dass ihr natürlich Vorzugskonditionen erhaltet. Kommt ihr demnächst mal nach Hamburg? Könnt bei mir übernachten. Übrigens liegt eine Einladung von Panik-Udo anbei. Auftritt erst im September in Halle.“
„Was hat Meise da eigentlich gezeichnet?“, fragte Emma. Da rief im Kinderzimmer Luca sein etwas kreischend klingendes „Maaammaa!“ Emma stand auf, ging um mich herum und sah mir kurz über die Schulter. „Ach, ein Porträt von Lindenberg mit Schlapphut, mit Mikro und Gitarre.“
„Und ein persönliches Geschenk von Udo. Zwei Tickets zum Lindenberg-Open-Air am 7. September in Halle, oder altdeutsch gesagt: Einlasskarten für ein Freilichtbühnen-Konzert“, rief ich Emma hinterher. Unsere Sprache nahm immer mehr Amerikanisch an. Mir fiel es auf, anderen scheinbar nicht. Es juckte keinen. Vielleicht weil alles so viel modischer als früher klang. Mir war es egal. Es gab Wichtigeres im Leben.
Hörbi, mein Freund aus alten Schul- und WG-Zeiten und jetziger Pädagogischer Leiter unserer Bildungseinrichtung, war da anderer Meinung. „Da schleicht sich mit der Amerikanisierung der Sprache ebenso wie bei den Hollywoodfilmen eine Menge transatlantischer Vasallendenke mit ein“, hatte er einmal gesagt, und er meinte, dass damit unbewusst eine gehörige Portion Loyalität, ein Gefühl wenig hinterfragter Verbundenheit, transportiert würde. Ich hatte ihm versprochen, das wir das ein andermal ausführlich diskutieren könnten. Bis heute war ich drumherum gekommen.
Die Freikarten vom Panikmeister interessierten mich mehr als jedes Vasallentheater. Denn seit ich unternehmerisch tätig war, hatte meine Teilnahme an Konzerten deutlich gelitten. Es war einfach keine Zeit geblieben für Musik und Kultur. Die Kultur hieß jetzt Arbeit und die Arbeit hieß Umweltschutz und Umweltschutz hieß Zukunft für unsere Kinder. Erst vier Jahre war Tschernobyl her. So ein Atomdesaster durfte nie mehr vorkommen, sonst wäre es aus und vorbei mit jeglichen Konzerten.
Vor drei Monaten hatte Udo Lindenberg seine DDR-Tournee in Suhl und Leipzig gestartet. Meise war als einer seiner besten Freund mitgereist. Er hatte mir telefonisch von den Konzerten vorgeschwärmt. Es war eine sehr erfolgreiche Tournee gewesen, man hatte Lindenbergs Panikorchester bejubelt, und er musste den »Sonderzug nach Pankow« mehrmals abfahren lassen. Bühnenzauber.
Emma und ich waren gegenüber dem Börsen- und Profitzauberer Jürgen Harksen bisher standhaft geblieben, hatten seinen zahlreichen Investmentangeboten tapfer widerstanden. Zwischendurch hatte zu allem Überfluss auch noch die inzwischen berüchtigte Nigeria-Connection versucht, deutsche Mittelständler mit fiesen Tricks um ihr Geld zu erleichtern. Einer dieser angeblichen nigerianischen Prinzen hatte es tatsächlich auch bis zu meinem Telefonanschluss geschafft. Doch ich hatte den Prinzen in Lagos zurückgerufen und schnell herausgefunden, dass es um Vorschussbetrug ging.
Der falsche Prinz hatte eine Provision in Millionenhöhe versprochen, wenn man seine Dollars aus Nigeria in Europa auf einem offiziellem Firmen-Konto zwischenlagere. Aber um die millionenschwere Provision zu erhalten, sollte der deutsche Michel vorab an viele zwischengeschaltete Komplizen scheibchenweise immer mehr Zahlungen leisten, um sodann am nächsten Straßenräuberposten noch einmal Zollgebühren zu blechen.
Danach ging das Zahlungs-Roulette erbarmungslos weiter mit angeblich notwendigem Bestechungsgeld für die Abstempelung der staatlichen Ausfuhr- beziehungsweise Transfer-Genehmigung, und für vieles andere, auch für Notarhonorar. „Nur zu Ihrer Sicherheit!“, hatte der angebliche Prinz bei den Betrogenen betont, wie später aus den Zeitungsberichten zu erfahren war. Dann hatte er noch von unabdingbaren Versicherungsgebühren gesprochen.
Natürlich hatte er die Zahlungskette nicht von vornherein offengelegt, sondern die gutgläubigen Betrugsopfer erst das eine zahlen lassen, bevor er mit der nächsten Zahlungshürde aufwartete. Die nigerianische Kreativität finanzieller Abschöpfmöglichkeiten schien so grenzenlos zu sein wie Reinhard Meys grenzenloser Himmel, hoch über den Wolken. Letzten Endes jedoch wurde – trotz aller hoffnungsvoll geleisteter Vorschussgelder – kein einziger Provisionsdollar gezahlt.
