Lena Schneiderwind

Freiheit ist...


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Fox...“, die sonst so laute Stimme ist jetzt ganz zart und zerbrechlich wie die eines kleinen Mädchens: „Können wir es ihr wirklich nicht sagen?“

      „Das haben wir doch schon hundertmal besprochen, Schwesterchen. Du weißt genau, dass das nicht geht. Und jetzt ab ins Bett mit dir!“, wird sie mit liebevoller Strenge von ihrem Bruder zurechtgewiesen.

      Weitere Türen werden geschlossen und während ich versuche, diesem kurzen Gespräch einen Sinn abzugewinnen, fallen mir auch schon wieder die Augen zu.

      Kapitel 5

      Am nächsten Tag werde ich erneut von flüsternden Stimmen auf der Galerie geweckt.

      „Aber wie lange will sie denn noch schlafen, Maman?“, fragt eine hohe Mädchenstimme ungeduldig. „Sollen wir nicht besser mal nachsehen? Vielleicht geht es ihr nicht gut oder sie traut sich nicht raus.“

      Trappelnde Schritte eilen in Richtung meines Zimmers und werden kurz vor meiner Tür von ihrem deutlich gemesseneren Pendant eingeholt. „Ah ah ah, mon chou chou, du lässt Madame schön schlafen. Sie `at eine `arte Tag hinter sisch.“

      So viel Verständnis hätte ich von der langbeinigen Französin nicht erwartet.

      Die Schritte entfernen sich wieder und nach einem Blick aus dem Fenster, vor dem die Sonne bereits hoch am Himmel steht und ihr Licht auf die verschneiten Wipfel des kleinen Wäldchens wirft, schwinge ich widerwillig die Beine aus dem Bett. Audrey Hepburn hebt kurz den Kopf von der Decke und sieht mich an als wäre ich nicht ganz bei Trost. Dann lässt sie den Kopf wieder auf ihre weißen Pfoten sinken und ignoriert mein hektisches Hin und Her durch Schlaf- und angrenzendes Badezimmer.

      Auf dem Stuhl liegt ein Haufen ordentlich gefalteter Kleidungsstücke, der am gestrigen Abend sicher noch nicht hier war: Eine dunkelblaue Jeans, ein einfaches weißes T-Shirt und ein kuscheliger, hellblauer Wollpullover, der hervorragend zum Zimmer passt. Außerdem ein Paar dicke Kuschelsocken.

      Auch im kleinen en-suite Badezimmer wartet ein ordentlicher Stapel mit frischen Handtüchern, einem Bademantel, einer Zahnbürste und den notwendigsten Kosmetika auf mich. Wie es scheint wurde hier weit mehr getan als nur das Bett bezogen und dafür bin ich nach dem aufreibenden, gestrigen Tag sehr dankbar.

      Ich schäle mich aus meinen leicht verschwitzten Sachen, stelle mich in die stilgerecht hellblau gekachelte Dusche und versuche, Stärke und Temperatur des Wasserstrahls durch drehen der beiden altmodischen Hähne auf ein akzeptables Level zu regulieren. Zunächst kommt nur ein dünnes, eiskaltes Rinnsal heraus, das vom knarzenden Protestieren der alten Wasserleitungen begleitet wird. Diese haben sich aber nach einigen Sekunden wieder an die ihnen zugewiesene Arbeit gewöhnt und ich darf eine recht angenehme Dusche genießen, die auch den letzten Rest Müdigkeit abspült.

      Widerstrebend verlasse ich die warme Duschkabine, trockne mich ab und schlüpfe in die bereitgelegten Kleidungsstücke. Nachdem ich mir dann auch noch gründlich die Zähne am kleinen, hellblauen Waschbecken geschrubbt habe, fühle ich mich schon fast wieder wie ich selbst.

      Ich gehe zurück ins Schlafzimmer und werfe Audrey einen auffordernden Blick zu. Sie ignoriert mich weiterhin geflissentlich und stellt sich schlafend.

      „Na gut, dann eben kein Frühstück für dich, du faules Stück.“, murmele ich und wende mich in Richtung Tür. Ich weiß, Katzen verstehen unsere Sprache nicht wirklich, aber es ist doch bemerkenswert, dass sie immer genau dann, wenn von Essen die Rede ist, plötzlich ganz folgsam werden. Ich habe den Satz jedenfalls noch nicht ganz beendet, da erhebt sich das Tier elegant vom Bett und streckt erst einmal gründlich die langen Beine, bevor sie sich dazu herablässt, mir in den Flur zu folgen.

