Laurent Bach

Mord am Fluss


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… Er atmete tief ein. Immer langsam, dachte er, noch ist gar nicht klar, wie er gestorben ist.

      „Nichts ist los. Wir haben einen toten Kerl aus dem Gardon gefischt.“

      Der Strahl einer Taschenlampe erleuchtete das bleiche tote Gesicht. Bertin trat näher.

      „Wie ist der denn angezogen? Und überhaupt … Einer von euch?“ Bertin leuchtete erst Claude, dann Julien direkt ins Gesicht, bevor der Strahl wieder zu dem Toten wanderte.

      „Ja, einer von uns“, antwortete Julien gereizt. „Ich kenne ihn. Jerôme Malakov aus Nîmes . Wir haben uns vor einem halben Jahr mal getroffen.“

      „Wie alt?“

      „Ungefähr 35.“

      „Ein Russe?“

      Julien zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich.“

      „Angehörige? Wohnort?“

      „Ich glaube, einen Bruder. Wo genau er in Nîmes gewohnt hat, weiß ich nicht.“ Julien schien verblüfft darüber zu sein, dass er so wenig von seinem Bekannten wusste.

      „Was sucht der hier? Dich?“

      Die vertrauliche Anrede Juliens kam Claude seltsam vor, doch seitdem Bertin quasi zur Familie gehörte, duzte er Julien.

      „Keine Ahnung. Das ist dein Job“, kam Claude Juliens Antwort zuvor.

      Bertin brummte nur etwas Unverständliches und sah sich um. Sergeant Joberton, ordentlich in seine Uniform gekleidet, war seinem Chef gefolgt, sodass nun vier schweigende Männer einen Kreis um den Toten bildeten. Bertin kniete sich nieder, um nach einer äußeren Verletzung zu suchen. Als er den Kopf drehte, schloss Claude kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, zog Bertin gerade eine Geldbörse aus der Jeanstasche. Dann erhob er sich, klopfte sich die Hose ab und starrte erneut auf die Leiche. „Der Schädel sieht verdächtig aus. Er ist auch wohl schon länger tot und im Wasser.“

      „Vielleicht tust du jetzt mal was?“ forderte Claude und schüttelte den Kopf über die Mutmaßungen Bertins, doch dieser warf ihm einen genervten Blick zu, öffnete die Brieftasche und fand einen Ausweis. Dann orderte er in einem Telefonat Verstärkung aus Nîmes an, die Spurensicherung sowie einen Transport, der den Toten in die dortige Pathologie bringen würde. Julien stand immer noch neben ihm, stumm, fast abwesend. Dachte er darüber nach, wie und warum sein Kumpel hierher gekommen war? Genau dieser Sachverhalt störte Claude. Der ungewöhnliche Besuch und sein bizarres Ende hingen wie ein drohendes Schwert über ihnen. Joberton kehrte zum Fahrzeug zurück und kam kurz darauf mit einer Plane wieder. Als diese sich auf Jerôme Malakov senkte, atmete Claude auf, als verschwände mit dem Leichnam auch seine Sorge. Er drückte Juliens Hand. Er hatte ja gewusst, dass etwas an diesem Abend nicht stimmte. Das Wasser war schuld. Er hatte mit seinen Steinen die Geister des Wassers heraufbeschworen, den Nöck, den Pépé-Crochet, die Nixen, wen auch immer. Die Geister der Tarn, die dann aus den silbrigen Wasserkreisen heraufgestiegen waren und ihn über die verräterische Mimente bis an den Gardon verfolgt hatten. Und im Gepäck brachten sie eine Wasserleiche mit und legten diese auch noch zielgenau vor seine Füße.

      „Können wir heimgehen?“ Er wagte kaum, diese Frage zu stellen. Bertin wollte erst etwas entgegnen, doch dann betrachtete er sie, durchbohrte sie mit seinem dunklen Blick. Dann nickte er. „Gut. Morgen früh dann die Befragung. Um zehn Uhr.“

      „Danke, Jean.“

      Bertin brummte erneut vor sich hin und setzte sich auf Claudes Stein, der nicht weit entfernt lag, während Joberton nach einem hiesigen Arzt telefonierte, der einen ersten Blick auf Jerôme werfen sollte. Leise Dankbarkeit und Erleichterung stiegen in Claude auf. Normalerweise hätten sie jetzt noch zwei oder drei Stunden in der Gendarmerie fest gehangen, doch Bertin zeigte ein Herz für übermüdete Hochzeitsgäste. Endlich ins Bett, endlich Juliens Haut an seiner spüren, seine warmen Arme. Und auf seine Worte horchen, denn er würde ihm noch das mit Jerôme etwas ausführlicher erklären müssen. Seit wann stand Julien auf Tunten?

