Isabella Defano

Vergnügt! Ein Treffen in den Wolken


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an. „Du kannst mit mir über alles reden. Das war doch schon immer so. Und daran hat sich nichts geändert.“

      „Doch, hat es“, erwiderte Rahel bitter. „Du hast mit den Geheimnissen angefangen. Warum soll ich dir alles erzählen, wenn du nicht genauso ehrlich zu mir bist?“

      Liesbeth Biedenfeld atmete tief durch und fuhr sich frustriert durch ihr kurzes dunkelblondes Haar.

      „Wir treten auf der Stelle“, sagte sie schließlich und ihre blauen Augen sahen Rahel traurig an. „Du versuchst nicht einmal, mich zu verstehen. Mir war klar, dass es nichts bringen würde, euch mit diesem Schmerz zu belasten. Daher habe ich geschwiegen. Und dafür werde ich mich nicht entschuldigen. Jetzt habe ich die Chance, am Leben meiner Töchter teilzunehmen. So wie ich es mir immer gewünscht habe. Sie können ein Teil meiner Familie sein. Wieso kannst du das nicht akzeptieren?“

      „Darum geht es doch gar nicht“, erwiderte Rahel verletzt. „Ich will doch nur die Wahrheit wissen. Wenn du dir das so gewünscht hast, warum hast du deine Kinder dann weggegeben?“, wollte sie nicht zum ersten Mal wissen.

      Doch wie immer, wenn Rahel diese Frage stellte, sah ihre Mutter sie auch heute nur schweigend an. Dann wechselte sie das Thema.

      „Du solltest jetzt packen. Danach komm runter zum Essen“, sagte Liesbeth Biedenfeld tonlos und verließ das Zimmer.

      Schweigend sah Rahel ihrer Mutter hinterher, ohne eine Miene zu verziehen. Erst als die Tür ins Schloss gefallen war, traten ihr die Tränen in die Augen und sie wischte sie mit einer Hand fort. Früher hatten sie sich nie gestritten. Im Gegenteil, sie waren ein richtiges Mutter-Tochter-Gespann gewesen. Aber dieses Geheimnis hatte alles kaputt gemacht. Und es machte sie fertig, dass ihre Mutter mit ihr nicht über die Vergangenheit sprechen wollte.

      Da Rahel wusste, dass eine weitere Auseinandersetzung nichts bringen würde, begann sie, lustlos ein paar Sachen in ihre Reisetasche zu werfen. Sie musste es einfach positiv sehen. Schließlich konnte sie in Judenburg auch ihre Großeltern einmal wiedersehen. Da ihre Eltern und Geschwister im letzten Jahr zur Farm gefahren waren, war ihre letzte Begegnung schon einige Monate her. Und Claas und Gertrud Philipps waren immerhin die einzigen Großeltern, die sie noch hatte.

      Als Rahel eine halbe Stunde später mit ihrer Reisetasche nach unten ging, saß der Rest ihrer Familie bereits am Küchentisch. Aufgeregt redeten ihre Geschwister durcheinander, denn sie freuten sich darauf, ihre Freunde auf der Farm wiederzusehen. Als sie in die Küche kam, erstarb das Gespräch und Rahel setzte sich schweigend auf ihren Platz.

      „Kommst du doch noch zum Essen?“, unterbrach Lars Biedenfeld das Schweigen und sah seine Tochter mit ernster Miene an. „Ich hoffe, du bist fertig mit packen.“

      „Ja“, erwiderte Rahel knapp und nahm sich eine Scheibe Brot. „Die Tasche steht neben der Treppe.“

      Lars Biedenfeld nickte, sah Rahel aber weiter eindringlich an.

      „Besonders glücklich siehst du aber nicht aus.“

      „Wundert dich das“, antwortete Rahel ohne nachzudenken, und sah zu ihrer Mutter. „Schließlich werde ich praktisch dazu gezwungen, mitzufahren. Dabei muss ich mich auf meine Prüfung vorbereiten und …“

      „Es reicht“, unterbrach Lars Biedenfeld seine Tochter wütend. Dann wandte er sich an seine anderen Kinder. „Tito, Becca, geht bitte nach oben und esst in euren Zimmern weiter.“

      Kurz sahen die beiden zu ihrer großen Schwester hin, dann nickten sie und verließen mit ihren Tellern die Küche. Kaum waren sie verschwunden, wandte sich Lars Biedenfeld wieder Rahel zu.

