Lena Schneiderwind

Freiheit ist...


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      „Ihr Vater fand den Umgang, den wir hegten, allerdings alles andere als wünschenswert und mit Hilfe seiner guten Kontakte zur Regierung ließ er mich aus dem Wege räumen. Ich wurde in eine nette, kleine Besserungsanstalt irgendwo tief, tief im Nirgendwo gesteckt, in der ich den Rest meines minderwertigen Lebens fristen sollte.

      Wie du unschwer erkennen kannst, ist es dazu nicht gekommen. Und damit wären wir bei meiner besseren Hälfte angekommen: Meiner Zwillingsschwester Flora.“, schließt er und überlässt der Frau mit der unverkennbaren, blonden Mähne und der spannenden Müslischüssel das Wort.

      Sie wirkt ein wenig nervös als sie den Blick hebt und kurz ergänzt: „Hi, vorstellen muss ich mich dann, denke ich, nicht mehr und der Rest dürfte auch schon klar geworden sein: Ich hab` meinen Bruder da raus gehauen!“ Sie hebt kurz trotzig das Kinn, bevor sie meinem Blick schnell wieder ausweicht.

      „Sei nicht immer so bescheiden.“, tadelt Fox sie liebevoll. „Sie hat denen gehörig den Allerwertesten aufgerissen und mich in einer spektakulären Nacht-und-Nebel-Aktion vor meinem traurigen Schicksal bewahrt. Ich schulde ihr sozusagen mein Leben.“

      Das lockt Flora aus der Reserve. Sie hebt den Kopf und sagt energisch: „Du bist mein Bruder, verdammt! Ich konnte dich doch nicht diesen Barbaren überlassen!“

      „Außerdem hatte ich Hilfe.“, setzt sie mit einem kurzen Blick zu ihrem Nebenmann mit den zerzausten, braunen Haaren hinzu. Dann sieht sie wieder den paar übrig gebliebenen Müslistücken zu, die noch in einem letzten Schluck Milch durch ihre Schüssel treiben.

      Pan springt begeistert auf: „Gestatten, Pan. Vollzeit Querulant, Straßengauner, Weiberheld und Technikfreak. Stets zu Diensten, wenn es darum geht, etwas zu reparieren... oder zu zerstören; je nach dem, was gerade so angesagt ist.“ Der Text klingt ein wenig einstudiert, aber er ist sichtlich zufrieden mit seiner Performance.

      „Ich hab‘ gestern deine Doppelgängerin gefahren. Wir haben die Jagdhunde der werten Frau Doktor ganz schön verarscht! Was für ein Spaß!“, setzt er mit einem breiten Grinsen hinzu.

      Kurz blitzt das Bild des dritten Motorrads vor meinem inneren Auge auf wie es zeitgleich mit uns die Fata Morgana Mauer durchschießt.

      „Leider muss ich mich jetzt auch schon verabschieden und meinen Sozius von der Arbeit abholen.“ Er winkt kurz in die Runde und verlässt das Zimmer. Wenige Sekunden später klingt entferntes Motorheulen durch die unzähligen, bodentiefen Fenster, die das Speisezimmer säumen.

      „Was könnte es Wischtigeres geben als irgendeine Rock `interer ssu jagen.“ Die Französin verdreht theatralisch die Augen und fährt dann fort: „Dann mache isch wohl einfach mal weiter. Salut, meine Name ist Aurélie. Isch war Model, bevor diese Branche auf der schwarzen Liste der Regierung gelandet ist.“

      Eine nicht wirklich überraschende Information in Anbetracht ihres bewundernswerten Äußeren. Models und alles, was man mit ihnen in Verbindung bringen kann, wurden vor circa zehn Jahren in die lange Reihe der „Objekte mit zu großem Abhängigkeitspotenzial“ aufgenommen und die Branche umgehend eingestampft. Zu diesem Zeitpunkt kein wirklich großer Verlust mehr, denn es gab ohnehin kaum noch etwas, was sie hätten bewerben können. Werbung war schon damals nur den Level-1-Bürgern vorbehalten und hier versuchte man, wenn möglich, auf Anreize wie hübsche, junge Frauen zu verzichten.

      „Danach wurde isch Krankenschwester, isch verliebte mich, `örte auf ssu arbeiten und wurde `ausfrau und Mutter.“ Letzteres sagt sie mit unverkennbarem Stolz. Dann wird ihre Miene wieder ernst.

      „Meine Mann, eine wie er ssu sagen pflegte `ohe Tier“ in die Regierung, kam mit die Druck auf der Arbeit nischt ssurescht. Er fing an ssu trinken und wurde gewalttätig.“ Unbewusst hebt sie wieder kurz die Hand zu der langen Narbe auf ihrer Wange.

      „Nun und dann `abe isch,“ sie gerät ins Stocken. „Dann `abe isch ihn verlassen.“, schließt sie kurz, schiebt ruckartig ihren Stuhl zurück, steht auf und sagt mit brüchiger Stimme: „Isch sehe mal besser nach Maddie.“

      Damit verlässt sie fluchtartig das Zimmer und hinterlässt betretenes Schweigen.

