Isabella Defano

Vergnügt! Ein Treffen in den Wolken


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du brauchst mich doch“, warf Matthias ein. „Immerhin wolltest du mehr Zeit mit Jessica verbringen.“

      „Das werde ich auch“, versprach Christian entschieden. „Claas hat bereits angedeutet, dass er bald in den Ruhestand gehen möchte. Mit dir zusammen wäre es kein Problem gewesen, seine Aufgaben zwischen uns aufzuteilen. Aber so werde ich mich nach einen neuen Verwalter umsehen, der dann auch den Zuchtbereich mit übernimmt. Diese Idee hatte ich schon früher, doch ich wollte Claas diese Zusatzbelastung in seinem Alter nicht mehr antun.“

      Schweigend sah Matthias seinen Bruder an. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Im Gegenteil, eigentlich war er auf einen heftigen Wutanfall eingestellt gewesen.

      „Danke“, sagte Matthias schließlich und seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. „Du weißt nicht, wie viel mir dein Einverständnis bedeutet. Seit mir letzte Woche eine Stelle als Projektmanager in Graz angeboten wurde, habe ich darüber nachgegrübelt, wie ich es dir sagen soll. Ich könnte dort nämlich im Januar das Themengebiet Landwirtschaft und Umwelt übernehmen. Ich muss mich nur innerhalb von zwei Wochen entscheiden.“

      „Und dieses Angebot wolltest du ausschlagen?“, wollte Christian ungläubig wissen und Matthias zuckte mit den Schultern.

      „Es ist auch mein Zuhause und ich hatte nie vor, dich im Stich zu lassen. Und das werde ich auch nicht“, versprach er aufrichtig. „Schließlich werde ich auf der Farm wohnen. Im Notfall kann ich jederzeit einspringen und dir helfen.“

      „Einverstanden“, erwiderte Christian lächelnd. „Das hört sich gut an. Aber eins musst du mir versprechen, in Zukunft keine Geheimnisse mehr. Wenn du etwas auf dem Herzen hast, dann rede mit mir. Ich bin dein Bruder, nicht dein Vorgesetzter. Wir sind ein Team. Doch die Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn wir uns aufeinander verlassen können.“

      „Versprochen“, versicherte Matthias und atmete tief durch. „Aber jetzt sollten wir uns um die Übergabe kümmern. Schließlich heiratest du in zwei Tagen und es gibt noch viel zu tun.“

      Christian nickte und reichte seinem Bruder eine blaue Mappe. Dann begannen sie damit, die verschiedenen Papiere und Abläufe durchzugehen.

      „Was ist mit dir, Rahel. Bist du am Wochenende mit dabei?“, wollte Leah Schneider lächelnd wissen, während sie sich eine braune Strähne aus dem Gesicht wischte. „Es wird bestimmt toll.“

      „Ich kann leider nicht“, erwiderte Rahel traurig und sah ihre Freundin an, mit der sie zusammen eine Ausbildung zur Flugbegleiterin machte. „Meine Eltern wollen unbedingt, dass ich sie nach Österreich begleite. Die Tochter meiner Mutter heiratet doch am Samstag“, erklärte sie frustriert. „Daher musste ich mir morgen freinehmen. Obwohl ich viel lieber zum Unterricht gegangen wäre.“

      Überrascht sah die junge Frau Rahel an.

      „Du gehst lieber zur Schule als zur Hochzeit deiner Schwester? Bist du verrückt?“

      „Sie ist nicht meine Schwester“, stellte Rahel klar. „Ich kenne diese Frau nicht einmal. Meine Mutter hat mit 16 Jahren Zwillinge bekommen und die zur Adoption freigegeben. Tja, und vor etwas über einem Jahr haben die plötzlich angefangen, nach ihrer leiblichen Mutter zu suchen. Seitdem ist in unserer Familie nichts mehr so, wie es einmal war.“

      „Oh“, erwiderte Rahels Freundin verwirrt. „Das hast du mir gar nicht erzählt.“

      Rahel zuckte mit den Schultern.

      „Ich rede auch nicht gerne darüber“, antwortete sie bedrückt. „Wenn es nach mir ginge, würde ich diese Geschichte sogar am liebsten vergessen. Ich meine, warum mussten die nach so vielen Jahren plötzlich auftauchen und alles kaputt machen“, wollte Rahel aufgebracht wissen. „Wir waren eine glückliche Familie. Aber jetzt dreht sich alles nur noch um Jessica und Larissa. Meine Mutter kennt gar kein anderes Thema mehr. Ständig fährt sie nach München oder Österreich, um die beiden zu besuchen. Meine jüngeren Geschwister und ich sind völlig abgemeldet.“

      „Das tut mir echt leid für dich“, sagte Leah und sah Rahel mitfühlend an. „Und wieso musst du dann unbedingt mit?“

      „Keine Ahnung“, erwiderte Rahel frustriert, während sie zusammen zur Bushaltestelle gingen. „Meine Mutter hofft wohl, ich würde mich von ihren Töchtern einwickeln lassen, wenn ich sie näher kennenlerne. Bei meinen jüngeren Geschwistern hat es nämlich geklappt. Aber die sind erst vierzehn und elf, also noch leicht zu beeinflussen. Ich hingegen weiß es besser und kann auf diese Hochzeit gerne verzichten. Sollen die doch mit ihren Adoptiveltern feiern, statt sich in meine Familie zu drängen.“

      Als Rahels Bus kam, stöhnte sie auf.

