Mira Bergen

Verflixt und ausgesperrt!


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wieder aufzuspringen und sich zu Wort zu melden.

      Das mit der ständigen Behördenpost hatte nach langen, ruhigen Jahren kurz vor dem Abgang des alten Weihnachtsmannes begonnen. Humbert argwöhnte, dass es eine Neubesetzung an der für sie zuständigen Stelle gab und sie das Pech hatten, an einen übereifrigen Beamten geraten zu sein. Nicht auszudenken, was so einer alles anrichten konnte.

      »Wie es aussieht, herrscht weiterhin Sparzwang. Jedenfalls wurde, wie es hier heißt, aus Einsparungsgründen beschlossen, uns mit der Abteilung der Heinzelmännchen zusammenzulegen.«

      So. Nun war es heraus. Humbert musterte die Zwerge, doch die meisten sahen sich nur ratlos an. Kaum einer wusste etwas über Heinzelmännchen außer dem üblichen Kram. Dass sie nachts bei Menschen einbrachen und dort aus unerklärlichen Gründen die Hausarbeit verrichteten. Außerdem lebten sie in ständiger Angst vor getrockneten Erbsen und davor, entdeckt zu werden.

      Humbert räusperte sich erneut. »Bereits in drei Tagen wird eine größere Heinzelmännchendelegation hier eintreffen und sich alles anschauen. Dann soll auch beraten werden, wie die zukünftige Zusammenarbeit abläuft. Heinzelmännchen, die sich gerade nicht im Einsatz befinden, sollen bei den Weihnachtsvorbereitungen aushelfen.«

      Humbert vermutete stark, dass die Heinzelmännchen darüber hinaus ein wachsames Auge auf die letzthin etwas außer Kontrolle geratenen Aktivitäten in Zipfelbergen werfen sollten. Aber das behielt er vorerst für sich.

      »Außerdem steht hier, dass Heinzelmännchen naturgemäß freundlich, nett und hilfsbereit sind und es deshalb keine größeren Schwierigkeiten geben sollte. An die Küche ergeht der freundliche Hinweis, dass Heinzelmännchen gerne Obst und Gemüse essen und wir das beim Bekochen der Delegation berücksichtigen sollen. Äh … ja. Ich glaube, das war erstmal alles. Ach so, das hier habe ich noch für den Weihnachtsmann.«

      Humbert eilte vom Podium und überreichte dem überraschten Constantin einen dicken, versiegelten Brief mit der unübersehbaren Aufdruck »Persönlich/vertraulich!«.

      »Los, mach auf«, sagte der Kobold aufgeregt. Auch die Zwerge in seiner Nähe sahen Constantin erwartungsvoll an. Doch dieser hütete sich, den Brief vor Zuschauern zu öffnen. Falls wieder etwas Unangenehmes drin stand, brauchte er kein Publikum, das mit ansah, wie er weinte. Nicht dass er vorhatte zu weinen. Aber in letzter Zeit war ihm das häufiger passiert und er wollte kein Risiko eingehen.

      Auf dem Podium tat sich etwas und Constantin deutete den Zwergen an, dass er leider kein Zeit für den Brief hatte, da die Versammlung fortgesetzt wurde.

      Humbert sah resigniert auf die Zwerge herab. »So leid mir das auch tut. Aber es hat sich noch ein weiterer Redner gemeldet.« Eilig räumte er seinen Platz. Wilbert erschien und die Zwerge erstarrten. Die vorderen Reihen setzten ein verkrampftes Grinsen auf.

      Wilbert sprang fröhlich hinter das Sprecherpult. »Nun, das sind doch ganz großartige Neuigkeiten. Ich habe schon lange überlegt, wie wir die geplanten Kurse gestalten können. Und wisst ihr, was ich denke?«

      Keiner wollte es wissen, aber das half nichts.

      »Ich denke, dass uns die Heinzelmännchen dabei wunderbar unterstützen können. Wie ihr gehört habt, sind sie freundlich, nett und hilfsbereit. Ich bin mir sicher, dass das daran liegt, dass sie viel lächeln und sich gesund ernähren, also von Obst und Gemüse. Sie bauen es sogar selbst an. Wir können bestimmt viel von ihnen lernen.«

      Das Publikum murrte. Zwerge mochten Obst und Gemüse nicht sonderlich.

      Lauritz fragte aufgebracht: »Und wenn wir gar kein Gemüsezeug essen wollen?«

      »Na, ihr könnt es doch wenigstens mal versuchen. Vielleicht schmeckt es ja ganz gut.«

      »Aber da krabbeln Tiere drauf herum.«

      »Tiere?« fragte Wilbert verblüfft.

