Mira Bergen

Verflixt und ausgesperrt!


Скачать книгу

Zwar enthielten die Speisen gelegentlich größere Mengen Gemüse, doch die Heinzelmännchen schienen sich bewusst zu sein, für wen sie da kochten. Das Gemüse war immer geschickt versteckt. Meistens in Fleisch.

      Die Zwerge kulinarisch zu versorgen, war bisher immer ein tagfüllendes Programm gewesen. Ratlos besuchte der Koch die Bibliothek, wo es ein sehr kleines Regal mit der Aufschrift Freizeitbeschäftigungen gab. Bis vor kurzem wäre es der Gipfel der Schande gewesen, sich vor diesem Regal sehen zu lassen und vielleicht gar noch ein Buch daraus zu lesen.

      Jetzt musste der Koch feststellen, dass andere Zwerge schneller gewesen waren. Nachdem er sich durch die Zwergenmenge nach vorn gekämpft hatte, starrte ihm ein leeres Regal entgegen.

      Ein fast leeres. Nur ein einziges Buch befand sich noch darin. Es trug den vielversprechenden Titel Stricken und Häkeln sommerlicher Damenmode.

      Der Koch runzelte nachdenklich die Stirn. Dahinter reifte die Erkenntnis, dass er nicht so verzweifelt war. Noch nicht.

      ***

      Verblüfft musterte Constantin seine interessant gefaltete Serviette. Vermutlich sollte sie einen Frosch darstellen. Oder etwas in der Art. Constantin wollte sich da nicht festlegen.

      Das ging jetzt jeden Tag so. Das Essen war vorzüglich, wenngleich mitunter etwas fleischarm. Alles war verlockend angerichtet und liebevoll in mundgerechte Stücke geschnitten, die die Form von Häschen oder Blümchen hatten.

      Letzteres fand Constantin etwas übertrieben. Außerdem verletzte es ihn in seiner Ehre. Er war immer noch selbst in der Lage, Dinge zu zerschneiden oder abzubeißen. Auch wenn er aussah wie ein alter Mann.

      Aber es war nicht zu verkennen, dass sich jemand Mühe gab. Sein Haus war morgens blitzblank und aufgeräumt. Die Wäsche war weicher und liebevoller zurechtgelegt.

      Selbstverständlich hatte Constantin derartige Tätigkeiten auch vorher nicht selbst ausüben müssen. Das übernahmen normalerweise die Zwerge. Doch neuerdings konnte man spüren, dass hier einer am Werk war, der das gerne machte und sich bemühte, ihm eine Freude zu bereiten. Vorher hatte man nur gesehen, dass jemand erledigte, was eben gerade erledigt werden musste. Egal wie. Vermutlich deshalb, weil auf irgendeiner Liste ein Kreuz hinter seinem Namen stand.

      Vielleicht lag es daran, dass er der Chef war und die kleinen Wichte Pluspunkte sammeln wollten. Wie auch immer. So schlimm schien das mit den Heinzelmännchen gar nicht zu sein. Im Gegenteil. Wenn es nach ihm ginge, könnten die kleinen Burschen ruhig noch eine Weile bleiben.

      Er war nicht der Einzige, der so dachte. In manchen Zwergenköpfen geisterten zunehmend ähnliche Gedanken herum. Es wagte nur noch keiner, sie auszusprechen.

      Es gab jede Menge Arbeiten, die zwar erledigt werden mussten, um die man sich aber lieber drückte. Plötzlich wurden diese Dinge über Nacht von anderen besorgt – auf beinahe beängstigend sorgfältige Weise.

      Die anfänglichen Bedenken schwanden. Kollegen, die einem alle unangenehmen Aufgaben abnahmen und von denen man ansonsten nichts spürte, waren doch immer noch die besten Kollegen. Zu dumm, dass diese neuen Kollegen nicht nur die ungeliebten, sondern auch sämtliche anderen Aufgaben übernahmen, ohne zu fragen.

      Constantin kaute hingebungsvoll. Er hatte nie geglaubt, dass Blumenkohl so gut schmecken konnte.

      »Und was sieht der Plan gleich noch mal vor, wenn wir in Glücksstädt angekommen sind?« fragte er mit vollem Mund. Die Reise stand unmittelbar bevor und es machte ihn nervös, dass er keine Details kannte.

      Der Kobold kaute ebenfalls. Auch er war mit der neuen Küche ganz zufrieden. Nur um Dinge mit Tomaten drin machte er einen großen Bogen.

