Lena Schneiderwind

Freiheit ist...


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da plötzlich eine gereizt klingende Stimme mit starkem französischen Akzent von irgendwo aus dem Erdgeschoss des beeindruckenden, viktorianischen Baus.

      „Aurélie, ma chère, ich freue mich auch, dich unversehrt wiederzusehen!“, feixt Günter die große, rothaarige Frau an, die in diesem Moment aus einem der angrenzenden Räume in die große Halle tritt und elegant wie ein Model auf dem Laufsteg auf uns zuschreitet.

      Sie ist bildhübsch. Selbst die dünne, blasse Narbe, die quer über ihre rechte Wange verläuft, vermag ihre ansonsten makellose Schönheit nicht zu trüben. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, bohren sich ihre hellblauen Augen mit einem stechenden Blick in meine und sie hebt unbewusst ganz kurz die Hand an ihr Gesicht.

      „Auf die Tisch stehen ein paar Sandwiches. Das muss reischen. Zu kochen hatte isch keine Lust.“, sagt sie und wirft provokant ihre rote Mähne über die Schulter.

      „Hervorragend! Ganz perfekt sogar! Sandwiches, meine absolute Leibspeise!“, jubiliert Günter mit absichtlich übertriebener Euphorie. „Hast du wunderbares Geschöpf auch ein hübsches, kleines Zimmerchen für unseren Gast vorbereitet?“

      „Ja, isch ´abe das Bett im blauen Ssimmer bezogen. Isch möschte aber noch einmal darauf `inweisen, dass isch hier nischt die Ssimmermädchen bin! Isch ´abe sischer viele Talente, aber das ist nischt meine Job, non?!“, ereifert sich das „wunderbare Geschöpf“, macht auf dem Absatz kehrt und schreitet mit wütenden, aber immer noch äußerst eleganten Schritten davon.

      Auf halbem Weg zur Treppe wirft sie noch einmal einen kurzen Blick über die Schulter: „Wenn es genehm ist, gehe isch dann nun endlisch ins Bett!“

      Kopfschüttelnd läuft sie weiter und verschwindet am Ende der Treppe aus unserem Blickfeld. Nur ihre energischen Schritte und das Öffnen und Schließen einer Türe sind noch aus dem Stockwerk über uns zu vernehmen.

      „Mach dir nicht draus.“, seufzt Günter und verdreht theatralisch die Augen. „Sie kann nicht anders. Die Gene oder so. Eigentlich ist sie aber ganz nett, wenn man sie erst einmal richtig kennt.“

      Ich bezweifle das stark, will meinem Gastgeber aber höflichkeitshalber lieber nicht widersprechen. „Hat sie was von Sandwiches gesagt?“, frage ich stattdessen hoffnungsvoll.

      Günter lacht wieder sein freundliches Lachen, wenn auch diesmal etwas leiser aus Rücksicht vor der eleganten Französin. Oder vielleicht auch aus Angst.

      „Folge mir“, fordert er mich auf und geht in die Richtung, in der ich den Speisesaal vermute.

      Wir betreten den schummrig erleuchteten Raum durch eine von zwei großen, dunklen Flügeltüren an der rechten Seite der Eingangshalle. Mein Blick fällt sofort auf das silberne Tablett, das den langen, reichlich verzierten Tisch schmückt, der den Saal zu einem guten Teil ausfüllt. Darauf stapeln sich die angekündigten Sandwiches. Bei dem Anblick wird mir schlagartig schlecht vor Hunger und mein Magen meldet sich mit lautem Protestgeheul zu Wort.

      „Hau rein!“, fordert mich Günter schmunzelt auf und ich vergesse meine guten Manieren, eile zum Tisch und nehme je eins der ganz köstlich aussehenden Brote in jede Hand.

      Tristan, den ich im Dunkeln am Ende des Tisches völlig übersehen hatte, springt auf und verlässt schon wieder fluchtartig den Raum. Scheinbar hat er mir noch nicht verziehen, dass ich ihn während der Fahrt als Kopfkissen missbraucht habe, der arme Kerl. Ich hoffe, dass ich das irgendwann wieder gut machen kann. Im Moment bin ich aber deutlich zu hungrig, um mir deswegen ernsthaft Sorgen zu machen. Im Stehen verschlinge ich vier Sandwiches so hastig, dass mir der letzte halbherzig zerkaute Bissen fast im Hals stecken bleibt und ich geräuschvoll schlucken muss, um ihn meine Speiseröhre hinunter zu befördern.

      Belustigt reicht mir Günter wortlos ein Glas Wasser, dass ich ebenso schnell herunterstürze.

      „Danke!“, bringe ich danach atemlos hervor und weise dabei auch mit einem Kopfnicken zu Audrey Hepburn, die er netterweise ebenfalls mit einem Sandwich und etwas Wasser versorgt hat, während ich so egoistisch mit meinen eigenen Bedürfnissen beschäftigt war.

