Laurent Bach

Mord am Fluss


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erster gemeinsamer Fall hätte Julien beinahe ins Gefängnis gebracht. Doch Claude fiel eine Alternative zu diesem Mordfall ein.

      „Damals bei Pascal wurde auch Selbstmord vermutet. Kann es nicht sein, dass Jerôme in deiner Nähe aus dem Leben scheiden wollte, Bühnenerfolg hin oder her? Er wollte vielleicht, dass du dir Vorwürfe machst.“

      „Das kann sein. Er war recht sprunghaft, mal sanft, dann wieder durchgeknallt.“

      „Eine Diva auch noch“, murmelte Claude. „Wir müssen einfach abwarten, was die Autopsie ergibt. Es ist Unsinn, sich jetzt schon Gedanken zu machen, wer Jerôme ermordet haben könnte. Es kann alles harmlos sein.“

      „Der Tod ist nie harmlos.“

      Claude verdrehte die Augen und gab Julien einen Kuss auf die Schulter. Sein Geliebter drehte sich um, worauf Virenques Schnurren verstummte und der Kater sich einen anderen Schlafplatz suchte. Claude rückte nah an Julien heran und legte den Arm auf seine Hüfte. Trotz der Wärme und Geborgenheit an Juliens nacktem Rücken dauerte es eine Weile, bis Claude müde wurde und sich die Gedanken, die um diesen denkwürdigen Tag kreisten, endlich verflüchtigten.

      Kapitel 2 - Sonntag

      „Er ist erschlagen worden, nicht ertrunken“, sagte Sergeant Joberton und reichte Bertin den vorläufigen Obduktionsbericht, der gerade das Faxgerät verlassen hatte.

      Bertin nickte und fuhr mit dem Finger über die wichtigsten Zeilen. Allmählich kannte er die Aufteilung des Formulars, ihre Spalten und Diagramme, was ihm jedoch nicht sonderlich gefiel. Tote und erst recht Mordopfer mochte er nicht. Während er immer noch Einfluss nehmen konnte auf seine anderen Vorgänge und Aufgaben, sei es ein Autounfall, ein Einbruch oder eine Schlägerei, fühlte er sich durch den Tod in seine Schranken gewiesen. Nichts war endgültiger als eine Leiche.

      „Ca. 35 Jahre alt, guter Muskeltonus, keine Narben – alles unwichtig. Gewebe aufgeweicht – ja klar. Keine Wasseraspiration, hintere Schädeldecke rechts, kantiger Gegenstand, ungefährer Todeszeitpunkt am 4. Oktober zwischen 17 und 19.30 Uhr.“

      Er strich sich über den Schnauzbart, rollte unwillkürlich die Blätter zusammen und schlug die Rolle leicht in seine Hand. „Also am Freitagabend, nicht am Samstag, als die Hochzeit stattfand.“

      Joberton stand noch in der Tür zum Empfangsraum, in dem er residierte, und verzog seine Augenbrauen zu einem imaginären Fragezeichen.

      „Das Alibi“, erklärte Bertin. „Julien Torange kennt diesen Mann, diesen hier Wildfremden aus Nîmes. Was sollte Malakov schon hier suchen außer seinen alten Kumpel?“

      „Diesen Gedanken hatte ich auch schon. Ich habe mir deshalb heute früh erlaubt, die Kollegen in Alès zu bitten, mal nach dem Fahrzeug des Toten zu suchen.“

      „Im Umkreis von Juliens Wohnung?“

      „Ja.“ Joberton nickte und drückte seine Brust heraus. Der schlanke Sergeant sah auf die Uhr an der Wand. „Die beiden Zeugen werden ja wohl gleich erscheinen.“ Bertin folgte seinem Blick. „Ja, du hast noch Zeit, mir ein Croissant zu kaufen und einen Kaffee zu bringen.“

      Joberton presste die Lippen zusammen und verschwand. Kurz darauf hörte Bertin die schwere Tür ins Schloss fallen und sah durch das offene Fenster, wie sein Mitarbeiter den Plan de Brie überquerte.

      Sieh mal einer an, der Junge wird langsam selbständig, dachte er. Die Aktion mit der Autosuche war durchaus konsequent. Bertin betrachtete den blauen Himmel. Die Luft war warm und feucht an diesem Morgen, ohne dass es geregnet hatte. Die ersten herbstlichen Regenwolken schienen schon ein wenig von ihrer Nässe in die Luft abgegeben zu haben, doch noch strahlte die Sonne vom Himmel und röstete die ohnehin knochentrockene Erde. Kaum zu glauben, dass der Gardon noch so viel Wasser führte, dass er eine schwere Männerleiche mit sich tragen konnte. Wenn man nur wüsste, wo der Mann ins Wasser gelangt war. War er hineingeworfen worden? Wenn die Wunde nicht einen kantigen Gegenstand ins Spiel gebracht hätte, hätte Bertin vermutet, dass der Mann ins Wasser gefallen war und sich an einem Stein gestoßen hatte. Leider war es wohl ein Mord und kein Unfall.