      „Langsam habe ich genug von deinem Verhalten“, stellte er klar. „Seit über einem Jahr benimmst du dich wie ein kleines Kind. Dabei solltest du es mit deinen 18 Jahren längst besser wissen. Hör also auf, dich so kindisch zu benehmen, und akzeptiere endlich, dass Jessica und Larissa jetzt zur Familie gehören.“

      Verletzt sah Rahel ihren Vater an. Bisher hatte sie immer gehofft, dass er auf ihrer Seite war. Schließlich hatte er sich damals dafür stark gemacht, dass sie in Köln bei ihren Freunden bleiben durfte, nachdem ihre Mutter die Bombe hatte platzen lassen. Aber scheinbar hatte sie sich geirrt. Obwohl ihre Mutter auch ihn jahrelang belogen hatte, hielt ihr Vater zu seiner Frau.

      Plötzlich hatte sie keinen Appetit mehr und schob ihren Teller zur Seite.

      „Larissa und Jessica“, wiederholte sie leise. „Es dreht sich doch sowieso alles nur noch um die beiden. Ich bin euch inzwischen völlig egal.“

      „Du weißt, dass das nicht stimmt“, erwiderte ihr Vater ernst. „Natürlich bist du uns nicht egal. Aber du solltest auch verstehen, wie sehr sich deine Mutter über das Wiedersehen mit ihren Töchtern freut.“

      Rahel sagte nichts weiter dazu, sondern sprang von ihrem Stuhl auf und lief nach oben. Sie fühlte sich verletzt und einsam. Und das in ihrer eigenen Familie. Niemand versteht mich, ging es ihr durch den Kopf. Nicht einmal ihr Vater, der ihre Gefühle doch eigentlich teilen müsste. Doch wie die anderen hatte er sich für eine Seite entschieden. Wie sie dazu stand, war völlig egal.

      Tränen liefen Rahel die Wangen hinunter und sie ließ sich auf ihr Bett fallen. Früher war alles viel besser gewesen. Seit sie denken konnte, war sie mit allen Sorgen und Problemen zu ihrer Mutter gegangen. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie als Kind vom Fahrrad gefallen war, oder Liebeskummer hatte. Ja, selbst aus ihrem Vorhaben, mit ihrem Freund intim zu werden, hatte sie kein Geheimnis gemacht. Umso schlimmer war das Gefühl des Verrats, als die Wahrheit über die Vergangenheit ihrer Mutter ans Licht kam. Jahrelang hatte sie die Existenz ihrer beiden Töchter verschwiegen und so getan, als würde es sie nicht geben. Und egal, wie ihre Eltern dieses Verhalten erklärten, für Rahel machte es keinen Unterschied. Sie hatte das Vertrauen in ihre Mutter verloren.

      Rahel wusste nicht, wie lange sie weinend auf dem Bett gelegen hatte, als ein leises Klopfen sie aus ihren Gedanken riss. Schnell wischte sie sich mit einer Hand die Tränen aus dem Gesicht und setzte sich auf.

      „Was ist?“, fragte sie ernst und kurze Zeit später öffnete sich die Tür und ihre jüngeren Geschwister kamen ins Zimmer.

      „Stören wir“, fragte die 14-jährige Becca, deren lange schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten waren, und zwei braune Augenpaare sahen Rahel fragend an.

      „Wir können auch wieder gehen“, ergänzte der fast zwölf jährige Tito. „Wenn es dir lieber ist.“

      Rahel schüttelte mit dem Kopf.

      „Kommt rein“, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln. Und sah ihren Geschwistern zu, wie sie die Tür zumachten und sich zu ihr auf das Bett setzten.

      Lange sagte niemand etwas, bis Becca das Schweigen unterbrach.

      „Mama ist traurig“, sagte sie leise. „Und Papa ist wütend auf dich.“

      „Hat er das gesagt?“, wollte Rahel mit ernster Miene wissen und ihre Finger verkrampften sich zu Fäusten.

      „Nein“, erwiderte Becca und schüttelte mit dem Kopf. „Aber man hat es gemerkt. Er hat kein Wort gesagt, während er das Auto eingeräumt hat. Und Mama hat sich hingelegt. Dabei geht sie sonst nie so früh ins Bett.“

      „Die beiden beruhigen sich schon wieder“, antwortete Rahel, obwohl sie nicht wirklich davon überzeugt war. Es ist halt nicht mehr so wie früher, dachte sie traurig. Seit die Zwillinge aufgetaucht sind, hat sich alles verändert.

      „Wieso magst du die Jessica und Larissa eigentlich nicht?“, wollte Tito plötzlich wissen und Rahel sah ihren kleinen Bruder überrascht an. „Sie sind doch ganz nett.“

      „Das verstehst du noch nicht“, erwiderte sie ausweichend. Wie auch?, ging es ihr durch den Kopf. Die beiden hatten nie so ein enges Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt, sondern immer alles zusammen gemacht. Anders als Rahel, die sich dafür oft schon zu alt gefühlt hatte. „Weißt du, ich bin traurig, weil Mama es uns nicht früher gesagt hat“, versuchte Rahel, ihre Gefühle zu erklären.