vertrauter Umgebung einfinden zu können. Der Berater zeigte sich ratlos. Er könne nicht um Herkunft und Inhalt meiner Tasche wissen, räusperte er sich. Er empfehle mir den Aus-tausch meiner Ersparnisse von Bank zu Bank.

      Das überforderte mich. Meine nicht kleinen, aber nicht zu üppigen Ersparnisse warteten im Niemandsland einer kleinen Tasche darauf, dorthin heimzukehren, von wo sie ihre Reise angetreten hatten. Die Ankunft blieb ihnen verwehrt. Die Begründung lag irgendwo hinter dem Horizont. Um dorthin zu gelangen, musste ich glühende Kohlen überwinden.

      Ich spürte Hilflosigkeit und drückte die Tasche fest an mich. Ich ließ mir aber nicht anmerken, dass ich mir um deren Inhalt keine Sorgen machte. Über meine Scheine wollte ich fortan selbst bestimmen. Es sollte ihnen kein Leid widerfahren. Beratern einer Bank würde ich sie nicht anvertrauen. Wir waren keine gleich-gewichtigen Partner, da wir offenbar nicht im selben Orbit kreisten. Wir würden uns nicht auf gemeinsame Positionen einigen, weil die Kom-munikationsebenen zwischen mir, meiner Tasche und einer Bank nicht miteinander korrespondierten. Absage an die Normalität. Ich war gefangen in einem Kuriositäten-Kabinett, in dem ich meine Erwartungen laufend nach unten korrigieren musste.

      Unser Finanzsystem bedarf der Korrektur. Bis sie verwirklicht ist, verbleiben einige große Scheine in meiner kleinen Tasche.

      Wunderbarer Teppich

      Wolfi war gut zu mir. Einen wunderbaren kleinen Teppich bot er mir an, mit eingeprägter Zertifikatsnummer. An der Echtheit war nicht zu zweifeln. Ich meinte zwar, ein ähnliches Stück schon einmal gesehen zu haben, aber es fiel mir nicht ein.

      Das gute Stück lag vor mir in der Diele. Der Preis war umwerfend günstig. Den könne ich für so wenig Geld von ihm haben, weil ich oft so gut zu ihm gewesen sei. Wolfi strahlte vor Dankbarkeit, obwohl er Geld von mir haben wollte. Er möchte mir etwas Gutes tun, sagte er. Ich konnte mir nicht erklären, wie er in den Besitz dieses kostbaren Stückes gekommen war. „Geerbt“, sagte er. Die Tante sei gestorben.

      Wolfi klingelte regelmäßig bei mir, wenn er etwas benötigte, Geld in der Regel. Nach und nach war ich großzügig geworden. Diese treue Seele wollte ich nicht abspeisen mit „Geh zum Sozialamt“ oder „Das Geld vertrinkst du ja wieder“. Wolfi wusste, was er an mir hatte. Deswegen bot er mir jetzt den Teppich an. Der lag jetzt in meiner Diele. Morgen wollte ich ihn reinigen lassen, da ich nicht wusste, welche lebenden und nicht lebenden Spuren sich in den unendlich vielen kleinen Knoten verbargen.

      Es schellte. Wolfi schon wieder? Nein, die Nachbarin. Sie habe eine unangenehme Frage, und sie wisse nicht, was sie machen solle. Mir konnte sie keine unangenehmen Fragen stellen. Meine gute Teppich-Laune verlieh mir Sicher-heit. Sie vermisse, kam es zögernd über ihre Lippen, einen kleinen Teppich, den sie unten im Hof in die Sonne gelegt habe.

      Gute Teppich-Laune. Wunderbares Stück. Umwerfend günstig. Dankbarkeit. Ähnliches schon einmal gesehen. Die Gedanken sind frei. Wolfi war weit weg. Sein Teppich, mein Teppich war auch weg. Ich übte mich in Schadensbegrenzung. Der Nachbarin fiel ein Stein vom Herzen. Mir ein Teppich.

      Die Menschen sind nicht schlecht. Sie wissen sich nur auf ihre Art zu helfen. Wolfi wird wieder bei mir schellen. Mit sich selbst ist er gnädig. Er genießt sein Daseinsglück und fühlt sich wohl in rechtsfreien Räumen. Soziale Hängematten sind ihm suspekt. Niemand kann ihn zum Glück zwingen. Er liebt die Ziellosig-keit; sie ist verlockend. Nach mir wird er sich sehnen, ohne sich an einen Teppich zu erinnern.

      Ich erhebe nicht vorwurfsvoll den Zeigefinger; denn ich kann ihm nicht den Weg weisen zu einer scheinbar richtigen Welt mit ihren Nor-men und Regeln. Er liebt offene Horizonte.

