Laurent Bach

Mord am Fluss


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      Claude drückte Julien das Baguette in die Hand, schloss die Tür auf und ging vor ihm die Treppe hinauf. Es konnte doch nicht sein, dass Julien wirklich so cool und abgeklärt war, wie er gerade wirkte. Vielleicht war es ihm ja doch etwas peinlich, dass diese Affaire ans Licht gekommen war, und er setzte ein Pokerface auf, um vor weiteren Fragen sicher zu sein. Was immer auch der Grund war - Julien trug eine Panzerung, die ihn irritierte.

      Das Frühstück verlief nahezu schweigend. Virenques forderndes Miauen klang fremd und störend. Erst als Julien seine leere Kaffeetasse in die Spüle stellte und eine Weile aus dem Fenster starrte, von dem aus man nicht mehr als die nackte, graue Fassade des Nachbarhauses vor Augen hatte, wusste Claude, dass er jetzt wieder das Thema anschneiden konnte.

      „Was meinst du, Julien? War Jerôme für dich Freund genug, dass ich mich ein wenig nach dem Mordmotiv und dem Mörder umsehen sollte?“

      Julien drehte sich abrupt zu ihm um. „Du willst ermitteln? Warum?“

      „Weil er dein Freund war. Reicht das nicht? Dann eben, damit du nicht wieder in Verdacht gerätst. Das ist für mich Grund genug.“

      Doch Julien schüttelte den Kopf. „Lass gut sein, Claude. Ich habe nichts damit zu tun.“

      Leise setzte er nach: „Und du ja auch nicht.“

      Claude glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. „Was? Du denkst, ich hätte etwas mit seinem Tod zu tun? Ich kannte ihn ja gar nicht.“

      „Ja, eben, dann ist es doch gut.“ Juliens Miene wurde weich, doch er konnte Claude nicht täuschen.

      „Wovor hast du Angst, Julien?“ Claude stand von seinem Küchenstuhl auf und trat zu ihm an die Spüle, um ihm die Arme um die Hüften zu legen. Sofort schmiegte sich Julien an ihn, sodass Claude den Eindruck hatte, dass er um seinen Seelenfrieden rang. Virenque sprang auf die Arbeitsplatte und rieb sich das Köpfchen an Juliens Oberkörper, als wollte er ihn trösten.

      „Du kennst das doch. Bertin weiß, dass wir ein Paar sind. Dann taucht ein nerviger Kumpel auf und du tötest ihn, um mich vor seinem Stalking zu schützen. Oder weil du auf ihn eifersüchtig bist. Du hast …“ Juliens Stimme brach.

      „Kein Alibi“, setzte Claude den Satz fort. „Da hast du recht. Du befürchtest, dass Bertin Kenntnis von Jerômes Verfolgungen bekommt? Oder hast du Angst davor, dass ich es gewesen sein könnte?“ Claude wusste nicht, ob er verärgert oder geschmeichelt sein sollte. Misstraute Julien ihm? Wäre es egal, wenn Claude Jerôme erschlagen hätte?

      „Und wenn ich es gewesen wäre?“, drang er tiefer. Er strich Julien über Kopf und Schulter und hatte plötzlich Virenques weichen Schwanz in der Hand.

      „Würde ich dich noch mehr lieben“, flüsterte Julien in seinen Pulli hinein und atmete wieder tief ein und aus. Claude schluckte seine Rührung hinunter und küsste Juliens kurzes Haar. Julien löste sich von ihm und sah ihn an. „Hätte ich Bertin von dem Stalking erzählen sollen?“

      „Nein. Wir wissen nicht, warum er hier war. Du hattest doch seit vier Wochen keine Nachricht mehr. Du wohnst jetzt hier und nicht mehr in Nîmes. Jerôme hat aufgegeben, glaub mir.“

      „Aber warum war er dann hier? Er hat mir keine Nachricht geschickt, nicht angerufen, nicht angeklingelt.“

      „Das ist dann die Frage, die ich beantworten werde.“

      Julien schüttelte den Kopf. „Nein, das wirbelt nur Staub auf. Wenn du in Nîmes herumschnüffelst, wird sich Bertin fragen, was du da unter den Teppich kehren willst.“

      „Quatsch. Jean kennt mich, er weiß, dass ich nur den Mörder suche.“

      „Und wenn es der Täter auch auf mich oder dich abgesehen hat?“ Juliens Ausdruck wirkte besorgt. Da meldete sich Juliens Handy, Claude zuckte unwillkürlich vor der Vibration in der Hosentasche zurück wie vor dem Überbringer einer schlechten Botschaft. Julien las die Nummer ab. „Kenne ich nicht.“ Er nahm das Gespräch an, während Virenque die Arbeitsplatte verließ und ins Schlafzimmer trottete.