      Nachdem diese nun erfüllt sind, übermannt mich wieder die Müdigkeit und ich versuche vergebens das in mir aufsteigende Gähnen zu unterdrücken.

      „Wie wär’s, wenn ich euch zwei Hübschen mal euer Zimmer zeige?“, fragt Günter und zwinkert mir verständnisvoll zu.

      „Das wäre ganz wundervoll!“, antworte ich wahrheitsgemäß und nehme Audrey wieder auf den Arm, die sich zustimmend an mich kuschelt und schnurrend die Augen schließt.

      Wir folgen Günter zurück in die Eingangshalle, die Treppe hinauf in den ersten Stock und dann nach rechts den Flur hinunter bis zur letzten Türe auf der linken Seite. Ich bin froh über den dicken, roten Teppich, der unsere Schritte dämpft und mir eine erneute, sicher unerfreuliche Begegnung mit der zornigen Französin erspart.

      Mit weit ausholender Geste öffnet Günter die Tür und präsentiert mir das dahinter liegende Zimmer: „Voilà, la chambre bleue!“, sagt er und schaltet das Licht an. Meine Frage bezüglich der interessanten Bezeichnung des Zimmers erübrigt sich in eben diesem Moment.

      Ein übergroßes Himmelbett mit hellblauem Baldachin hebt sich dunkel vor dem ebenfalls hellblauen Teppich und der hellblau-weiß-gemusterten Tapete ab. Dahinter kann ich ein großes Fenster mit breiter Fensterbank ausmachen, auf der man bestimmt prima lesen oder seltenen Schneefall bewundern kann. Abgesehen von dem monströsen Bett gibt es nur wenige weitere Möbel: Einen doppeltürigen Kleiderschrank, zwei kleine Nachtischchen mit süßen Schirmlampen darauf, einen einfachen Stuhl und einen hölzernen Paravent mit fragilem Schnitzmuster. Alle aus dem gleichen dunklen Holz wie das Bett.

      „Ich lass euch dann mal allein.“, zieht sich Günter höflich zurück als ich erneut erfolglos versuche ein übermächtiges Gähnen zurückzuhalten. Leise schließt er die Tür hinter sich.

      Kaum ist sie ins Schloss gefallen gehe schnurstracks zum Bett, setze Audrey behutsam darauf ab und lege mich dann samt Klamotten unter die dicke, natürlich ebenfalls hellblaue Bettdecke.

      Die Aufregung des Tages und mein übervoller Magen fordern ihren Tribut und trotz der ungewohnten Umgebung schlafe ich fast augenblicklich ein.

      Ein Geräusch reißt mich aus dem traumlosen Schlaf der Erschöpfung. Es ist stockdunkel und zuerst weiß ich nicht, wo ich bin. Das ist definitiv nicht meine Wohnung, stelle ich erschrocken fest und sehe mich panisch nach einer Lichtquelle um.

      Dann greifen die müden Zahnräder in meinem Kopf langsam wieder ineinander und mein rasendes Herz beruhigt sich etwas. Das leise Ein- und Ausatmen, der offensichtlich tiefenentspannten Katze am Fußende des Bettes überzeugt es schließlich, zu einer gesunden Frequenz zurückzukehren. Ich konzentriere mich nun stattdessen wieder auf den Ursprung des Geräuschs, das meine wohlverdiente Nachtruhe unterbrochen hat.

      Schritte. Schritte auf dem Kiesweg, über den mich Günter wenige Stunden zuvor in das Haus geführt hat. Mein Herzschlag will gerade zu einem neuen Marathon ansetzen, als sich eine aufgekratzte Stimme dazugesellt, die mir wage bekannt vorkommt:

      „Oh Mann, das war großartig! Viel besser als ich erwartet hatte! So ein Spaaaß, Freunde!“, trällert sie ausgelassen.

      Es folgt zustimmendes Lachen und dann eine weitere bekannte Stimme, die die euphorische Horde ermahnt: „Leise jetzt! Ihr weckt noch das Ganze Haus auf.“

      „Spielverderber!“, schallt es beleidigt zurück und wieder wird ausgelassen gelacht.

      Eine Tür auf meinem Stockwerk wird leise geöffnet und ich höre die Französin ungehalten zischen: „Sch sch sch, ihr ungehobelten Trampel! Oder wollt ihr Maddie wecken?!“

      „Entschuldige, Aurélie.“, kommt die betretene Antwort jetzt aus der Eingangshalle.

      „Ja, ja, ab ins Bett mit eusch Streunern!“, vielleicht irre ich mich, aber ich meine einen Hauch von mütterlicher Nachsicht herauszuhören. Dann wird die Türe wieder geschlossen und auch unten kehrt Ruhe ein.

      Ich lausche noch ein