      Günter ist wieder der erste, der sich fängt. „Gewalttätig!“, schnaubt er verächtlich. „Windelweich hat er sie geprügelt, der Bastard. Zum Ende hin mindestens einmal pro Woche, wenn er sich mit seinen Kumpels nach dem Dienst so richtig abgeschossen hatte.

      Ihr Gesicht hat er natürlich immer verschont, um den schönen Schein zu waren. Aber ihre ehemaligen Kolleginnen mussten sie mehr als einmal wieder zusammenflicken. Es fing kurz nach der Geburt der Kleinen Maddie an. Offenbar kam er mit den Freuden des Vaterseins nicht zurecht. Er wurde regelrecht eifersüchtig auf das Kind und ließ den Frust an seiner Frau aus. Zunächst nur verbal, aber über die Jahre wurde es immer schlimmer und schlimmer.“

      „Warum hat sie ihn denn nicht schon viel früher verlassen?!“, werfe ich aufgebracht ein.

      „So ein „hohes Tier“ verlässt man nicht einfach so, wie du dir sicher denken kannst.

      Wahrscheinlich hätte sie es trotzdem getan. Sie ist eine stolze Frau. Aber sie hatte wahnsinnige Angst, dass er ihr Maddie wegnehmen würde. Und das hätte er mit Sicherheit auch getan. Wenn nicht sogar Schlimmeres.“, antwortet Günter niedergeschlagen.

      „Aber schließlich hat sie es doch getan!“, folgere ich.

      „Richtig. Vor ungefähr zwei Jahren, Maddie war gerade fünf, setzte er Aurélie so heftig zu, dass unsere kleine Heldin es nicht mehr aushielt und dazwischen ging. In seiner Raserei machte der Irre nicht mal Halt vor seiner eigenen Tochter. Da hat Aurélie rot gesehen. Wie eine Furie ist sie auf ihn losgegangen.

      Hat ihr eine hübsche Wunde im Gesicht beschert, aber gegen die Wut einer Mutter kommt eben selbst ein ausgebildeter Soldat nicht an. Hat ihn mit einer Blumenvase k.o. geschlagen und dann mit der Kleinen das Weite gesucht.

      Fox` Freundin, Meiling - ich glaube, du hast sie gestern kurz kennenlernen dürfen - hatte schon länger ein Auge auf Aurélie und mehrfach versucht, sie zur Flucht zu bewegen. Sie kontaktierte uns, als die zwei verängstigt vor ihrer Tür auftauchten und dann haben wir sie, ähnlich wie bei dir gestern, da raus geholt.“

      Als er zum Ende der Geschichte kommt, stelle ich fest, dass ich meine Finger in die Armlehnen meines Stuhls gekrallt habe, um das wütende Zittern zu unterdrücken, das meinen ganzen Körper erfasst hat.

      „Naja, jetzt sind die zwei jedenfalls hier und in Sicherheit. Und, wie du gesehen hast, hat Maddie das Ganze mittlerweile recht gut verarbeitet.“, sagt Günter beruhigend. „Außerdem hat uns ihre Rettung auch um unser Genie hier bereichert.“

      Er weist mit einem anerkennenden Blick rüber zu Tristan, der die ganze Zeit über still dagesessen und eine Scheibe Toast in perfekte, kleine Quadrate zerteilt hatte, die jetzt alle exakt dieselbe Größe haben.

      „Wie er sie behandelt hat, das war nicht in Ordnung.“, sagt er bestimmt und ohne den Blick von seinen Toast-Quadraten zu wenden. „Wenn man die Möglichkeit hat, das Richtige zu tun, dann muss man das auch tun.“

      „Der junge Mann hier hat uns damals auf jeden Fall ganz schön den Arsch gerettet. Ohne ihn säßen wir jetzt alle in irgendeiner Besserungsanstalt oder würden Frau Doktor Dorsch und ihrer Bande von hirnamputierten Stümpern als Versuchskaninchen dienen.“

      „Ihr habt mich mitgenommen. Also sind wir wohl quitt.“, winkt Tristan ab. Dann steht er etwas linkisch auf und verlässt beschämt das Zimmer ohne noch einmal den Blick zu heben.

      „Er war einer ihrer leitenden Wissenschaftler, musst du wissen. Auch wenn sie ihn nach allem, was ich bisher so aus ihm herausbekommen habe, eher wie einen dressierten Affen behandelt haben. Aber er war auf jeden Fall der klügste Kopf in dem ganzen Bumms da. Damals hieß es natürlich noch nicht Repro-Zentrum. Das haben sie ja offiziell gerade erst eröffnet.

      Aber da liefen schon diverse Versuche und irgendwelche Studien. Alles nicht ganz koscher, wenn du mich fragst.

      Aurélies Kolleginnen haben uns bei der Flucht geholfen,