Lena Schneiderwind

Freiheit ist...


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Tristan auf und hat so eine Hochsicherheitschleuse zwischen uns und den Sicherheitsbeamten geschlossen. So ein Ding, das sich, wenn es einmal zu ist, erst nach Minuten wieder öffnen lässt.

      Damit hat er uns den notwendigen Vorsprung verschafft, um doch noch heil da raus zu kommen. Natürlich haben wir ihn gleich mitgenommen. Wir hätten den armen Kerl ja auch kaum da lassen können. Nach der Aktion hätten sie weiß Gott was mit ihm angestellt.“

      Ich bin ziemlich überrascht und ehrlich beeindruckt. So viel Courage hatte ich dem eher schüchternen und auf sozialer Ebene offensichtlich etwas unbeholfenen Tristan gar nicht zugetraut.

      „So, nachdem ich jetzt mal wieder unaufgefordert in der Lebensgeschichte anderer Leute herumgestochert habe, wird es wohl Zeit, meine eigene zumindest kurz anzureißen. Leider ist die nicht halb so spannend, aber sie füllt wohl dennoch eine wichtige Lücke in der Entstehungsgeschichte unserer kleinen Rasselbande hier. Wie du bereits weißt, heiße ich Günter. Mein Nachname tut nichts zur Sache und der Rest nennt mich sowieso nur „Brockhaus“. Ich hab’s aufgegeben, mich dagegen zu wehren, also tu`, was du nicht lassen kannst.“, fährt Günter schulterzuckend fort.

      „Ich war Geschichtsprofessor und kam eigentlich mit allen immer recht gut zurecht, bis ich anfing, gewisse Dinge zu hinterfragen. Ich motivierte meine Studenten, das ebenfalls zu tun. Bald schon diskutierten wir intensiv über die Entwicklungen der letzten zehn Jahre und stießen dabei natürlich früher oder später auch auf die Frage, ob die Maßnahmen der Regierung wirklich alle so berechtigt waren, wie man uns glauben lassen wollte. Einer meiner aufgeweckteren Studenten war übrigens der junge Fox hier.“, er nickt dem Lockenkopf kurz zu, der das Nicken höflich erwidert.

      „Nun ja, es kam, wie es kommen musste. Sie nahmen mir alles: Den Job, das Haus, den guten Ruf und was sie sonst noch in die Finger kriegen konnten. Selbst meine Schallplatten-Sammlung! Das war, im Nachhinein betrachtet, im Grunde das Schlimmste an der ganzen Sache.

      Ich zog mich daraufhin in das schöne, alte Gemäuer hier zurück, da ich wusste, dass mich hier wohl niemand suchen würde. Dazu war ich dann doch zu unbedeutend und während meiner Jahre als Professor hatte mir einmal ein Vögelchen gezwitschert, dass es hier im Wäldchen eine alte Villa gibt, die nirgendwo verzeichnet ist. Der perfekte Ort, um auf nimmer Wiedersehen zu verschwinden.

      Dachte ich. Bis es an einem verregneten Abend plötzlich an der Tür klopfte und mein ehemaliger Student hier samt Zwillingsschwester und dem vorlauten Pan triefnass auf der Türschwelle stand und um Asyl bat.

      Wie drei ausgesetzte, völlig durchnässte Welpen standen sie da. Wer hätte da nein sagen können?!

      Naja und so haben wir uns also alle gefunden: Eine große, glückliche Familie.“, schließt Günter seinen Redeschwall und lehnt sich zufrieden grinsend in seinem Stuhl zurück.

      „Puuuh!“, seufze ich beeindruckt und erschüttert zu gleich. „Dagegen scheint mir meine Geschichte nun gar nicht mehr so spektakulär und unglaublich wie noch vor ein paar Stunden. Achso, der Vollständigkeit halber sollte ich mich wohl trotzdem auch kurz vorstellen: Hi, ich bin Emilia.“, sage ich in die nun deutlich kleiner gewordene Runde.

      „Wissen wir doch.“, antwortet Fox und zwinkert mir geheimnisvoll zu.

      „Wir wissen so ziemlich alles über dich. Wobei… eine Sache wäre da, die sich hier keiner so richtig erklären kann. Die Frage brennt mir seit gestern unter den Nägeln und ich muss sie jetzt einfach stellen: Deine Katze heißt Audrey Hepburn?!“

      Er sieht mich an als wäre ich völlig bescheuert und ich muss unwillkürlich lachen.