Ein relativ gut zu durchschauendes Spiel. Dennoch waren eine Menge Mittelständler auf diese Masche hereingefallen, wie dem SPIEGEL zu entnehmen war. Nur weil sie alle vom schnellen Mammut träumen, ging mir durch den Sinn. Doch auch ich hatte für einen kleinen Moment der Legende dieses betrügerischen Spiels mein Ohr geliehen, was offenbar bedeutete, dass ich insgeheim ebenfalls an die Existenz des „schnellen Geldes“ zu glauben bereit war. Die kapitalistischen Verlockungen hatten mich erfasst – aber nicht überrollt. Ich hatte rechtzeitig, auch dank Emmas kritischem Blick, die Bremse gezogen.
Emma kam zurück, auf ihrem Arm der fünfjährige Luca; hinter ihnen tapste die zwei Jahre ältere Karola in die Küche.
„Man kann sein Geld nur durch ehrliche Arbeit verdienen“, sagte Emma.
„Du wiederholst die Worte meines Vaters“, antwortete ich.
„Sind sie deshalb etwa nicht richtig?“
„Opa ist tot“, sagte Karola traurig.
„Ja, es geht ihm jetzt aber gut“, tröstete sie Emma. Mein Vater war nach einem Herzversagen vor einem halben Jahr verstorben. Es klingelte und klopfte an der Wohnungstür. Es war Sonntagvormittag. Das konnte nur Lollo sein.
Ich ging hin, öffnete und kam mit meiner Mutter zurück. Lollo bot sich an, mit den Kids zum Spielplatz zu gehen. Die Bezeichnung Kids kam gerade in Mode und so flötete es aus mir heraus: „Die Kids könnten mit Lollo in den Park gehen.“ Emma nickte zustimmend, und wir zogen Karola und Luca an.
Meine Frau sah mich erwartungsvoll an. Dann wiederholte sie: „Es ist doch eine richtige Sicht: Nur mit ehrlicher Arbeit kann man sein Geld verdienen.“
„Doch, doch, das meinte ich ja.“ Jetzt bloß keine Missverständnisse, dachte ich. Kein Ehestreit vor meiner Mutter. Wir hatten genügend Belastungen am Hals. Emma hatte sich in die Geschäftsführung der Frankfurter GTU, unserer Umweltbildungs- und Beratungseinrichtung, gestürzt. Sie machte mir in letzter Zeit einen ziemlich nervösen Eindruck. Einen Betrieb von außen zu sehen und zu kommentieren war leichter, als im Betrieb handeln und Entscheidungen treffen zu müssen. Sie musste sich mit den Mitarbeitern abstimmen, Vertrauen aufbauen, Ratschläge entgegennehmen und ohne Besserwisserei Ratschläge erteilen. Das war zweifellos eine andere Hausnummer.
Und ich hatte zwei Unternehmen zugleich aufzubauen – in Berlin, West wie Ost, und im thüringischem Bad Langensalza. Dazu die Kids und jede Menge Hausarbeit trotz Haushaltshilfe. Wegen Harksen streiten, war das Letzte, was wir heute brauchten. Wir hatten jetzt Urlaub nötig, aber die Umstände ließen es nicht zu. Es hieß durchackern was das Zeug hielt.
Auch ich brauchte keine unnötigen nervlichen Belastungen, mein Magen hatte in letzter Zeit rebelliert und mit Sodbrennen und gelegentlichen Magenkrämpfen aufgemuckt. In Immobilien spekulieren, nein, das kam nicht in Frage – auch wenn Harksen wie in früheren Zeiten mit über 300 Prozent Rendite winkte.
Meiner Mutter winkte unser Dank und unsere Anerkennung. Und es winkte ihr ein wenig Ablenkung von ihrer Trauer. Die drei gingen zum Spielplatz. Emma und ich unterhielten uns über Harksen und tranken unseren Kaffee zu Ende. Wir wussten viel zu wenig über ihn, aber genug, um misstrauisch zu sein. Vier Jahre später erfuhr ich von ihm, was er gerade zu jener Zeit erlebte, in dem wir über ihn sprachen.
Anders als die nigerianische Mafia, griff Jürgen Harksen auf eine subtilere Geschäftsmethode zurück. Aus kleinen Verhältnissen stammend, hatte er instinktiv begriffen, dass sich der westdeutsche Mittelständler, an den er sich traute, mit bunten und teuren Blendgranaten täuschen ließ. So hatte Harksen 1988 einen Porsche geleast. Der Chef der Leasingfirma, Herr Klaus, wurde zu einem seiner guten, treugläubigen Kunden. Als er Harksen den ersten Leasing-Porsche persönlich vorbeibrachte, sagte er: „Herr Harksen, von Ihnen nehme ich keine Anzahlung. Bei Ihrer Bonität wäre das eine Beleidigung.“
Harksen nickte wohlwollend und wissend, während er in sich hineinschmunzelte. Er dachte daran, dass seine Bonität lediglich auf den Anlagegeldern solcher Leute wie dem Leasing-Chef fußte. Geld, das also eigentlich nicht ihm, Harksen, gehörte. Als Herr Klaus beim Abschied einen Blick nach draußen auf die Straße warf, fragte er den Anlageprofi beiläufig: „Sehen Sie den