Mira Bergen

Verflixt und ausgesperrt!


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Sein Leben vor Phoebe war viel einfacher und stressfreier gewesen.

      Nach langer, ergebnisloser Überlegung musste er einsehen, dass er den Waffen einer Frau erlegen war. Bei objektiver Betrachtung und Vergleichen mit der Anatomie anderer Frauen musste er zwar zugeben, dass Phoebes Waffen nicht sonderlich eindrucksvoll waren. Aber angeblich kam es nicht auf die Größe an. Außerdem bestritt Erwin diesen Kampf völlig unerfahren und hatte selbst Phoebes leichter Artillerie nichts entgegenzusetzen. Und so musste er sich widerstandslos ergeben. Ihm blieb gar keine Wahl.

      Erst jetzt hatte er die weiblichen Reize kosten dürfen und er war in kürzester Zeit zum Junkie geworden. Und damit zum willenlosen Spielzeug in Phoebes autoritären Händen. Mitunter fühlte er sich in seine Kindheit zurückversetzt, als er nach Erledigung aller von Mutti erteilten Aufgaben schüchtern fragte, ob er jetzt spielen gehen dürfe.

      Das Einzige, das Erwin zur Zeit bei der Stange hielt, war die Aussicht auf seine Urlaubsreise mit Constantin. In ein paar Tagen würde dieser in Glücksstädt eintreffen, und nur wenige Tage später konnte Erwin dann endlich alldem hier entfliehen.

      Er hatte Phoebe noch immer nichts davon erzählt. Er wusste einfach nicht, wie. Irgendetwas sagte ihm, dass Frauen ausgesprochen verständnislos darauf reagierten, wenn ihr frisch eingefangener und an die Leine gelegter Lebensgefährte mit seinem Kumpel auf Reisen ging. Und das ausgerechnet dann, wenn die neuen Möbel eintrafen. Da war es völlig unerheblich, dass der Urlaub nichts kostete.

      ***

      Dicke Rauchwolken aus Constantins Dachfenster gaben darüber Auskunft, wo Lauritz steckte. Nur dass dieses Mal nicht nur Lauritz bei Constantin Zuflucht gesucht hatte, sondern auch noch etliche andere Zwerge. Diese standen ratlos um den großen roten Weihnachtsmannsessel herum und husteten.

      »Diese verdammte Fröhlichkeit geht mir auf die Nerven«, brummte Svante. Dabei fragte er sich besorgt, was sein Gast namens Pfiffig wohl gerade in seinem Haus so trieb. Vermutlich singend putzen und lustige Bilder an die Wand malen. Vorhin hatte er jedenfalls die freudlose Einrichtung kritisiert.

      »Und dann kriege ich auch noch ausgerechnet den Anwalt ab«, fügte er mürrisch hinzu.

      Constantin wurde hellhörig. »Einen Anwalt? Wozu…«

      »Der soll angeblich überprüfen, ob alles ordnungsgemäß abläuft. Das sei auch zu unserer Absicherung«, wiederholte Ken Gutliebs Begründung.

      »Wenn die einen Anwalt haben – sollten wir dann nicht auch einen haben?« fragte einer der Oben/Unten-Zwillinge.

      »Was ist eigentlich ein Anwalt?« erkundigte sich Lauritz verwirrt.

      Constantin musste sofort an seinen Bruder, den Anwalt, denken. »Oh. Das ist jemand, der die Tatsachen solange verdreht, bis du im Unrecht bist. Und der dir das dann ewig vorhält und versucht, daraus Vorteil zu schlagen.«

      »Ein Anwalt ist jemand, der sich mit den Gesetzen auskennt«, erklärte Svante mit zweifelndem Seitenblick auf Constantin.

      Der hielt gewisse Ergänzungen für erforderlich. »Mag sein. Aber er hilft seinem Mandanten, die Gesetze zu dessen Gunsten auszulegen.«

      Fragende Blicke ruhten auf ihm.

      »Also wenn zum Beispiel, äh …« Constantin überlegte fieberhaft, was Zwergen etwas bedeutete, da sie nicht dazu neigten, nutzlosen Besitz anzuhäufen. »Also stell dir vor, du borgst jemandem deine Axt. Der stellt sich damit ungeschickt an und hackt sich in den Fuß. Wer trägt die Schuld dafür?«

      »Na – der natürlich.«

      »Genau. Aber wenn er sich einen Anwalt nimmt, bist du’s.«

      »W-wieso?« fragte Lauritz entsetzt und nahm sich vor, nie wieder etwas zu verborgen. Es sei denn, der andere versicherte ihm schriftlich, dass er keinen Anwalt kannte.