      Nicht der Letzte seiner Art

       Ein Aufschrei ging durch die Lande. Ein Skan-dal erschüttere den Verband, schrieben die Zeitungen, wussten die Medien. Ein "Sonnen-könig" erstrebe immer noch die höchste Leiter-Sprosse einer sich selbst für wichtig haltenden Vereinigung. Wann beginnt oder endet Vorsitz-Ewigkeit? Ab wann ist man unsterblich? Die meisten wissen es nicht.

       Er denkt in anderen Dimensionen. Sein Auf-treten überzeugte. Recht und Moral waren auf seiner Seite, ohne dass er andere diskreditieren musste. Seinem Sendungs-Bewusstsein konnte niemand widerstehen – auch die nicht, die widerstehen wollten. Daher Palastrevolution in der Klein-gartenanlage. Das Huhn, das goldene Eier legte, wollte man nicht schlachten.

      Er sei nicht perfekt, gibt er zu. Er hält sich nicht für den Unfehlbaren, der auf der Tastatur nie danebengreift. Kein Eingeständnis des Schei-terns. Er wolle nicht vor sich davonlaufen, verteidigt er sich. Dass er mit Tränen kämpfte, mit unscheinbaren Tränen, merkte nur er. Einen Augenblick lang fürchtete er um den Verlust seiner Bedeutung. Vergangene Taten wirken umso großartiger, je länger und weiter man sich von ihnen entfernt. Siegerposen hält er unter Verschluss, um der Anderen willen.

      Der Einzige seiner Art? Alarmierende Nach-richten wird es immer geben. Jede Meldung findet ihr Publikum. Leser und Zuhörer haben es nicht leicht, sich zurechtzufinden in der Nachrichtenschwemme auf der Suche nach besorgniserregenden Neuigkeiten.

      Wenn sich der Betroffene eine Weile Ruhe gegönnt hat, entscheidet er sich, das erwarten viele, für das Aufhören. Er wird vom Baum herabsteigen, auf den er geklettert war, und das Dickicht aus unausgesprochenen Wünschen, Zweifeln und Vorwürfen verlassen, wenn sich kein Ausweg findet oder moralische Zäune errichtet werden. Er muss nicht wollen, was nicht sein soll oder nicht in sein Selbstver-ständnis passt.

      Mit ein paar warmen Worten geht er nicht fort. In Selbstmitleid versinkt er nicht. Keine Rückkehr in die Tristesse. Kein Sprung ins Ungewisse. Auf Verachtung, die ihm widerfuhr, kann er in Ruhe reagieren. Er ist nicht Laden-hüter, will nicht Recht haben um jeden Preis, sondern Frieden mit sich. Er wird sich nach Harmonie und Seelenruhe sehnen, wenn sein Schiff zu sinken droht. Aufhören ist schön, wenn er woanders beginnen kann. Auch an kleinen Siegen kann er sich erfreuen.

      Dann wissen die Anderen nicht, was sie mit ihm und sich anfangen sollen. Unbehagen wird sich breit machen. Spielverderber wäre er, würde er aufhören. Beunruhigend wäre sein Bedürfnis nach Ruhe. „Jene, die Ruhe pflegen, kommen manchen ungelegen.“ Wilhelm Busch wusste das. Alles soll anders werden. Auch mit ihnen. Das hätten sie anders haben können, die Teilzeit-Moralisten, die sonst nichts zu sagen haben. Doch sie wollten es nicht anders.

      Am Ende, wenn der Donnerhall verklungen ist, überlegt er es sich aber und erliegt neuen Umarmungen, eingedenk seines Sendungs-bewusstseins. Ein Abschied dann, der keiner war. Die Zeit mit Abwarten vertändeln, in Langeweile taumeln, nach buddhistischer Art unter einem Baum sitzen und auf das Nichts warten, liegt ihm nicht. Lieber macht er eine Rolle rückwärts und findet Geschmack an dem, was er gekostet hat.

      Demütigende Orte meidet er. Selbstgeißelung kein Thema. Geschehenes kann er vergessen. Er wird wieder Wurzeln schlagen, Gemeinsam-keiten finden, Machtoptionen ausloten, das Bad in der Menge suchen. Er passt sich Zeitläuften an. Sein Feuer ist nicht erloschen. Er hat noch Pfeile im Köcher. In der Vitrine ist Platz für Pokale eines Wiederholungstäters. Sich war er stets einen Schritt voraus. Der Himmel wird nicht grollen.

      Er muss sich der Welt nicht anpassen, sondern wird sich neue Welten schaffen. Er braucht keine Notruf-Nummern, wenn er einen Weckruf verspürt. Wie König Lear, der sein Reich an die Töchter verschenkt und dann von ihnen verjagt wird, wird es ihm nicht ergehen.

       Ist der Gescholtene der Letzte seiner Art? Es gibt Andere, Andere seiner Art.