Isabella Defano

Vergnügt! Ein Treffen in den Wolken


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ihr jemand geschrieben hatte, dann griff sie nach ihrer Umhängetasche. Schweigend holte Rahel ihre Notizen und das Lehrbuch heraus und legte alles vor sich hin. Doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Zu viel ging ihr im Kopf herum und schließlich gab sie es auf.

      Wütend auf die ganze Situation ließ sie sich aufs Bett fallen und starrte an die Decke. Sofort musste sie wieder an die Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter denken, die kein Ende zu nehmen schienen. Dabei waren all diese Streitigkeiten gar nicht ihre Art. Im Gegenteil, meistens schämte sie sich später dafür und hätte sich am liebsten entschuldigt. Doch sie kam einfach nicht damit klar, dass ihre Mutter plötzlich Geheimnisse vor ihr hatte. Es Dinge in ihrem Leben gab, die sie scheinbar nur mit ihren anderen Töchtern teilen wollte. Und sie konnte nicht verstehen, dass ihre Mutter selbst ihr nie von ihren Zwillingstöchtern erzählt hatte.

      Rahel seufzte auf und lehnte sich im Schneidersitz an die Wand. Am liebsten würde sie die Zeit zurückdrehen, aber das war nicht möglich. Denn selbst nach einem Jahr konnte sie sich noch ganz genau an den Tag erinnern, als sich das heile Bild ihrer Familie radikal veränderte.

      Sie waren von ihrem jährlichen Familienurlaub zurückgekehrt, als ihre Mutter eine Nachricht von ihrem Vater auf dem Anrufbeantworter vorfand. Ohne eine Erklärung war sie daraufhin nach Österreich aufgebrochen, obwohl sie noch nicht einmal ausgepackt hatten. Ganze zwei Tage war sie ohne ein Lebenszeichen weg gewesen und Rahel hatte sich furchtbare Sorgen gemacht. Bis sie dann plötzlich wieder da war und ihrer Familie von ihren Zwillingstöchtern erzählte. Töchter, die sie mit 16 bekommen hatte und die anschließend von zwei unterschiedlichen Ehepaaren adoptiert worden waren.

      „Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Babys eines Tages wiedersehe. Es ist wie ein Wunder. Und die beiden sind mir so ähnlich. Sie haben meine blauen Augen und blonde Haare. Und Larissa ist sogar bereits verheiratet und hat selbst zwei kleine Mädchen. Ich kann es nicht erwarten, die beiden kennenzulernen.“

      Wut stieg in Rahel hoch, als sie sich an diesen Tag und die schwärmerischen Worte ihrer Mutter erinnerte.

      „Sie sind mir so ähnlich“, äffte sie deren Stimme nach.

      Das konnte man von ihr natürlich nicht sagen. Sie und ihre Geschwister hatten die schwarzen Haare und braunen Augen ihres Vaters geerbt. Kein Wunder, dass wir jetzt abgemeldet sind, ging es Rahel durch den Kopf. Wahrscheinlich wünscht sie sich, sie hätte die beiden nie weggegeben.

      Tränen stiegen Rahel in die Augen und sie wischte sie mit einer Hand fort. Sie fühlte sich von ihrer Mutter verraten. Bisher war sie immer die Älteste gewesen. Hatte sich um ihre jüngeren Geschwister gekümmert und ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern gehabt. Ja, dachte sie verbittert. Ich war die perfekte Tochter, die nie Ärger gemacht oder für Unruhe gesorgt hat. Dass sich jetzt alles nur noch um die anderen Kinder ihrer Mutter drehte, tat sehr weh. Trotzdem wurde wie selbstverständlich von ihr erwartet, diese neuen Schwestern mit offenen Armen willkommen zu heißen. Dabei waren Jessica und Larissa für Rahel nur Fremde.

      Verletzt sah sich Rahel in ihrem Zimmer um. Früher hatten an der Wand über ihrem Bett Bilder von ihrer Familie gehangen, aber inzwischen hatte sie diese abgenommen. Nach dem Geständnis ihrer Mutter und dem seltsamen Verhalten ihres Vaters hatten sie sich nur noch falsch angefühlt. Sie waren gar nicht so eine glückliche Familie, wie sie es immer gedacht hatte. Sonst hätte ihre Mutter ihr niemals eine solche Geschichte verheimlicht. Im Gegenteil, sie wäre zu ihr gekommen, um ihr zu erzählen, warum sie ihre Kinder damals weggegeben hatte. Doch wie ihre jüngeren Geschwister hatte sie von ihren Eltern nur das Nötigste erfahren. Ja, man hatte sie wie ein kleines Kind behandelt.

      Um sich abzulenken und um nicht länger über die beiden fremden Frauen nachdenken zu müssen, ging Rahel an ihren Schreibtisch zurück. Bald bin ich sowieso weg, ging es ihr durch den Kopf, während sie sich ein paar Notizen machte. Schließlich gab es nach der Trennung von ihrem Freund nichts mehr, was sie in dieser Stadt noch hielt. Im Gegenteil, ihre Eltern waren bestimmt froh, wenn sie weg war.