      »Erwin holt dich ab und bringt dich zum Hotel. Angeblich ist dort schon ein Zimmer reserviert. Erwin hilft dir dann, vernünftige Kleidung für die zwei Wochen auszusuchen.«

      »Wieso ausgerechnet Erwin? Ich meine, der hat doch keine Ahnung davon, was man so anzieht.«

      »Hm. Ich schätze, weil du der Weihnachtsmann bist. Die meisten würden da dumme Fragen stellen. Außerdem fährt Erwin selbst mit.«

      »Verstehe immer noch nicht, wieso.«

      »Wer weiß. Hat er seiner Freundin inzwischen Bescheid gesagt?«

      »Glaub nicht. Dafür hat er viel zu viel Angst vor ihr.«

      Der Kobold sah verblüfft von seinem Essen auf.

      »Im Ernst?«

      »Hmm.«

      Aber… aber warum ist er dann mit ihr zusammen?«

      Constantin zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vermutlich ist er verliebt. Da tun Leute die verrücktesten Sachen.«

      »Ach was. Warst … warst du schon mal verliebt?«

      »Äh, nicht so richtig«, log Constantin. Tatsächlich war er eine Zeitlang andauernd verliebt gewesen. Jedes Mal unsterblich. Und immer hatten die Angebeteten einen anderen bevorzugt.

      Das hieß nicht, dass Constantin nie eine Freundin hatte. Das hatte er durchaus. Nur eben nie eine, in die er richtig verliebt war. Doch auch das hatte seine Vorzüge. Spätestens dann, wenn die Beziehung endete.

      »Und du?« fragte Constantin.

      »Einmal«, murmelte Manfred und lief dunkelgrün an.

      »Ah. Und in wen?«

      »Kennst du sowieso nicht.«

      »Schon klar. Aber ich meine: War es eine Fee oder so was?«

      »Ganz bestimmt nicht«, erwiderte der Kobold empört. »Wer will denn schon so eine blöde Fee haben?«

      Constantins Augenbrauen schossen nach oben. War der Gedanke daran, eine Fee zu lieben, wirklich so abstoßend? Oder hatte er damit einen wunden Punkt berührt?

      »Du bist doch auch eine Fee, oder?«

      »Ich war eine. Aber eine böse. Außerdem habe ich das nur gemacht, weil ich musste. Jetzt bin ich dein Assistent und Weihnachtspostmeister. Schon vergessen?«

      »Natürlich nicht«, seufzte Constantin. Die Liebe bereitete wirklich nichts als Ärger. Selbst wenn man nur darüber sprach.

      Erwin war aufrichtig zu bedauern.

      ***

      Erwin vertrat gerade einen ähnlichen Standpunkt.

      Er hatte endlich allen Mut zusammengenommen und zu Phoebe den unheilvollen Satz gesagt: »Ich muss mit dir reden.«

      Sie hatte diese Worte so aufgefasst, wie das die meisten Frauen im Universum taten. Nur leider wusste Erwin bis dahin noch nichts von dieser Wirkung der harmlosen fünf Wörter.

      »Du willst mich verlassen«, hatte Phoebe gekreischt. »Du verdammter Mistkerl hast solange gewartet, bis ich den Mietvertrag unterschrieben und einen Berg Möbel gekauft habe. Sogar über Kinder haben wir geredet!« Erwin fragte sich verblüfft, wann das gewesen sein sollte. »Und dann machst du einfach Schluss! Hast du wenigstens soviel Arsch in der Hose und sagst mir, warum? Hast du eine Andere? Ist sie vielleicht jünger? Oder reicher? Oder - ah, jetzt weiß ich’s. Deine Mutter steckt dahinter, stimmt’s? Die alte Hexe konnte mich von Anfang an nicht leiden! Sagst du jetzt vielleicht auch endlich mal was dazu? Oder hast du vor, einfach zu verschwinden und mich hier allein sitzen zu lassen? Und das nach allem, was wir durchgemacht haben! Ich wusste es! Meine Mutter hat mich gewarnt und gesagt, ich soll es mir lieber noch einmal überlegen. Schließlich kenne ich dich gar nicht richtig! Und jetzt? Jetzt hat meine Mutter recht gehabt! Weißt du eigentlich, was du mir damit antust? Jetzt werde ich mir ständig anhören können, sie habe es gleich gewusst. Ganz großartig! Da sitze ich nun, bin pleite wegen der ganzen Möbel, und muss dazu auch noch die Genugtuung meiner Mutter ertragen!«

      An dieser Stelle wurde Phoebe von ihrer Lunge gezwungen, Luft zu holen. Auch wenn die nächsten Worte schon Schlange standen, um herausgeschrien zu werden, musste sie die winzige Pause in Kauf nehmen, wenn sie nicht ersticken