Laurent Bach

Mord am Fluss


Скачать книгу

Claude.

      „Ist Jerôme auch mit auf dem Bild?“

      Wortlos huschte der Finger zu einer dünnen blonden Frau, die ein strenges Lehrerinnenkostüm trug, was ihn ein wenig an Armandine Bichon erinnerte. Jerôme war geschickt geschminkt, sodass Claude niemals die Wasserleiche in dieser Person erkannt hätte.

      „Warum fragst du?“ Marc bot ihm eine Dose Cola an, die Claude dankend annahm. Kühle Tröpfchen perlten an dem Aluminium hinab. Er setzte sich auf das Sofa.

      „Weil Jerôme tot ist.“ Mit einem Zischen entwich die Kohlensäure aus der geöffneten Dose. Claude dachte nicht daran, sich angemessen zurückzunehmen. Sollte Marc sich ruhig ein wenig erschrecken. Und tatsächlich - Marc starrte ihn entsetzt an.

      „Was? Du spinnst doch.“

      „Leider nicht. Er trieb im Gardon, ich habe ihn rausgefischt.“

      Sein Gegenüber ließ sich perplex in einen hellen Ledersessel fallen. „Aber - aber warum sollte er sich das Leben nehmen? Es lief doch alles super für ihn.“

      Claude zuckte nur die Achseln und überließ Marc seiner irrigen Meinung.

      „Wirklich alles? Das klingt ein bisschen übertrieben. Gab es da nichts, was ihn nervte und störte?“

      „Nicht, dass ich wüsste.“ Marc stand auf, um sich an einer Kommode einen Drink einzuschenken, irgendeine honiggelbe Flüssigkeit, die er in einem Schluck vertilgte. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich um. Sein Blick war verwirrt, aus seinem Gesicht sprang ihn die Fassungslosigkeit an.

      „Naja, eine unglückliche Beziehung und so, das kann doch schon mal zu einem Aussetzer führen“, schlug Claude vor.

      „Er hatte keine Beziehung“, sagte Marc dumpf.

      „Vielleicht war das ja das Problem“, erwiderte Claude. Insgeheim hoffte er, dass Marc von Jerômes Stalking erfahren hatte, auch wenn es Julien belastete. Es fühlte sich in seinem Inneren besser an, wenn die Verfolgungen mehr oder weniger offen erfolgt waren. So, als wäre das Ganze nur eine alberne Obsession, eine momentane Verwirrung, über die jeder nur lachen konnte.

      „Kann sein. Da war die Sache mit Julien“, murmelte Marc. Plötzlich sah er auf. „Wie heißt du noch mal? Claude?“

      Er nickte. Sofort trat Marc näher und betrachtete ihn aufmerksam.

      „Du bist also der Glückliche, der uns Julien weggeschnappt hat? Gratuliere!“

      „Danke. Du hast also von Jerôme und Julien gewusst. Was lief da genau ab?“

      Marc setzte sich wieder zu ihm und nickte. „Julien macht sich also Vorwürfe. Das verstehe ich. Aber das war Jerômes verdammte Sturheit. Er war so verschossen in Julien, dass er ein halbes Jahr von nichts anderem mehr redete.“

      „Jeder wusste also von dieser unglücklichen Sache? Und dass Jerôme Julien verfolgte?“

      „Das Stalking?“ Marc seufzte. „Das war kein böses Stalking. Jerôme war verwirrt, einsam vielleicht. Und es ließ ja dann auch nach, als Julien fortgezogen war. Aus den Augen, aus dem Sinn. Manchmal funktioniert das. Glaubst du, Jerôme hätte sich deswegen noch umgebracht?“

      „Jerôme hat sich nicht selbst getötet. Er wurde ermordet.“

      Da sprang Marc auf. Sein Mund öffnete sich, doch er brachte keinen Laut hervor. Nach einigen Sekunden ließ er sich wieder neben ihn auf das Polster fallen. „Und das sagst du mir einfach so? Was willst du überhaupt von mir?“

      „Dir sagen, dass du dir einen neuen Sänger suchen musst. Willst du es lieber von den Bullen erfahren? Die werden sowieso noch zu dir kommen.“

      Diese Nachricht versöhnte Marc anscheinend mit Claudes wenig einfühlsamen Verhalten. „Ach so, ja. Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.“