      Mit den kuscheligen Socken sind meine Schritte auf dem dicken Teppich fast genauso leise wie die von Audrey, die genüsslich ihre Samtpfoten in den weichen Untergrund sinken lässt. Bitte nicht kratzen, schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel. Obwohl wir uns noch nicht allzu lange kennen, ist das eine Macke an ihr, die mich in unseren eigenen vier Wänden schon immer in den Wahnsinn treibt.

      Ich hoffe daher inständig, dass sie sich nicht auch hier an den antiken Bodenbelägen und wertvollen Möbeln zu schaffen macht. Sie tut mir den Gefallen und läuft brav hinter mir her zur Treppe.

      Am oberen Ende bleibe ich kurz stehen und lasse die riesige Eingangshalle noch einmal aus dieser Perspektive auf mich wirken.

      Das Deckengemälde strahlt in wunderschönen Blau- und Rottönen herab auf den ebenso strahlend weißen Marmorboden als würden die beiden um meine Aufmerksamkeit wetteifern. Zu meiner Verwunderung fällt aber kaum mehr Licht durch die Buntglasfenster der Eingangstür als am vergangenen Abend, weshalb der Kronleuchter auch zu dieser Zeit bereits von seinen warmen Glühbirnen beleuchtet wird.

      Neugierig gehe ich die Treppe hinunter in Richtung der hohen Flügeltüre. Je näher ich komme desto deutlicher zeichnen sich hinter den Fenstern verworrene Schattengebilde ab, deren Ursprung sich mir nicht erschließen will. Als ich direkt davor stehe, presse ich meine Nase gegen das Glas, um besser hindurchsehen zu können.

      „Sehr elegant.“, ertönt eine ironische Stimme direkt hinter mir und ich zucke vor Schreck zusammen.

      Als ich mich wieder gefasst habe, drehe ich mich langsam um und blicke direkt in die stahlblauen Augen des Blondschopfes, der so freundlich gewesen war, meinen Aufenthalt in der Repro-Klinik zu verkürzen.

      „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“, sagt er höflich, doch in seinen Augen glitzert immer noch der Spott. „Ich bin gestern in all der Eile gar nicht dazu gekommen, mich vorzustellen: Hi, Emilia, ich bin Fox. Schön, dich kennenzulenrnen.“, wieder streckt er mir seine Hand entgegen und dieses Mal greife ich ohne zu zögern zu.

      „Vorstellen muss ich mich demnach wohl nicht mehr, aber die Freude ist ganz meinerseits.“, antworte ich im selben, leicht geschwollenen Tonfall.

      Belustigt zieht er die rechte Augenbraue hoch und weist dann mit einem Nicken in Richtung Eingangstür: „Hast du ihn schon gesehen?“, fragt er geheimnisvoll.

      „Ehm…“, antworte ich eloquent.

      „Also nicht.“ Wieder macht er die Sache mit der Augenbraue und greift dann nach beiden Türklinken. „Aufgepasst! Und 1…2…3!“

      Damit öffnet er beide Türen gleichzeitig und präsentiert mir den riesigen Baum, der direkt davor durch die Veranda und das Vordach des Einganges gewachsen ist. Seine ausladenden Äste reichen auf beiden Seiten gut acht Meter weit und der Stamm ist so dick, dass man sicher drei Erwachsene aneinanderreihen müsste, um ihn zu umarmen.

      Passend zur Jahreszeit hat er sich ganz in elegantes Weiß gehüllt und sieht umso majestätischer aus.

      „Das Baumhaus!“, schlussfolgere ich staunend.

      „Richtig. Wenn du magst auch „zu Hause“, aber diese Entscheidung überlasse ich dir. Wie wäre es, wenn ich dir jetzt den Rest der Truppe vorstellen würde?“ Mit diesen Worten nimmt er mich wieder bei der Hand und zieht mich sanft in Richtung des Speisezimmers, aus dem fröhliches Stimmengewirr und Geschirrgeklapper zu hören sind.

      Ich drehe mich noch einmal kurz nach Audrey Hepburn um, aber die ist noch vollauf damit beschäftigt, jeden Winkel ihrer neuen Umgebung zu beschnuppern und beachtet mich überhaupt nicht. Schulterzuckend überlasse ich sie ihrer Erkundungstour. Sie wird sich schon melden, wenn der Hunger doch wieder dringender wird als ihre Neugierde.

      In dem Moment, in dem Fox die Tür zum Esszimmer öffnet, verstummen die heiteren Gespräche wie auf ein lautloses Kommando hin schlagartig. Rund um den großen Esstisch bleiben Besteck und Gläser erwartungsvoll in der Luft hängen und alle sehen zur Tür.

      Sofort merke ich, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Ich studiere eingehend meine hübschen, hellblauen Kuschelsocken und hauche ein leises „Guten Morgen“ in den Raum.