      „Wieso muss er ausgerechnet heute pünktlich sein?“

      „Rede doch noch einmal mit deinen Eltern, vielleicht kannst du hierbleiben“, schlug Leah vor, als der Bus anhielt. „Ich würde mich freuen.“

      Rahel nickte, obwohl sie nicht daran glaubte, dass ihre Mutter ihre Meinung noch ändern würde, und stieg ein. Kurz winkte sie Leah zu, während sich der Bus in Bewegung setzte, dann ließ sie sich auf einen freien Sitzplatz fallen.

      Im Grunde war ihre Situation hoffnungslos, das war ihr völlig klar. Schließlich hatte sie in den letzten Wochen nicht nur einmal mit ihren Eltern darüber gesprochen. Aber ganz egal, mit welcher Begründung sie kam, nichts hatte ihre Mutter überzeugt. Und langsam gingen ihr die Ideen aus.

      Nachdem der Bus in der Nähe ihres Elternhauses angehalten hatte, machte sich Rahel nur widerwillig auf den Weg. Am liebsten wäre sie umgedreht und zurück zu ihrer Freundin gefahren. Doch ihre Eltern hätten sofort gewusst, wohin sie gegangen war. Schließlich kannten Leah und sie sich schon ewig.

      Bereits im Kindergarten waren sie eng befreundet gewesen und hatten früher sogar im selben Hochhaus gewohnt. Immer hatten sie alles zusammen gemacht und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Aus diesem Grund war es für sie nie eine Frage gewesen, auch gemeinsam eine Ausbildung zu beginnen. Und zum Glück hatte man sie beide bei der Fluggesellschaft angenommen.

      Leider werden wir aber nie zusammen fliegen, ging es Rahel durch den Kopf und sie stieß mit ihrem Schuh gegen einen Stein. Zwar hatte sie es Leah noch nicht gesagt, doch sobald sie ihre Prüfung bestanden hatte, würde sie von hier wegziehen. Bereits vor Wochen hatte sie darüber mit ihrer Vorgesetzten, Frau Kohler, gesprochen, in der Hoffnung, sie könnte später von einem anderen Flughafen aus starten. Und obwohl sie noch keine feste Zusage bekommen hatte, war sie sehr zuversichtlich, dass es klappte.

      Als Rahel das verklinkerte Einfamilienhaus mit schwarzem Ziegeldach im begehrten Stadtteil Köln-Sürth erreichte, blieb sie schweigend stehen und atmete tief durch. Erst vor drei Jahren hatten ihre Eltern dieses Haus gekauft, doch inzwischen fühlte es sich nicht mehr wie ein Zuhause an. Kein Wunder, ging es ihr durch den Kopf, als sie das Auto ihres Vaters sah, vor dem bereits einige Taschen und Koffer standen. Durch die beiden Töchter ihrer Mutter hatte sich alles verändert. Dabei hatte sie dieses Gebäude einmal wegen seines großzügigen Gartens, der guten Lage und ihrem eigenen Zimmer sehr geliebt.

      Noch einmal atmete Rahel tief durch, dann ging sie, ohne dem Gepäck einen weiteren Blick zu gönnen, ins Haus hinein. Sie wollte jetzt nur noch auf ihr Zimmer gehen, um sich auf ihre Prüfung als Flugbegleiterin vorzubereiten. Schließlich war dies ihre einzige Chance, diese Stadt und ihre Familie schon bald zu verlassen.

      Doch kaum hatte sie die Haustür geöffnet, hörte sie bereits die Stimme ihrer Mutter aus der Küche und ihre Hände verkrampften sich zu Fäusten.

      „Rahel, bis du es? Hast du schon deinen Koffer gepackt?“

      Rahel machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern ging, ohne ein Wort zu sagen, die Treppe nach oben. Natürlich hatte sie noch nicht gepackt. Warum hätte ich das auch tun sollen?, dachte sie genervt. Schließlich will ich nicht mitfahren. Doch viel Zeit blieb ihr nicht mehr, um ihre Eltern zu überzeugen. Denn bereits morgen früh sollte es losgehen.