      „Naja, das ist eine lange Geschichte.“, antworte ich immer noch glucksend. „Ich will es mal so erklären: Manchmal spielt einem das Schicksal unzumutbaren Vanille-Pudding-Plunder Tee zu, aber manchmal auch einen romantischen schwarz-weiß Film, der einen bleibenden Eindruck hinterlässt.“

      Die drei sehen mich immer noch etwas verständnislos an, aber ich finde, es gibt im Moment Wichtigeres zu besprechen. Ich nehme all meinen Mut zusammen, blicke Fox fest in die Augen und stelle erneut die Frage, die mittlerweile ununterbrochen durch meine Gehirnwindungen kreist: „Hör mal, ich will wirklich nicht undankbar erscheinen. Im Gegenteil: Ich bin dir und euch sogar unendlich dankbar, dass ihr mich gestern da rausgeholt habt. Aber ich würde jetzt doch gerne wissen, was hier eigentlich los ist.“

      Meine Stimme klingt verzweifelter als beabsichtigt und ich stelle fest, dass meine Nerven nach all der Aufregung und der Ungewissheit nun wirklich blank liegen.

      Dafür ernte ich nun auch deutlich verständnisvollere Blicke als für den Namen meiner Katze.

      Fox nimmt neben seiner Schwester Platz und setzt zu einer Erklärung an: „Glaub mir, Emilia, ich kann voll und ganz nachvollziehen, wie du dich gerade fühlst. Es tut mir unendlich leid, dass wir dich so überrumpelt haben, aber du wirst sicher verstehen, dass es keine andere Möglichkeit gab. Das Wichtigste daher schon einmal vorab: Wir sind auf deiner Seite. Keiner von uns will dir schaden und wir werden dich hier zu nichts zwingen.

      Wir sind auf deine Hilfe angewiesen und wir hoffen, dass du uns diese freiwillig zuteil werden lässt. Wenn nicht, steht es dir frei zu gehen, wann immer du willst. Wie du also schon richtig vermutet hast, bist du aus einem bestimmten Grund hier. Ich muss leider etwas ausholen, um alles…“.

      In diesem Moment hören wir ein Fahrzeug, das mit Vollgas über den Kiesweg auf der Rückseite des Gebäudes rast und mit quietschenden Reifen unsanft zum Stehen gebracht wird.

      Fox, Flora und Günter springen alle gleichzeitig auf und postieren sich schützend um mich herum. Dann wird die kleine Seitentür des Esszimmers aufgerissen und Pan steht völlig abgehetzt im Türrahmen.

      Er ist kreidebleich und zittert am ganzen Körper.

      „Meiling!“, bringt er völlig atemlos hervor. „Sie wissen es!“

      Kapitel 6

      Ich habe keine Ahnung, worum es eigentlich geht, aber es fühlt sich an als hätte Pan mit diesen Worten die gesamte Luft aus dem Raum gesogen. Fox Gesicht verliert schlagartig jede Farbe und er sieht fassungslos zur Tür, in der Pan steht und seinen Blick in hilfloser Verzweiflung erwidert.

      „Isch `ab‘s eusch doch gesagt!“, erklingt die ungehaltene Stimme der Französin von der anderen Seite des Raumes. Sie, Tristan und die kleine Madeleine haben den Lärm offensichtlich auch gehört und sind dessen Quelle wieder zurück ins Esszimmer gefolgt.

      „Diese Isabelle ist eben keine von uns und bei der Aussischt auf eine kleine Belohnung `at sie natürlisch nischt discht ge`alten. Isch `abe eusch gewarnt. Die sind alle gleisch: Kaum wedelt jemand mit ein paar Scheinen vor ihre Nase packen sie einfach alles aus, diese illoyalen...“ Mit einem Blick auf ihre Tochter, der sie schützend die Hände auf die dünnen Schultern gelegt hat, stoppt sie sich gerade noch rechtzeitig.

      Pan blickt sie an wie ein weidwundes Reh und stößt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Ich wünschte, sie hätte das Geld genommen!“

      Man kann förmlich sehen, wie die Erkenntnis in Aurélies Bewusstsein kriecht und ihre Wut verdrängt.

      „Was `at er ihr angetan?“, fragt sie alarmiert und voller Mitleid in ihren sonst so kühlen Augen.

      „Das kannst du dir selbst ansehen. Ich hab’ sie mitgebracht. Sie braucht dringend medizinische Versorgung und ich wollte nicht riskieren, dass sie zurückkommen und zu Ende bringen, was sie angefangen haben.“

      „Brock`aus, Emilia, ihr kommt mit mir. Maddie, geh und hol Mamis Koffer. Vite, vite!“ Mit diesen Worten reißt sich die Französin aus ihrem kurzzeitigen Schockzustand und scheucht uns vor sich her aus dem Zimmer und in Richtung Hinterausgang.

      Als sie bei Pan ankommt, der immer noch leichenblass auf der Türschwelle steht, bleibt sie noch einmal kurz stehen. Sie legt ihm die Hände auf die Schultern und zwingt ihn, ihr in die Augen zu sehen:

      „Isch