      »Weil du ihn nicht belehrt hast, dass so etwas passieren kann. Oder wenigstens ein Warnschild an deine Axt angebracht hast.«

      Constantin wandte sich an Ken. »Oder mal angenommen, der Heinzelmann, der bei dir wohnt, stolpert über die Schwelle und reißt deinen Spiegel herunter, der zerbricht.«

      »Den großen?« fragte Ken bestürzt.

      »Ja, genau. Wer ist schuld?«

      »Äh … der?«, erwiderte Ken unsicher.

      »Hm. Mag sein. Aber nur, bis er einen Anwalt hat. Dann bist du der Schuldige, weil du ohne entsprechende Markierungen Stolperfallen eingebaut hast. Das bedeutet, du hast nicht nur einen kaputten Spiegel, sondern musst dem Heinzelmännchen auch noch Schmerzensgeld zahlen.«

      Ken war erschüttert. Bei seinem großen Spiegel hörte der Spaß auf. »Aber … aber du bist der Chef. Kannst du nicht …«

      »Bist du verrückt? Chefs werden von Anwälten ganz besonders gerne verklagt. Wegen der Arbeitsbedingungen und so. Oder weil man jemanden kritisiert, wenn er nicht ordentlich arbeitet.«

      Wilbert wurde hellhörig. »Geht so was?«

      »Nicht hier«, erwiderte Manfred bestimmt.

      »Und was mache ich jetzt?« fragte Svante niedergeschlagen.

      »Rausekeln«, schlug Lauritz vor. »Aber nicht zu mir«, fügte er hastig hinzu.

      »Geht doch nicht. Dann verklagt er mich.«

      »Den wirst du nur los, wenn er dafür ein besseres Quartier bekommt. Am besten im schönsten Haus überhaupt«, riet Ken.

      »Na großartig. Wenn ich mal irgendwohin komme, behaupte ich auch, ich sei Anwalt. Dann bekomme ich auch die schönste Unterkunft.«

      Die Zwerge schwiegen nachdenklich.

      »Wenn das funktioniert – wieso macht das dann nicht jeder? Behaupten, er sei Anwalt, meine ich?«

      »Weil Anwälte keiner leiden kann.«

      »Ach was.«

      »Humbert hat das schönste Haus. Soll der doch den Anwalt nehmen«, grummelte Wilbert.

      Die Köpfe drehten sich synchron ostwärts, wo Constantins Fenster den Blick auf Humberts Haus freigab.

      »Ich denke, das Letzte, das der jetzt braucht, ist ein Anwalt«, gab Frodewin zu bedenken. Die anderen nickten und fragten sich, was wohl gerade im Humberts Haus vor sich gehen mochte.

      »Und nun?«

      »Erstmal abwarten. Vielleicht ist er ja ein schlechter Anwalt«, meinte Constantin.

      »Sind die nicht noch schlimmer?«

      »Schon. Aber nicht für uns, sondern für ihre Mandanten.«

      »Ah.«

      Frodewin kratzte sich das Kinn. »Wie geht das heute überhaupt weiter?«

      Svante verzog das Gesicht. »Zuerst gibt es ein Festessen, und dann …«

      »Etwa mit Gemüse?« fragte Lauritz entsetzt.

      »Keine Ahnung. Der Koch wollte nichts verraten. Aber du solltest lieber genug essen. Danach findet es nämlich wieder eine …«

      »Lass mich raten. Eine Versammlung statt«, beendete Lauritz unglücklich den Satz.

      ***

      Eine Spur der Verwüstung zog sich durch Humberts Haus. Konfrontierte man Männer mit unerwarteten Problemen, ohne die Lösung mitzuliefern, neigten sie mitunter zu recht seltsamen Methoden, diese zu verarbeiten. Menschen und Zwerge waren sich insoweit ähnlich.

      Nagut hatte offensichtlich die Veranlagung seines Vaters geerbt, in derartigen Situationen auf etwas einzuschlagen, das nicht zurückschlug. Humberts Türrahmen zeichneten sich jedoch durch eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit aus. Deshalb waren Humbert und sein unerwartet aufgetauchter Sohn spontan zu Phase zwei übergegangen.

      Sie saßen jetzt in gegenüberliegenden Ecken des Zimmers, saugten an ihren blutenden Fingerknöcheln