      „Rahel?“

      Als Rahel die Stimme ihrer Mutter hörte, legte sie fluchend ihren Stift zur Seite und atmete tief durch. Sie tat so, als hätte sie den Ruf nicht gehört, doch so einfach wollte Liesbeth Biedenfeld es ihr nicht machen. Schritte waren auf der schmalen Holztreppe zu hören, die ins Dachgeschoss führte und bereits nach wenigen Minuten wurde ihre Zimmertür geöffnet.

      „Hast du mich nicht gehört?“, wollte ihre Mutter wissen und sah sich suchend um. „Du hast noch gar nicht gepackt?“

      „Ich muss lernen“, antwortete Rahel gereizt, ohne sich umzudrehen, und blätterte geräuschvoll eine Seite um. „Die Prüfung ist in zwei Wochen.“

      „Das kannst du auch im Auto machen“, erwiderte Liesbeth Biedenfeld freundlich, ohne auf die schlechte Stimmung ihrer Tochter einzugehen. „Schließlich sind wir morgen fast neun Stunden unterwegs. Aber Papa möchte noch heute Abend alles im Wagen verstauen, damit wir gleich in der Früh losfahren können.“

      „Und was habe ich damit zu tun?“, wollte Rahel genervt wissen und drehte sich zu ihrer Mutter um. „Ich habe doch gesagt, dass ich nicht mitfahren möchte. Außerdem hat Leah mich gefragt, ob wir am Wochenende zusammen lernen wollen.“

      Deutlich frustriert verschränkte Liesbeth Biedenfeld die Arme vor ihrer Brust und sah ihre Tochter eindringlich an.

      „Ich dachte, das hätten wir geklärt. Wir fahren alle hin. Schließlich ist es die Hochzeit deiner Schwester.“

      „Sie ist nicht meine Schwester“, sagte Rahel leise, doch ihre Mutter hatte es verstanden und stöhnte auf.

      „Fang nicht schon wieder damit an“, anwortete sie gereizt. „Ob es dir gefällt oder nicht, Jessica und Larissa sind meine Töchter und gehören somit zur Familie. Wieso machst du es uns also so schwer?“

      „Ich habe nicht all die Jahre gelogen und meine Kinder verheimlicht“, antwortete Rahel wütend und stand auf. „Also gib mir nicht die Schuld.“

      „Rahel“, erwiderte Liesbeth Biedenfeld angespannt und berührte mit einer Hand ihre Schläfe. „Die Geschichte ist nun schon über ein Jahr her. Langsam ist es genug. Oder glaubst du, für mich war es leicht? Ich hatte all die Jahre keine Ahnung, wo sich meine Kinder befinden. Was hätte ich euch da erzählen sollen?“

      „Die Wahrheit“, schlug Rahel immer noch wütend vor und lehnte sich an ihren Schreibtisch zurück. „Stattdessen hast du geschwiegen.“

      „Du verstehst es einfach nicht“, sagte Liesbeth Biedenfeld kopfschüttelnd und atmete tief durch. „Das habe ich getan, weil es nichts geändert hätte. Ich habe nie damit gerechnet, meine Kinder noch einmal wiederzusehen. Dass es nun doch passiert ist, ist ein Geschenk. Und ich wünschte, du würdest anfangen, es auch so zu sehen. Und was das Lernen mit Leah betrifft. Ich weiß von der Party am Wochenende. Ihre Mutter hat es mir nämlich erzählt. Und sag nicht, du hättest es nicht gewusst.“

      Rahel verschränkte die Arme vor ihrer Brust und fluchte innerlich. Warum muss sie auch ausgerechnet mit Leahs Mutter befreundet sein?, dachte sie frustriert. Doch sie sagte nichts weiter dazu. Es hätte sowieso keinen Sinn.

      „Rahel“, ergänzte Liesbeth Biedenfeld ruhig, als ihre Tochter nichts erwiderte, und sah sie eindringlich an. „Ich weiß ja, es ist nicht leicht. Aber ich bin sicher, du wirst Jessica und Larissa mögen, wenn du sie erst besser kennst. Und von mir aus kann Sebastian uns begleiten.“

      „Sebastian und ich haben uns schon vor vier Wochen getrennt“, sagte Rahel mit ernster Miene, ohne ihre Mutter aus den Augen zu lassen. „Er wird also kaum mit nach Österreich kommen.“

      Überrascht sah Liesbeth Biedenfeld ihre Tochter an.

      „Das hast du mir gar nicht erzählt. Was ist denn passiert? Habt ihr euch gestritten? Ihr wart doch immer so ein tolles Paar.“

      Rahel zuckte nur mit den Schultern.

      „Warum hätte ich dir davon erzählen sollen?“, wollte sie traurig wissen. „Du hast doch auch Geheimnisse vor mir. Außerdem habe ich