Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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Sendungen an einem Tag aufgezeichnet. Manche sind gut, andere sind so lahm und so entsetzlich nervig, dass sie nicht zur Ausstrahlung kommen. Es liegt hierbei an den Gästen. Einige, und das sind relativ „viele“, sind unfähig auch nur einen Rührstab im Mindesten zu bedienen, also einzuschalten, geschweige denn überhaupt zu kochen. Saufen können sie alle, aber kochen eben nicht. Gekocht wird, wenn gekocht wird, allerdings sowieso immer nur das gleiche. Pastagerichte, kurzgebratenes Fleisch, Salate und irgendwelche selbst-entwickelten Kreationen, die im Grunde genommen niemanden wirklich schmecken. Selbst das Team zieht es häufig vor, von dem gekochten Kram der Gäste, in weiser Voraussicht, die Finger zu lassen. Denn auch beim Essen zählt eine gewisse Optik, jeder Imbiss-Junkie wird das bestätigen. Doch diese „Mindestoptik“ - wird leider häufig bis ins Erbärmlichste vernachlässigt. Und obwohl der Fernsehkoch ständig am Rumwischen ist, fehlt ein ganz bestimmter Kick im Eigentlichen, gerade bei klassischen, deutschen Wildgerichten. Gesoffen, richtig hineingeschüttet, wird übrigens mehr, als so mancher trinkfeste Kneipeneddel verträgt. Der Gast, egal wie blöd er sich beim Brutzeln auch anstellt, wird allerdings wie ein König behandelt. Das ist einer der Gründe, warum, immer, so vieles Essbare, schon vorbereitet ist. Ich vermute außerdem, es liegt auch an der Menge Alkohol, die der Gastgeber selbst zu sich genommen hat, während- und vor der Sendung. Der Sender will wahrscheinlich vermeiden, dass die Kochsendung zu einem Saufgelage umfunktioniert wird, oder verkommt. Der viel gelobte Wein ist ohne jeden Überschwang, von außerordentlicher, exzellenter Qualität, alle Achtung. Ein dreifaches Hoch auf den deutschen Wein. Ja, ja - das war wirklich überraschend für mich. Da ich teure Rot und Weißweine ungemein zu schätzen weiß, im Gegensatz zu dem, was ich zurzeit so trinke. Und dieselben, die Teuren, waren in ungeahnten Mengen, gut gekühlt, bei unserem moderierenden Küchenmeister vorhanden. Alles, sehr schöne Einzelweine, kein Discount-Fusel. Man könnte das auch als so eine Art von Visitenkarte der Privatwinzer betrachten, die im kleineren Rahmen, speziell für den Fernsehkoch der Nation - Weine abfüllen. Der Fernsehkoch weiß in der Tat, was gut für ihn und gut für andere ist. Aber, er bekommt, auch wenn man es nicht glauben mag, kein Geld für die Werbung der erlesenen Weine - erstaunlicherweise. Ich hatte anderes erwartet und auch diesbezüglich vorab gehört. Er ist, wie so viele seiner Fernsehkollegen, stockschwul, vom lichten Haupthaar seines bebrillten Kopfes, bis hin zur Sohle seiner italienischen Schuhe, ja das ist richtig. Aber er (besonders er) geht damit un-aufdringlicher um als andere, ich meine mit seinem Schwulsein, nicht mit den Schuhen. Er ist wirklich in erster Linie Koch und Moderator, er gehört nicht zu den Berufshomosexuellen, die man, beizeiten, eigentlich nur noch als unerträglich empfindet, weil sie nur geil sind. Soviel dazu, mehr fällt mir im Moment nicht ein. Außerdem habe ich immer noch Hunger.“ „Du nervst mich mit deinem Hunger,“ sagte Teufel, „wenn Stephan in zehn Minuten nicht erschienen ist, werden wir etwas zu essen bestellen, damit du nicht vom Sessel rutscht. O.K.?“ „O.K.!“ - Teufel tippte und tippte, und Stephan ließ uns auch weiterhin warten. Während Teufel mit verkrampftem Gesicht die Buchstaben zu sinnvollen Sätzen zusammenfügte, sah ich mich in der Wohnung ein wenig um. Jede Wand war mit mindestens einem Bild verschönert. Die Bilder stellten in erster Linie homoerotische Szenen dar. Und als ich mir die Gesichter der Darsteller etwas genauer betrachtete, fiel mir auf, dass so manches Gesicht eine verblüffende Ähnlichkeit mit lebenden, und mir durchaus bekannten Promis hatte. Egal welcher Maler hier auch Hand angelegt hatte, er musste über eine große Genauigkeit zum Detail verfügt haben. Denn, relativ viele besonders ausdrucksstarke Liebesszenen, und auch Strandszenen, sowie einige Saunaszenen und mehrere sehr aufschlussreiche Bettszenen, waren von fast unglaublicher Intensivität geprägt - als wäre „er“, der Pinsel schwingende Maler selbst mit dabei gewesen. Es sah sehr nach Auftragsmalerei aus. Freie Phantasieprodukte waren diese Bilder nicht. Der Maler, X - mit Namen, war laut Teufel: Ein ganz bekannter Schauspieler, der in den letzten zehn Jahren, mit einer von den sogenannten „Müttern der Nation“, außerordentliche Fernseherfolge gefeiert hatte. Allerdings lebte auch er, unter dem rosa Mantel der wärmenden Strahlen. „Was?