Laurent Bach

Mord am Fluss


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war. Julien schmunzelte. Die Arbeit machte ihm Spaß und Monsieur Dumont schien mit seinen Fortschritten bei der Einarbeitung zufrieden zu sein. Bald würde er diese Filiale leiten. Man hatte ihm sogar signalisiert, dass eine Verlegung der Börsenabteilung von Nîmes nach Alès durchaus in Betracht gezogen wurde. Dann hätte er direkten Zugriff auf sein Spezialgebiet. Julien sah sich um, als er Schritte hörte. Die Tür öffnete sich.

      „Ach, und ich hatte mich schon gewundert, warum die Türen hier oben auf sind.“

      „Bonjour, Monsieur Dumont.“

      Sein Chef, hager und distinguiert, lächelte ihm durch die Brille zu. „Ich bin gleich wieder weg, wollte nur noch ein Geschenk holen, das ich hier deponiert habe.“

      „Schönen Tag noch“, rief Julien hinter ihm her. Sein Chef hob winkend die Hand, ging in sein Büro und verließ den Trakt nach einer Weile. Durch das Fenster sah Julien, dass er einen Geschenkkarton unter den Arm geklemmt hatte.

      Claudes Jacke hing an einer kleinen Garderobe an der Wand, gleich neben der Minibar. Er erinnerte sich erneut daran, dass Claude ihn am späten Freitagnachmittag kurz besucht hatte. Da Julien nach der Arbeit noch Blumenerde in einem Baumarkt hatte kaufen wollte, hatte er Claude spontan gefragt, ob er die robuste Jeansjacke haben dürfte, damit er nicht sein gutes Jackett ruinierte. Doch dann war er doch am Schreibtisch sitzengeblieben, um die Unterlagen endlich komplett durchzusehen.

      Als Julien die Jacke vom Haken nahm, fiel ihm auf dem Stoff ein dunkler Fleck auf, den er am Freitagabend noch nicht entdeckt hatte, weil er die Jacke nicht gebraucht hatte. Ein rostbrauner Streifen prangte an der Seite und zog sich am Saum bis zum Rücken. So rötlichbraun, was konnte das sein? War das etwa – Blut? Wie kam so viel Blut auf diese Jacke? Wenn man sie trug, fiel einem der Fleck so schnell gar nicht auf, der Ärmel verdeckte ihn. Was hatte Claude getan? Auf dem Hof in Ribaute ein Huhn geschlachtet?, fragte er sich lächelnd. Oder - Julien schluckte und setzte sich perplex auf die Schreibtischplatte. Claude hatte kein Alibi für die Tatzeit. Wenn Jerôme nun nicht am frühen Abend, sondern am späten Nachmittag getötet worden wäre? Um 17 Uhr vielleicht –Claude hatte um 17.45 Uhr vor seiner Bürotür gestanden. Julien biss sich auf die Lippe. War das möglich? Hatte Jerôme etwa Kontakt zu Claude aufgenommen und dieser hatte ihn ausgeschaltet? Julien zuliebe? Oder aus Eifersucht? Er erinnerte sich an ihr Gespräch in der Küche. „Und wenn ich es gewesen wäre?“ hatte Claude gefragt. Julien schüttelte den Kopf. Das war alles verrückt. Undenkbar. Er stand auf und betrachtete die Jacke, steckte dann unwillkürlich die Hand in die rechte Jackentasche. Etwas Rundes rollte in seine Finger. Als er den Gegenstand herauszog, hielt er eine silberne Münze in den Fingern, die die Zahl Fünf trug sowie einen Zweig von einer Pflanze, die er nicht kannte. Die Münze war abgegriffen und in der Mitte durchbohrt, als hätte man sie an einer Kette getragen. Als er genauer hinsah, erkannte er kyrillische Zeichen. Augenblicklich ergriff ihn eine eisige Kälte. Eine russische 5-Rubel Münze. Obwohl er vom Fach war, hatte er noch nie eine solche Münze gesehen. Wie kam dieses Geldstück in Claudes Jacke? Hatte sie Jerôme gehört?

      Warum hatte Claude unbedingt mit ins Büro gehen wollen? War ihm eingefallen, dass die Jacke dreckig war, und wollte er den Fleck vor ihm verbergen? Sollte er Claude auf den Fleck oder die Münze ansprechen? Doch was, wenn er sich damit selbst in Verdacht brachte? Unsinn, Monsieur Dumont war doch auch kurz hier gewesen und würde sein Alibi bestätigen. Doch ein unbehagliches Kribbeln in seinem Körper veranlasste ihn, die Jacke nur zusammenzuwickeln, sodass das bräunliche Rot nicht zu sehen war. Die Münze steckte er in seine Hosentasche, damit sie nicht verloren ging. Dann verließ er das Büro, schloss den Raum und das Gebäude ab und steuerte mit Schritten, die nur scheinbar sicher wirkten, auf seinen Wagen zu. Claude saß schon am Steuer.

      „Hier.“ Julien öffnete die Fahrertür und hielt ihm die Jacke vor die Nase.