      Dann sah er mit einem entsetzten Ausdruck auf. „Hat Julien ihn umgebracht?“

      Claude zuckte zusammen. Warum glaubte jedermann, dass Julien in den Fall involviert war? „Nein! Bist du verrückt? Er hat nichts von Jerôme gehört, seit vier Wochen. Und er hat ein Alibi.“

      Marc nickte langsam. „Ja, das passt. Ich sagte ja, dass Jerôme ruhiger geworden war.“

      „Wo warst du eigentlich am Freitag, so zwischen 18 und 20 Uhr?“

      „Erst hier zuhause, dann bin ich rüber in den Club, für den Auftritt.“

      „Wann hast du Jerôme zum letzten Mal gesehen?“

      „Das muss Donnerstagabend gewesen sein, ich traf ihn in der Stadt.“

      „War er allein? Wie war er so drauf?“

      Marc schüttelte plötzlich den Kopf, er wirkte verärgert. Na, wenn ihm erst jetzt aufging, dass das ein Verhör war, schien er keine große Leuchte zu sein. „Bist du jetzt der gute Bulle, oder was? Warum sollte ich dir etwas erzählen?“

      Claude beugte sich vor, er spürte, wie er vor Erregung rot anlief. „Weil ich wissen will, wer das getan hat. Sein Auto stand in Juliens Straße. Wenn Julien kein Alibi hätte, würde man ihn verdächtigen. Ich ermittle, um jeglichen Verdacht von ihm abzuwenden. Ist das für dich nachvollziehbar?“

      Sein Gegenüber hob die Hände. „Ja, ja, schon gut. War ja nur eine Frage.“

      „Also, wie war er drauf?“

      „Etwas abgelenkt, unkonzentriert. Er verabschiedete sich gerade von einem Mann, keine Ahnung, wer das war. Ich wollte ihn an die Probe am Freitag erinnern, doch er winkte ab und sagte, dass er etwas vor hätte. Nicht, dass er es nötig gehabt hätte. Er konnte alles sofort beim ersten Mal. Er war nicht bei jeder Probe dabei.“

      Eine Weile schwiegen sie. Claude dachte über diese Antwort nach, während Marc offenbar noch am Fundort des Fahrzeugs zu knabbern hatte. „Ehrlich? Der Wagen parkte in seiner Straße?“, fragte er nach einer Minute.

      „Ja. Das gefällt mir alles nicht.“

      „Kann ich mir vorstellen.“

      „Wie sah er fremde Mann aus?“

      Marc hob die Hände. „Kein Ahnung. Dunkler Anzug, seriös.“

      „Haarfarbe? Größe?“

      „Ich war nicht nah genug dran. Die Straßenlampen brannten, alles war so künstlich hell. Ich weiß nicht, welche Haarfarbe er hatte. Er war groß und recht schlank. Kann doch ein Kunde von ihm gewesen sein.“

      „Mehr hat er also nicht gesagt?“

      „Nein, er ist dann abgehauen.“

      Claude stellte die leere Coladose auf dem Tisch ab und seufzte, bevor er die letzte Frage stellte.

      „Wo tretet ihr auf? In wechselnden Clubs?“

      Marc nickte. „Dazu haben wir unseren Stammclub, das „Les Trois Mousquetaires“. Dort treten wir zwei Mal im Monat auf. Das ist aber kein Schwulenclub, sondern ein normaler.“ Er sah auf seine Uhr. „Heute Abend ist Vorstellung. Ich muss sie absagen, merde. Wie soll es jetzt weitergehen?“

      Er sah Claude an. „Kennst du jemanden, der gut singen kann und in Frauenklamotten hammermäßig aussieht?“

      Claude lächelte, denn ihm kam der verführerische Gedanke, Frederic Lambert vorzuschlagen. „Leider nein“, sagte er stattdessen und stand auf. „Weißt du zufällig, wo Jerômes Bruder wohnt?“

      „Nein, aber er ist oft im Club, wenn wir auftreten.“

      Das passte gut zu seinen Plänen. Er würde den Drei Musketieren heute Abend einen Besuch abstatten. Vielleicht bekam er mehr heraus als die spärlichen Informationen, an die sich Marc erinnern konnte.

      Nachdem er sich von seinem Gastgeber verabschiedet hatte, griff dieser zu seinem Handy, noch bevor die Tür ins Schloss fiel. Wahrscheinlich, um seine Truppe und den Club über Jerômes Tod zu informieren. Claude