Laurent Bach

Mord am Fluss


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soll das, Jean? Glaubst du, wir poppen aus Langeweile? Dass man sich auch ohne Sex treffen kann, geht nicht in deine Birne rein, oder wie?“ Aus Claudes Augen schossen Blitze, kein Wunder, er musste schließlich die Ehre und Treue seines Lebensgefährten verteidigen.

      „Mir ist es egal, ob ihr euch aus Langeweile poppt oder nicht“, sagte Bertin trocken. „Ich weiß nur, dass der Mann Kleidung trug, die man eher bei Frauen sieht. Glitzershirt, Jeans mit Stickerei. Und bevor du dich wieder aufregst, Claude, ich weiß, dass dieser Mann nur seine weibliche Seite betont und ausgelebt hat.“

      „Das hast du sehr schön umschrieben, Jean.“ Ein spöttisches Lächeln erschien auf Juliens Gesicht, bevor er fortfuhr. „Bevor du also fragst, ja, ich hatte was mit ihm, nur kurz, vor einem halben Jahr. Hin und wieder sieht man sich eben, aber es gab keine weiteren Treffen, weder vor noch nach dieser SMS. Ich weiß nicht, was er hier gewollt hat. Muss ich auch nicht.“

      Bertin trommelte auf die Tischplatte. Er ärgerte sich über diesen dahin geworfenen Halbsatz. Als wäre er dafür zuständig, alles zu wissen und jeden zu kennen. „Ich werde schon herausfinden, was er von dir wollte.“ Er legte die Betonung so, dass kein Zweifel darüber bestand, was er vom Auftauchen des Fremden dachte. Natürlich wollte Malakov zu Julien, das war so klar wie das Amen in der Kirche.

      „Weißt du etwas über seine Familie und seine Arbeit?“

      In den nächsten Minuten rückte Julien seine Informationen heraus. Malakovs Familie stammte wahrscheinlich aus Russland, er hatte einen Bruder und arbeitete freiberuflich als Werbedesigner. Zudem sang er in einer Travestie-Gruppe. Insgeheim hoffte Bertin, dass der Beamte aus Nîmes sich diesen Teil der Ermittlung vornehmen würde. Er hatte keine Lust, in Schwulenbars und Varietés schief angesehen oder gar angemacht zu werden.

      „Wie war er so?“ fragte Bertin

      „Anstrengend.“

      „Wie meinst du das? Anstrengend seid ihr beiden auch.“

      Claude grinste, doch Bertin war nicht entgangen, dass er bereits die ganze Zeit eine gewisse Besorgnis ausgestrahlte.

      „Na, anstrengend eben. Hibbelig, nervös, sprudelnd und launisch.“ Juliens Hände vollführten Halbkreise in der Luft, dann sah er seinen Freund an, als wollte er sich vergewissern, alles richtig gemacht zu haben. Was ging da zwischen ihnen vor? Hatten sie sich in irgendeiner Weise abgesprochen?

      „Wo warst du am Freitagabend zwischen 17 und 20 Uhr?“

      Julien sah ihn mit großen Augen an. Jawohl, nun ging es ans Eingemachte, dachte Bertin hämisch und hielt seinen Lieblingskugelschreiber bereit, um sich die Antwort zu notieren.

      „Ich war in der Bank.“

      „Um diese Zeit?“

      „Ich hab Überstunden gemacht. Musste noch eine Abrechnung checken.“

      „Hat dich jemand gesehen?“

      „Ich glaube, Dumont, mein Chef, hat kurz hereingeschaut, so um 19 Uhr. Vielleicht hatte er etwas vergessen.“

      Julien starrte an die Decke. „Bei der Gelegenheit haben wir noch kurz über das Ergebnis der Abrechnung gesprochen.“

      „Monsieur Charles Dumont, Credit Agricole.“ Laut sprach Bertin die Worte nach, die er auf den Block schrieb. Noch mit dem Blick auf die blaue Tinte, fragte er beiläufig: „Und du, Claude?“

      „Ich? Ich habe Julien für fünf Minuten besucht, so um 17 Uhr 45, denke ich. Ich war ohnehin in Alès und habe eben vorbei geschaut.“

      „Und dann?“

      Claude rückte auf seinem Stuhl hin und her. „Hm, ich hab schon überlegt. Kellnern war ich jedenfalls nicht mehr. Ich war dann wohl zuhause, hab sauber gemacht, ferngesehen. Virenque ist mein Zeuge.“