      „Danke.“ Claude nahm sie entgegen und warf sie auf die Rückbank, verdächtig schnell, so schien es ihm. Nein, das war Blödsinn, ermahnte er sich. Oder? War Claudes Lächeln nicht ein wenig schief? Er löste den Schlüssel vom Bund und überreichte ihn seinem Freund.

      „Fahr vorsichtig. Und viel Glück.“

      „Danke, mein Lieber. Soll ich dich wirklich nicht nach Hause bringen?“

      „Nein, ich laufe. Bis morgen dann.“ Nur das nicht, nur nicht in einem Wagen sitzen mit einer Jacke, auf der das Blut eines Toten sein konnte. Neben einem mutmaßlichen Mörder Platz nehmen, den man mehr liebte als sich selbst. Verdammt, das konnte einfach nicht wahr sein. Und nun machte Claude sich auf, in Nîmes alle möglichen Spuren, die auf ihn hindeuteten, zu tilgen. Das einzige Argument, das für Claude sprach, war seine Klugheit. Er würde kaum jemanden ermorden und hinterher mit Blut und einem Besitz des Toten weiter herum spazieren. Trotzdem fühlte er sich entzwei gerissen. Eine Tat im Affekt, die plante man nicht bis ins Letzte durch. Auch Claude machte Fehler, das wusste er aus der Vergangenheit. Er sah seinem Wagen nach, bis ihm die Rücklichter als Warnsignale erschienen, die langsam verblassten und ihn mit seiner Verwirrung allein ließen. Merde, was sollte er tun?

      ***

      Claude fuhr nicht gern nach Nîmes, auch nicht in Juliens Auto. Er fuhr überhaupt nicht gern fort, solange es sich nicht um einen Urlaub handelte. Sobald er bei Lezan die Ausläufer der Cevennen hinter sich gelassen hatte, fühlte er sich der weiten Leere ausgeliefert. Die Felder waren braun und ausgedörrt, die Weinstöcke lagen still unter der Sonne und die wilden Nadelholzflächen, die hin und wieder am Straßenrand vorbeizogen, würden mit einem zischenden Brausen in Flammen aufgehen, wenn man ein Streichholz hineinwerfen würde. Er überquerte zahlreiche ausgetrocknete Bachläufe.

      Was würde ihn in der Stadt erwarten? Er kannte Nîmes aus seiner Zeit als Polizeianwärter, während der er sich gegen das Mobbing eines gewissen Frederic Lambert und seiner Kumpel hatte wehren müssen.

      Je näher Claude der Stadt kam, umso flacher, karger und trockener wurde die Umgebung. Bald passierte er die ausufernden Gewerbegebiete mit ihren Autohäusern, Supermärkten und Motels. Einen Kreisverkehr nach dem anderen nahm er und bald erhoben sich die seelenlosen Plattenbauten des Viertels, das er früher „Malerviertel“ genannt hatte. Rue Utrillo, Rue Matisse. Hier wohnten meist die aus Nordafrika stammenden Einwohner der Stadt. Claude hoffte, keinem von seinen alten Mitschülern auf Streife zu begegnen. Es war gut gewesen, dass er selbst kein Polizist geworden war. Sein Leben war gut so, wie es war. Endlich erreichte er die Innenstadt und musste den starken Motor mehr als ein Mal zügeln, bis er in der Rue Mozart angekommen war. Wieder eine Straße mit Künstlername.

      Marc Leblanc, Chef der Travestiegruppe, wohnte in einem einstöckigen Reihenhaus mit kleinem Vorgarten, in dem der Oleander noch blühte. Wieder einmal bewunderte Claude die mediterranen Gewächse, auf die er hier stieß: Palmen, Yucca-Bäume, Kakteen, Olivenbäume. Als er aus dem Wagen stieg, merkte er, dass es in Nîmes mindestens 10 Grad wärmer war als in Anduze. Er trat durch das leicht rostige Tor und klingelte an der schlichten Holztür.

      Ein groß gewachsener Mann mit braunen Haaren und grünen Augen öffnete ihm.

      „Hallo“, sagte er gedehnt und musterte ihn lasziv von Kopf bis Fuß. Claude verkniff sich ein Kopfschütteln. Warum mussten manche schwulen Männer nur immer so tun, als wären sie ständig auf der Suche nach Frischfleisch?

      „Bonjour“, sagte er trocken. „Ich bin Claude und komme von Julien Torange. Bist du Marc?“

      „Von morgens bis abends“, gab der Mann lächelnd zurück.

      „Und nachts?“, platzte es aus Claude heraus, während er der einladenden Geste folgte und eintrat. Verdammt, jetzt hörte es sich so an, als wäre er selbst auf der Suche nach einem Abenteuer.

      „Drei Mal darfst du raten.“ Marcs Grinsen war noch breiter geworden als vorhin.

      „Ich rate nicht gern“, erwiderte Claude und sah sich im sonnendurchfluteten Salon um. An der Wand hing eine Klimaanlage, die in diesem Augenblick mit einem leisen Geräusch ansprang. In der Ecke stand ein Klavier, Notenblätter lagen auf dem schwarz glänzenden Holz. Dunkle Bauernkommoden setzten hier und da Akzente, an der Wand hing das große Poster einer Showtruppe. Ob sie das waren? Die „Carte Rouge“?

      Marc