“ „Das Scheinwerferlicht sei damit gemeint,“ bemerkte Teufel, als ich ihn entgeistert ansah. Es war interessant zu hören, dass Teufel selbst, von sich aus Auskunft gab, wer „wie“ in der Showbranche sein zweites Leben verschleierte- und nicht nur in sexueller Hinsicht. Teufel erzählte mir zum Beispiel so ganz beiläufig, dass einer der Showdinosaurier zu kurze Arme hätte, ein Geburtsfehler. Er war nicht nur diesbezüglich gehandicapt, sein Erfolg, also sein permanenter Misserfolg - besser gesagt, war es der ihm zu schaffen machte. Was das nun mit zu kurzen Armen zu tun hatte, wagte ich nicht zu fragen. Erst als Teufel sagte: „Der kann nicht mehr die Sterne greifen, der Mann ist ne` Null. Er geht dem Publikum eigentlich nur noch auf den Geist. Leider hat er es selbst noch nicht gemerkt, dass er mit seinen Shows nur noch Mitleid erregt und Gähnkrämpfe auslöst. Ebenso steht es um seinen einst dauergrinsenden Nachfolger. Die haben sich selbst auf das Abstellgleis der Greisenhaftigkeit geschoben. Keiner würde die beiden wirklich vermissen, wenn sie freiwillig ihren Hut nehmen. Die täglichen Fernsehzuschauer konsumieren im Moment nur noch, denen fehlt jegliche Beurteilung der Situation. Der Zuschauer müsste als erstes, durch Abstimmung entscheiden, wer den Samstagabend dirigieren sollte. Doch Selbstgefälligkeit und Desinteresse bilden neuerdings die Kulisse für die allzu langen und nervenden Samstagabendshows.“ „Ja, aber so ist das doch nun einmal,“ sagte ich, „wer will schon wissen, was dem Publikum gefällt?“ Teufel schwieg. Er tippte einfach weiter und schnalzte, speichelspritzend, schon wieder, mit der Zunge. Aber Gott sei Dank nur kurz, denn jemand schloss die Haustür auf - es war Stephan. „Ciao,“ sagte er, und marschierte Richtung Wohnzimmer, wo „wir“ uns befanden. „So, alles wieder da,“ sagte er. Dann stellte er eine große, gelbe Tasche auf den Tisch. Drei Baguettestangen, Kaviar, Lachs, Käse, Salami, Gänseleberpastete, Lambrusco und zwei große Champagnerflaschen kamen zum Vorschein. Stephan überließ es mir die erwähnten Flaschen zu öffnen. „Endlich,“ dachte ich, endlich, nun endlich gibt es etwas Schönes zu essen und zu trinken, obwohl meine Geschmacksnerven eigentlich auf eine heiße Pizza eingestellt waren, aber ich wollte nicht undankbar sein. „Man isst, was auf den Tisch kommt,“ heißt es doch immer. Ich wurde sichtlich ruhiger und freute mich, der Wodka war nicht mehr notwendig, ich mag sowieso keinen Wodka in zu großer Menge. Ein zufriedenes Lächeln überflog in Sekundenschnelle meine angespannten Gesichtsmuskeln. Wasser sammelte sich in meinem Mund an, welcher noch ganz im Sinne der Paprikachips, voll von allerlei Gewürzen war, die nun von dem eben „Aufgezählten“ neutralisiert und überdeckt wurden. Und während „ich“ schon mal kräftig zugriff, legte Stephan mir, sich selbst, sowie Teufel einen Teller, und jeweils ein silbernes, verziertes Messer hin. Dann ging es für „alle“ los. Ich belegte ein gebuttertes Stück Baguette mit ausreichend Lachs, dann noch eins mit Käse und anschließend goss ich mir, von dem guten und leicht gekühlten Lambrusco etwas ins Glas ein, also fast ganz voll - „Wenn schon denn schon“. Schweigend genossen wir drei das wohlschmeckende, französische Mahl. Ein absoluter Genuss, sehr empfehlenswert. Zehn Minuten lang herrschte absolute Funkstille. „Zufrieden?“ Fragte mich Teufel nach einer Weile. „Ohhhh jaaa...,“ sagte ich. Und nach ein paar Augenblicken war ich vollends gesättigt. Teufel ließ, ganz nach meinem Geschmack, nicht gleich abräumen, sondern er spendierte noch eine Eistüte. Irgendetwas Überdimensionales, mit Schokolade und Nusssplittern, wurde mir gereicht, eine „Rieseneistüte“, auch sehr lecker. Ach ja... Das Frage und Antwortspiel ging, nach all diesen Köstlichkeiten und Getränken, entspannt und locker weiter. Während Stephan, nun doch, die Wodkagläser und Papierabfälle abräumte, und sich dann wieder in ein Zimmer im ersten Stock verkroch, stellte mir Teufel die nächste Frage. „Was war eigentlich so in Sachen Arbeitslosigkeit bei dir (wir duzten uns endlich wieder, - wie schön!) und bei anderen Promis?“ Fragte mich Teufel recht ernst, und auch ungewohnt nachdenklich. „Oh, da gab es die eine oder andere Überraschung,“ sagte ich, „denn ich habe ja selbst einmal auf dem Arbeitsamt Hamburg gearbeitet...“ „So, so?“ Sagte Teufel, sehr betont und sehr erwartungsvoll daher. Sein Interesse bekam eine Steigerung. Ich wiederum reagierte eher gleichgültig, aus Verantwortungsgefühl. Denn so manche Akte, hinter der sich ein Promi verbarg, war mir natürlich noch in guter Erinnerung. Aber die Namen der armen Würmer, zu denen auch ich mehrmals schon gehörte, leider Gottes, behielt ich, selbstverständlich für mich. Tabus müssen nicht in jedem Fall gebrochen werden, das ist meine Meinung, auch wenn Bert Teufel sich das vielleicht so vorgestellt hatte. Ich musste trotz allem vorsichtig sein, denn mir war immer noch nicht klar, was Teufel im Grunde genommen bezweckte.