Lena Schneiderwind

Freiheit ist...


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zurück auf den Teller und klopft mit der Hand auf den freien Stuhl zwischen sich und Tristan, der ihm daraufhin einen kurzen, verzweifelten Blick zuwirft.

      „Guten Morgen, Fräulein Schlafmütze“, lächelt er mich gutmütig an. „Setz dich doch hier zwischen mich und den guten Tristan!“ Seine freundliche Aufforderung scheint auch die anderen an ihre guten Manieren zu erinnern. Nachdem ich mich auf den angebotenen Stuhl gesetzt habe, beeilen sie sich, mir ebenfalls einen guten Morgen zu wünschen und mir von Orangensaft bis hin zu frischen Croissants, die wirklich verführerisch duften, alles anzubieten, was sich auf der reich gedeckten Tafel finden lässt.

      Selbst die Französin hält mir eine dampfende Tasse entgegen und sagt in ihrer eigenen, kühlen Art: „Na endlisch, isch dachte schon, isch `ätte den `ier ganz umsonst gekocht. Normale Menschen trinken nämlisch Kaffee zum Frühstück, oui?“

      „Ach Aurélie, chérie, was ist denn heutzutage schon normal?“, lenkt Fox ein. Während der Rest zustimmend nickt, quittiert sie seine Bemerkung zumindest mit einem kurzen, beipflichtenden Schulterzucken.

      „Ich wusste, dass dir meine Sachen passen!“, platzt eine junge Frau, die mir direkt gegenüber sitzt erfreut heraus.

      Als hätte sie etwas Falsches gesagt, wendet sie danach sofort den Blick von mir ab und rührt konzentriert in ihrer Müslischüssel. Ich erkenne sie sofort an ihrer Stimme und der blonden Lockenmähne: Das muss wohl Fox’ Schwester sein.

      „Oh, die sind von dir?“, frage ich in meinem freundlichsten Tonfall. „Vielen, lieben Dank für’s Ausleihen!“ Sie sieht zwar nicht zu mir auf, aber das zufriedene Lächeln, das über ihr Gesicht huscht, ist trotzdem nicht zu übersehen.

      „Ich glaube, wir wurden uns noch gar nicht vorgestellt.“, meldet sich der Mann neben ihr zu Wort. Seine blauen Augen sehen mich offen und freundlich an und er streckt mir quer über den Tisch die Hand entgegen. Ich stehe auf und will gerade danach greifen, um mich ebenfalls vorzustellen, als Günter sich neben mir ruckartig erhebt und den Mann mit mahnender Stimme auffordert: „Umdrehen!“ Dabei deutet er auf dessen ausgestreckte Hand.

      Mit einem verschmitzten Zug um den Mund dreht der Mann, dem die unordentlichen hellbraunen Haare in die Augen fallen, seine Handfläche nach oben und präsentiert einen kleinen Gegenstand, der dort irgendwie befestigt zu sein scheint. Fragend blicke ich vom einen zum anderen.

      „Nun, meine liebe Emilia, das ist Pan, unser Klassenclown. Und das“, Günter weist auf den Gegenstand in Pans Hand, „ist einer seiner ältesten Tricks.“

      „Ich nenne ihn „die schockierende Begegnung“!“, äußert sich Pan nun auch selbst ganz stolz dazu und streckt mir erwartungsvoll die geöffnete Handfläche entgegen. Zögernd berühre ich den kleinen Gegenstand darin ganz leicht mit der Spitze meines Zeigefingers und zucke zurück als mich ein kleiner Stromstoß durchfährt.

      „He!“, rufe ich in gespielter Empörung. Eigentlich bin ich ganz dankbar für die kleine Showeinlage, die die Stimmung am Tisch deutlich aufgelockert hat. „Sorry!“, Pan hebt entschuldigend beide Hände über den Kopf. „Ich kann nicht anders. Ist angeboren.“, erklärt er schmunzelnd.

      Ich muss lachen und als der Rest mit einstimmt, habe ich fast schon das Gefühl, dazuzugehören.

      Etwas gelöster wage ich es, nach einem der duftenden Croissants zu greifen. Da wird plötzlich die Türe aufgerissen und ein kleines rothaariges Mädchen mit niedlichen Sommersprossen auf Nase und Wangen kommt aufgeregt herein gehüpft.

      „Mamam, mamam! Sieh mal, sie mag mich!“, ruft sie begeistert und zeigt stolz auf Audrey Hepburn, die mauzend hinter ihr her läuft. Die elegante Französin, die mit dem Rücken zur Tür neben Pan sitzt, dreht sich nach ihr um und sagt sanft: „Das ist sehr schön, mon chou chou, aber ´ast du nischt was vergessen?“

      „Oh, Entschuldigung.“, antwortet die Kleine, sieht kurz betreten auf ihre Schuhspitzen und läuft dann artig um den Tisch herum, um mir höflich ihre kleine Hand entgegenzustrecken.