      „Was lief denn? Cat Woman? Felidae? Hat der Film der Katze gefallen?“

      „Frag ihn selbst. Der Verräter nimmt ja schon Futter von dir.“

      „Warum auch nicht?“

      Wieder diese Ressentiments gegen den Freund seiner Mutter. Die seltsame Hassliebe, die sie beide verband, war immer wieder Anlass für Sticheleien und Verärgerung. Marie sah diese Beziehung entspannt, sie lächelte über diese Nichtigkeiten, die sie sich gegenseitig lieferten, und glaubte wohl, sie seien ein Zeichen für ihre Verbundenheit. Was sich liebt, das neckt sich. War es denn so? Bertin mochte Claude. Meistens. Er sollte gelassener mit ihm umgehen, schließlich war dessen Beziehung zu seinem inzwischen verstobenen Vater problematisch gewesen. Der biologische Erzeuger war ebenfalls tot, und so war es kein Wunder, dass sich Bertin als Nachfolger im Herzen seiner Mutter einer kritischen Beurteilung unterziehen musste.

      Er kritzelte „kein Alibi, zuhause“ auf den Block und schlug ihn kurz darauf zu.

      „Das war es, meine Herren. Danke!“

      Aus den Augenwinkeln erkannte Bertin, dass Joberton über den Platz stürmte, eine Tüte in der einen und das Handy in der anderen Hand. Er stürzte in das Gebäude hinein und kam sofort in sein Büro. Claude und Julien blieben verwundert im Türrahmen stehen.

      „Ein Anruf aus Alès. Wie ich schon sagte, Chef, meine Annahme war richtig.“ Vor den beiden Besuchern wollte sein Sergeant natürlich keine weiteren Angaben machen, doch der tiefe Blick Jobertons drückte aus, dass man Malakovs Fahrzeug in der Nähe von Juliens Wohnung gefunden hatte.

      „Ihr könnt gehen. In einer halben Stunde könnt ihr die Aussage unterzeichnen.“ Bertin wedelte mit der Hand, worauf die beiden Männer nach einigen Abschiedsworten das Gebäude verließen. Eine spürbare Irritation bahnte sich ihren Weg in seine Gedanken. Weshalb stand der Wagen dort? Julien hatte ihn angelogen und das Paar heckte irgendetwas aus. Er musste doch jetzt annehmen, dass Julien und Malakov sich getroffen oder zumindest kurz gesehen hatten. Warum sagte er das nicht?

      Das Alibi – hier würde er fortfahren. Wenn Monsieur Dumont Juliens Anwesenheit bestätigten konnte – tja, was dann? Dann war Julien zwar kein Mörder, aber er hatte ihn vielleicht trotzdem belogen. Und das schmerzte ihn mehr, als er zugeben mochte.

      ***

      Ein stiller Sonntag ohne Termine und Treffen lag vor ihnen. Nach dem Unterzeichnen des Protokolls auf dem Revier waren sie schweigend über den Plan de Brie gegangen, tauchten ein in die Gassen, in denen hier und dort noch Stände mit Tonwaren und Kunsthandwerk vor den Läden standen, um die wenigen Touristen anzulocken. Claude ging in eine Boulangerie, um Croissants und ein Baguette zu kaufen. Durch das Schaufenster sah er Julien auf dem Marktplatz stehen, er starrte auf sein Handy. Wie schweigsam er seit der Befragung geworden war, dachte Claude, wischte aber die Befürchtung, dass etwas nicht stimme, mit einem Ruck seines Kopfes zur Seite. Natürlich war alles in Ordnung. Tief sog er den vertrauten Geruch nach Brot, Vanille-Eclairs und Madeleines ein, bevor er seine Bestellung aufgab. Er legte einen Geldschein auf den Tresen und sah wieder zu seinem Freund hinaus. Dieser tippte auf dem Display des Handys herum. Wem schrieb er da? Jetzt nagte er sogar an der Unterlippe.

      „Claude, dein Wechselgeld!“

      Die Stimme der Verkäuferin schreckte ihn auf, er steckt die Münzen ein.

      „Danke, Madame Bertin“, gab er ein wenig mürrisch zurück, gab er doch Bertins geschiedener Frau instinktiv die Mitschuld daran, dass dieser sich an seine Mutter herangemacht hatte.

      „Gern geschehen.“ Die imposante Frau revanchierte sich mit einem bösartigen Blick.

      Mit zwei Tüten in der Hand verließ er die Bäckerei und nickte Julien zu. Sie gingen weiter, bis sie auf die Place Notre Dame gelangten und Claude den Haustürschlüssel aus der Jeans zog.

      „Gibt es etwas Neues?“

      „Nein.“ Julien stieg die Treppenstufen zur Haustür hinauf, die von einem bröckelnden Steinrelief geziert wurde. „Wieso?“

      „Na, ich dachte, du hättest deine Bekannten in Nîmes gefragt, ob sie etwas von Malakov wissen.“

      „Du