      Na ja, warum nicht, dachte er, als sie im Bett lagen. Virenques Schnurren kam aus Richtung Fußende, wahrscheinlich lag er auf den Beinen seines Freundes. Es gab so viele Fragen, da war die nach Juliens Geschmack zweitrangig. Jerôme war doch sicher mit dem Auto hergekommen. Wo stand es? Wie lange war er schon hier gewesen? Wo hatte er Unterkunft gefunden? Doch Juliens düsterer Ausdruck machte es Claude schwer.

      „Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?“, fragte er mit sanfter Stimme und strich ihm über die Brust. „Erzähl mir doch von ihm.“

      „Das willst du gar nicht hören.“ Julien schloss die Augen vor dem grellen Nachtlicht. Claude schaltete die Lampe aus, sodass nur noch das gedämpfte Licht der Straßenlampe ins Zimmer fiel.

      „Weißt du denn, was er hier gewollt hat? Hat er sich bei dir gemeldet? Wollte er wirklich zu dir?“

      Die Brust hob und senkte sich mit seiner Hand. „Er wollte immer zu mir. Er hat mich gestalkt, Claude, wollte nicht loslassen.“ Julien legte sich die Hand vor die Augen und verzog sein Gesicht. Claude erschrak und schoss aus seinem Kissen hoch. „Was? Seit wann schon? Wann zuletzt? Nun sag es mir doch.“

      Julien schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Ich will diese ganze Scheiße vergessen.“

      „Du bist jetzt sicher vor ihm. Da kannst du mir doch ein wenig mehr erzählen, oder?“

      Juliens Hand wanderte zu Claudes Wange, berührte spielerisch seine Haut. „Zuletzt hatte ich vor vier Wochen eine SMS bekommen. Davor praktisch jede Woche entweder einen Anruf oder einen schwülstigen Liebesbrief. Als ich noch in Nîmes gewohnt habe, stand er so oft vor meiner Tür, dass der Vermieter schon Ärger gemacht hat. Dabei waren es nur zwei, drei gemeinsame Nächte, vor einem halben Jahr ungefähr. Er war sowieso nicht mein Typ. Es war eher ein Zufall.“

      Ein Date kurz vor ihrem gemeinsamen Urlaub in Paris, na toll, dachte Claude und fiel ins Kissen zurück. Doch dann schämte er sich. Sie hatten sich immer Freiheiten gegönnt, da konnte er jetzt nicht anfangen, eifersüchtig zu sein.

      „Naja, du bist eben ein begehrter Typ“, seufzte er und drehte sich auf die Seite. „Nicht nur die Lederjungs, sondern auch Tunten sind hinter dir her.“

      „Ja, ich hab’s schon schwer“, sagte Julien und sah ihn verschmitzt lächelnd an. „Du bist mir nicht böse?“ Für einen Moment wurde sein Ausdruck wieder besorgt.

      „Nein, warum sollte ich?“

      „Und dass er eine Tunte ist … das war früher anders. Anfangs war er normal männlich. Erst, als ich mit ihm zusammen gewesen war, faselte er etwas von Erfüllung gefunden und der richtigen Lebensweise und so.“

      „Klar, du hast es ihm so toll besorgt, dass er nicht mehr wusste, ob Männlein oder Weiblein“, sagte Claude trocken.

      „Jetzt hör auf, Claude. Der arme Kerl, er war schon irgendwie komisch. Aber du weißt doch, wie schwer das ist. Aber weißt du, was er dann gemacht hat?“

      „Du wirst es mir gleich sagen.“ Claude war zufrieden mit seiner Ausbeute. Hatte Julien erst einmal den Anfang gefunden, konnte er nicht mehr aufhören.

      „Er ist Travestiekünstler geworden, in einer kleinen Truppe in Nîmes. Singen konnte er immer schon, er war in einem Männerchor.“

      „Bestimmt Countertenor.“

      Prompt bekam Claude einen Ellbogen in die Rippen.

      „Claude! Es hat ihm Spaß gemacht und er war wirklich nicht schlecht. Ich hab mir zwei Mal ihre Bühnenshow angesehen. Witzig, ironisch, überzeugend. Auch wenn ich ihn kaum kannte, nehme ich ihm sofort ab, dass er das Ziel seines Lebens gefunden hatte: die Bühne, die Musik. Nur, dass ich nicht daran teilhaben wollte, hat er mir übelgenommen.“

      „Wie fühlst du dich jetzt?“, wollte Claude wissen.

      Julien zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Wenn er wirklich wegen mir in der Gegend war – und davon gehe ich aus – sollte ich mich ja eigentlich schuldig