      „Ich bin Madeleine, schön Sie kennenzulernen, Madame.“, sagt sie formvollendet. Ich stehe auf, hocke mich vor sie hin und schüttele ernst ihre Hand wie man es bei einem Erwachsenen tun würde.

      „Hallo Madeleine, ich freue mich, dich kennenzulernen. Ich bin Emilia und deine neue Freundin“, ich deute auf die Katze, die sich zu Füßen der Kleinen niedergelassen hat, „heißt Audrey, Audrey Hepburn um genau zu sein.“

      „Audrey…“, überlegt das Mädchen laut. „Was für ein schöner Name!“ Sie mustert mich kurz von oben bis unten und scheint dann einen Entschluss zu fassen: „Du darfst mich Maddie nennen!“, verkündet sie und strahlt mich an. Ich freue mich sehr, über diese Ehre und muss unwillkürlich zurück lächeln.

      „Wenn du magst, kannst du Audrey ja vielleicht etwas zu essen geben.“, schlage ich vor und werde mit leuchtenden Augen belohnt. Sicherheitshalber werfe ich aber noch einen fragenden Blick in Richtung ihrer Mutter, die mir mit einem kurzen Nicken zu verstehen gibt, dass das in Ordnung wäre. Vielleicht täusche ich mich, aber ihr Blick scheint mir jetzt nicht mehr ganz so kühl und abweisend wie bisher.

      „Sie würde sich sicher über ein bisschen Wurst oder Ei freuen.“, erkläre ich Maddie und fülle ihr einen Teller mit ein paar Happen Schinkenwurst und Rührei. Audrey fixiert diesen gierig und leckt sich in stiller Vorfreude die Lippen. Das Mädchen nimmt den Teller freudig entgegen und hüpft wieder Richtung Eingangshalle. „Komm Audrey“, flötet sie. „Ich hab lecker Happihappi für dich!“.

      Das lässt sich meine immer hungrige Katze natürlich nicht zweimal sagen und läuft kläglich mauzend hinter der Kleinen her, als hätte sie seit drei Wochen schon nichts Essbares mehr gesehen. Kurz bevor die beiden aus der Türe schlüpfen können, hält die Französin ihre Tochter an der Schulter zurück. Das Mädchen bleibt folgsam stehen und ihre Mutter nimmt ihr Gesicht in beide Hände und sagt liebevoll: „Das `ast du wunderbar gemacht, meine großartige Kind!“

      Der harte Zug um ihren Mund ist wie weggeblasen und in ihren Augen steht so viel Stolz und Liebe, dass ich gerührt wegsehen muss. Ich muss sofort an meine eigene Mutter und unsere eher schwierige Beziehung denken und spüle den Kloß, der sich in meinem Hals zu bilden droht, lieber schnell mit einem großen Schluck Tee herunter.

      „Großartiges Kind.“, verbessert die Kleine ihre Mutter und drückt ihr schnell noch einen Kuss auf die Wange, bevor sie davon eilt, um Audrey ihr „Happihappi“ zu geben.

      „Ein tolles Mädchen.“, sage ich und meine es auch so.

      „Danke, sie ist das Beste, das isch je zu Stande gebracht ´abe.“, antwortet ihre Mutter und in ihrem Gesicht spiegelt sich eine Flut widersprüchlicher Gefühle.

      „So, da wir nun alle ausgeschlafen und einigermaßen satt sind“, meldet sich Fox zu Wort, „würde ich vorschlagen, wir spielen das lustige Spiel „Wer bin ich und was zum Teufel mache ich hier eigentlich?“. Wer ist dabei?“

      In der Erwartung, endlich ein paar Antworten auf all die Fragen zu erhalten, die mir seit unserer spektakulären Flucht durch den Kopf spuken, reiße ich die Hand nach oben und ernte dafür beifälliges Gelächter.

      „In Ordnung. Ich würde sagen, dann fange ich am Besten einfach mal an.“, leitet Fox die Vorstellungsrunde ein.

      „Wie du sicher bereits vermutest, bin ich ein Level 5 Bürger und gehöre damit zum sogenannten Bodensatz der Bevölkerung.“. Er sagt das mit einer guten Portion Stolz und nimmt der abfälligen Bezeichnung so die Härte.

      Rings um den Tisch werden Gläser und Tassen erhoben und alle prosten ihm zu als wollten sie ihn in ihrer eingeschworenen Gemeinschaft willkommen heißen. „Hua!“ Der Schlachtruf kommt von Günter, der seinen dampfenden Kaffee wie einen hart erkämpften Pokal Richtung Decke streckt.

      Fox nimmt die Zustimmung mit einem knappen Nicken zur Kenntnis und fährt dann mit der ihm eigenen Ironie fort: „Wie du weißt, gibt Väterchen Staat jedem Mitbürger dieselbe Chance und ich wurde demnach nicht als Level 5 geboren. Was habe ich mir also zuschulden kommen lassen,