      Verdammt, diese Leiche hatte ihm gerade noch gefehlt. Bertin sah zu, wie Joberton in der Boulangerie verschwand. Die letzten Touristen saßen in Hemdsärmeln in den Brasserien und ließen es sich gut gehen. Der Wind brachte das Blätterdach der Platanen auf dem Platz zum Rauschen und fing sich in der langen Schürze eines Kellners, der einem Gast einen Kaffee brachte. Bertin sah zu, wie Pastor Flabert zur Messe in die benachbarte protestantische Kirche ging, dann verfolgte er den Weg zweier Hausfrauen, die in den dunklen Gassen der Altstadt verschwanden. Sicher wollten sie zur Boulangerie, denn die Markthalle blieb heute leer und der Fleischer hatte natürlich auch geschlossen. Fisch – fiel ihm da ein, verflucht! Er musste jetzt den Fall von Fischwilderei hintenan stellen, was unweigerlich die Pächter der Angelreviere gegen ihn aufbringen würde, ebenso wie den Fischzüchter in Mialet, aus dessen Zuchtteiche jemand eine große Anzahl von Forellen abgefischt hatte. Mord war nun mal wichtiger als Wilderei.

      Wieder nahm er den Bericht an sich. Der Pathologe in Nîmes hatte sich wirklich beeilt, das musste man anerkennen. Ihm reichten die angegebenen Punkte aus, um mit den Ermittlungen zu beginnen. Wahrscheinlich würde man ihm einen Kriminalbeamten aus Nîmes an die Seite stellen. Leider war Frederic Lambert, mit dem er halbwegs auskam, seit einigen Tagen in Urlaub und seit heute in den Flitterwochen. Hoffentlich wurde es nicht zu schlimm mit dem Vertreter. Fremde, die ihre Nase in Anduzer Angelegenheiten steckten, waren ihm nicht geheuer. Er hoffte, dass dieser Fall sich als Nîmeser Angelegenheit entpuppte, die sein Städtchen gar nicht weiter betraf. Sollte der Beamte sich doch die Zähne ausbeißen, ihm war es egal. Schließlich war es nur eine ganz flüchtige, unwichtige Theorie, Julien Torange mit dem Tod des Mannes in Verbindung zu bringen. Torange war doch kein Mörder, er war schließlich bald Bankfilialleiter, so hatte es Marie erzählt. Er lächelte bei dem Gedanken an die Frau, die in seinem Herzen einen wichtigen Platz einnahm. Claudes Mutter, ja, eine tolle Frau. Eine beruhigende Stimmung erfasste ihn, als würde Maries Lächeln all seine Sorgen fortwischen. Der nicht weit entfernte Brunnen auf dem Platz plätscherte, die Fahrzeuge quälten sich durch die Straßen, alles war wie immer, nett und überschaubar. Plötzlich ging die Tür, jemand klopfte an die Schranke vor Jobertons Schreibtisch und es dauerte nicht lange, bis Claude seinen Kopf zur Tür herein steckte.

      „Kommt rein.“ Bertin seufzte und rollte näher an die Tischplatte. Er betrachtete die beiden Männer, die vor einigen Wochen überein gekommen waren, das Leben miteinander verbringen zu wollen. Es war ungewohnt, immer noch, obwohl Claude sich vor mehr als einem Jahr geoutet hatte, mehr oder weniger unfreiwillig. Er sah die Blicke, die sie sich zu warfen. Selbstsichere Blicke, schon geübt in Harmonie und der Gewissheit, aufgefangen zu werden, sollte etwas passieren. Fast schon Blicke, die denen eines alten Ehepaares gleichkamen. Als die beiden Männer vor ihm saßen und ihn erwartungsvoll ansahen, räusperte er sich.

      „Es wurde festgestellt, dass der Tote Jerôme Malakov ist, wie uns bereits bekannt.“

      Julien nickte.

      Bertin fuhr fort: „Es wurde ebenso festgestellt, dass Malakov nicht ertrunken ist, sondern ermordet wurde.“

      „Wie denn?“ Claudes Neugier war gewohnt und unvermeidlich, doch Bertin neigte ihm den Kopf zu. „Das sage ich dir nicht.“

      Claude winkte ab und stieß die Luft verächtlich aus der Brust.

      „Julien, du kanntest den Toten. Was hat er hier gewollt? Hat er dich besucht? Angerufen oder sonst wie Kontakt aufgenommen?“

      „Ich habe vor vier Wochen das letzte Mal von ihm gehört. Eine SMS.“

      Bertin entging nicht das leise Zucken seines Nasenflügels.

      „Was genau?“

      „Er wollte ein Treffen mit mir. Ich habe abgelehnt. Ich bin nicht dafür zuständig, ihm die Langeweile auszutreiben.“

      „So, so.“ Langeweile, das konnte ja wohl nicht wahr sein.

      „Ich gehe also davon aus,