      »Na, eklige Insekten und so.«

      »Ja. Aber die krabbeln auch auf größeren Tieren und Getreide herum. Und Fleisch und Brot isst du doch auch, oder?«

      »Natürlich. Das wird ja auch gebraten oder gebacken«, erwiderte Lauritz hitzig.

      »Also, soweit ich weiß, kann man auch Gemüse und Obst kochen.«

      »Aber dann wird es matschig.«

      Wilbert hob beschwichtigend die Hände. »Also ich denke, ein Versuch kann nichts schaden. Auf jeden Fall können uns die Heinzelmännchen dabei helfen, öfters mal zu lachen. Außerdem habe ich gehört, dass sie viel und gerne singen. Auch das würde uns gut tun.«

      Jetzt reichte es. Obwohl Lauritz keine Lachtherapie benötigte, zudem ganz gerne mal sang und mitunter selbst der Ansicht war, dass manche Zwerge mehr Spaß vertragen könnten.

      Wütend kramte er seine Stinkbombe hervor, während er bemerkte, wie andere Zwerge bereits Maß nahmen und zielten. Und das lag gewiss nicht nur an Wilberts unglücklicher Rhetorik.

      Er konnte die Heinzelmännchen schon jetzt nicht leiden.

      ***

      Constantin hatte das Pech gehabt, aus der Menge der Zwerge herauszuragen und ziemlich weit vorn zu sitzen. Deshalb war er mehreren schlecht gezielten Geschossen im Weg gewesen.

      Nachdem er gründlich gebadet hatte, holte er den Brief der Behörde hervor. Unschlüssig drehte er ihn hin und her. Was erwartete ihn nun wieder? Hatte es etwas mit der bevorstehenden Fusionierung zu tun? Und wenn ja: war das jetzt gut oder schlecht für ihn?

      »So kriegst du nie raus, was drin steht. Dafür muss man einen Brief aufmachen«, bemerkte der Kobold.

      Constantin warf ihm einen intensiven Weihnachtsmannblick zu, musste aber einsehen, dass Manfred Recht hatte.

      Besorgt öffnete er den Umschlag und faltete den Brief auseinander, ohne auf die bunten Blätter zu achten, die dabei heraus fielen. Constantin begann zu lesen und seine Augen wurden immer größer. Schließlich versagte seine Kiefermuskulatur und sein Kinn klappte herunter.

      »Was? Was ist?« drängelte Manfred. Doch Constantin war zu überrascht, um sprechen zu können. Wortlos zeigte er dem Kobold den Brief.

      »Wir verreisen?« fragte dieser nach einer Weile angestrengten Lesens unsicher.

      Constantin grinste irre. »Jawohl. In einer Woche schon. Also – das heißt, ich.«

      »Aber – du nimmst mich doch mit, oder? Ich bin dein persönlicher Assistent!« Manfreds Blick bettelte.

      »Schon gut. Meinetwegen. Nur darf dich keiner sehen.«

      »Mich kann keiner sehen, schon vergessen? Außer Erwin, aber der kennt mich sowieso schon.«

      »Wieso Erwin?« fragte Constantin mit gerunzelter Stirn.

      »Hast du’s nicht gelesen? Hier unten steht, die Reise sei für zwei Personen und die zweite Person ist Erwin, der aber noch nichts davon w… «

      »Zeig. Wo?« Hastig überflog Constantin den Brief, den er nur bis zur Hälfte gelesen hatte, bevor er von seinen Gefühlen überwältigt worden war.*

      »Wie kommen wir eigentlich dazu?«

      »Wozu?« fragte Constantin zerstreut, während er noch immer las.

      »Na, zu dieser Reise.«

      »Die gehörte zum Lottogewinn.«

      Als Constantin vor über einem Monat aus der Zeitung von dem Lottogewinn erfuhr, hatte er in einem Anfall von Naivität an die magischen Behörden geschrieben und um Bewilligung der Reise gebeten. Was sollten seltsame Kapuzentypen sonst damit anfangen?

      Bei objektiver Betrachtung musste er zugeben, dass es für die Behörden keinen Grund gab, ausgerechnet ihm etwas zu schenken. Das einzige Argument, auf das er sich stützen konnte, bestand darin, dass er den Lottoschein erworben hatte. Und das sogar auf legalem Wege. Doch Behörden hatten erfahrungsgemäß eigene Ansichten, wenn es darum ging, wem etwas gehörte.

      Constantin