      „Torange. Ja, in Alès. Wie bitte? Aber … Nein .. Ja. Gut.“

      Claude hatte versucht, mehr von diesem Gespräch zu verstehen, doch er hörte nur eine tiefe Männerstimme. Der herrische, geschäftsmäßige Ton ließ darauf schließen, dass es sich nicht um einen seiner Kumpel handelte. Julien steckte das Handy weg und sah ihn mit großen Augen an.

      „Ein Bulle aus Nîmes. Ich soll um drei Uhr in der Anduzer Gendarmerie erscheinen. Zum Verhör.“

      Claude schloss die Augen und knetete seine Nasenwurzel.

      „Nicht der Mörder hat es auf dich abgesehen, sondern die Polizei. Es wird einen Grund geben, warum du nun wieder verhört wirst“, gab er leise zurück. „Und da fragst du mich, warum ich ermitteln will?“

      Julien biss sich erneut auf die Unterlippe, doch dann gab er sich einen Ruck und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Seine Miene wurde hart und die rassige Nase erhob sich hoch in die Luft. „Na gut. Ich werde das nicht auf mir sitzenlassen. Ich nehme diese scheiß Herausforderung an.“

      Beim Anblick der stolzen Gestalt lief ein erregendes Prickeln durch Claudes Körper. Julien hatte das Kinn trotzig erhoben und als sein entschlossener Blick ihn traf, stammelte er fasziniert: „Bis drei Uhr ist … ist noch massig Zeit.“

      Da lächelte Julien und schlang einen Arm um seinen Nacken. Er zog Claude an sich heran und küsste ihn tief und fest.

      ***

      Warum war er so irritiert? Nur, weil eine Frau hinter Bertins Schreibtisch saß? Armandine Bichon, so hatte sie sich vorgestellt, Kriminalinspektorin aus Nîmes. Julien dachte nach, wann er zuletzt diesen Vornamen gehört hatte. Wahrscheinlich war ihr Vater Professor für französische Geschichte. Vielleicht beunruhigte ihn auch der ungehaltene Blick. Sie trug eine dunkel gerahmte Brille, war etwa in seinem Alter, das Haar hatte sie durch einen strengen Knoten gebändigt.

      Die Abfrage zu den Personalien hatten sie bereits hinter sich und auch sein Alibi war abgeklopft worden. Die Inspektorin hatte die Augenbrauen hochgezogen, als sie betonte, dass die Befragung und damit die Bestätigung von Monsieur Dumont noch ausstünde.

      „Sie sind also ein guter Bekannter von Jerôme Malakov.“ Ihre Stimme klang immer noch genervt, als sei sie verärgert, in die Provinz befohlen worden zu sein.

      „Nur ein Bekannter“, gab er zurück.

      „Sie sind also schwul, oder?“ Sie blätterte mit spitzen Fingern eine Seite der vor ihr liegenden Akte um, als würde sie verseuchtes Papier vor sich haben.

      Juliens Empörung wuchs und platzte aus ihm heraus: „Und Sie sind nicht lesbisch.“

      Erstaunt hob sie ihren Kopf.

      „Wie bitte?“ Sie richtete sich auf.

      „Na, wenn Sie lesbisch wären, hätten Sie diesen Fakt aus den Akten zur Kenntnis genommen und fertig. Sie hätten nicht nachgefragt, sondern höchstens wissen wollen, ob ich offen schwul lebe oder nicht.“

      „Also, das ist doch unerhört.“

      Julien betrachtete befriedigt ihre geblähten Nasenflügel und beugte sich vor. „Nehmen Sie meine soeben geäußerte Erklärung bitte ins Protokoll auf, Ihr Band läuft ja mit. Ich möchte nicht, dass das hier ein Spießrutenlauf für schwule Verdächtige wird, nur weil der Tote schwul war. Sie verstehen sicher, dass ich mich absichern möchte.“

      Sie warf sich an die Stuhllehne und verschlang ihn mit den Augen. „Mein Stichwort. Ich möchte mich absichern, dass ich keinen Aspekt dieses Falles vernachlässige, auch nicht Ihre Homosexualität. Sie verstehen das sicher.“

      Diese Frau hatte Haare auf den Zähnen und einen kaum hörbaren Dialekt. Was machte eine Beamtin aus der Auvergne hier im Languedoc? Normalerweise richtete sich der Ehrgeiz nach Norden, nach Paris. Julien wandte den Blick dem Portrait des Präsidenten Hollande zu, das gerahmt an der Wand hing.