Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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zu tippen. Und ich bemerkte die „Droge“ selbst, „das“ war sein Thema, sie stand noch vor seiner Lieblingsbeschäftigung „SEX“, ich meine einmal abgesehen von Geld und Erfolg. Sex, so wie er ihn verstand ist damit gemeint, sowie all die anderen in der Branche, die so waren wie er. Alle verband etwas, - es war Veranlagung, es war Triebhaftigkeit und immer neues unverbrauchtes Fleisch, um den Trieb, um den sich, allem Anschein nach, alles drehte, ausreichend zu befriedigen. Teufel war der Regisseur in einem Drama, welches seinen eigenen Untergang mit beschrieb. Er (Teufel), ließ sich durch mich, durch meine Beobachtungen, meine Erfahrungen, seine eigene Geschichte erzählen. Die er dann hastig aufschrieb, mit den Worten eines anderen - also mich, Veränderungen waren inbegriffen. Aber da ich von ihm, für meine Aussagen, für meine Erkenntnisse, bezahlt werden sollte, ich selbst war ja ziemlich pleite zu dem Zeitpunkt, aufgrund dessen erzählte ich ihm, was er hören wollte. Nur ich hielt mich gänzlich an die Wahrheit. Die Wahrheit im Nachhinein verschönern, verdrehen, das konnte nur er, denn ich habe niemals (vorläufig) in seinen Laptop hineingesehen, auf den Bildschirm meine ich, den er dauernd, mit einer begierigen Freude voll schrieb. „So ähnlich,“ dachte ich, „könnte es bei der Bildzeitung ablaufen, wenn ich „nur“ (also ausschließlich) lügen würde.“ Und meine Vermutung lag gar nicht so weit entfernt, denn zwischendurch gestand mir Teufel, dass er für die Bildzeitung, in erster Linie, erfundene Artikel über/gegen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger geschrieben hatte. „Hört, hört.“ Teufel seine gesprochenen Worte wurden deutlicher: „Die Bildzeitung ist wie verrückt, wie verwandelt, wenn es sich um einseitige Hetze gegen sozial Schwache handelt. Sie ist nicht der Anwalt des kleinen Mannes, sondern sein Henker. „Die sexuell Abartigen“ (egal wer damit auch gemeint war!) finden bei der Bildzeitung ein warmes Nest vor, das sie dann nicht mehr missen möchten. So etwas ist auch eine Art von Suchtverhalten, das allerdings einen geringeren Preis hat.“ So sagte es mir Bert Teufel und er hob dabei die Hand wie zum Schwur, „was für eine ergreifende Szene“ schoss es mir durch den Kopf. Es wirkte im ersten Moment dümmlich auf mich, aber der Sinn, im Eigentlichen, war mir nicht entgangen. Warum er aber der Bildzeitung den Rücken gekehrt hatte? Diese Frage ließ er, zur Abwechslung, vorerst einmal unbeantwortet. Er verzögerte eine ehrliche Antwort, er hatte wohl seine Gründe. Also wartete ich ab. Und nach einem unendlich langen Moment, gab er plötzlich, für mich unerwartet, dann doch bereitwillig Auskunft: „Im Oktober 1992 machte der ostdeutsche Bildzeitungsmitarbeiter „Bernd Prawitz“ eine derartig beschissene Fotoreportage über Obdachlose in Hamburg, dass ich mich nur noch mit Grauen zurückerinnere. Auch die Redaktion- und die „Reaktion“ der Bildzeitung war bitterlich enttäuschend gewesen. Man hatte von Bernd Prawitz wohl zu viel erwartet. Bernd Prawitz war eben nur ein drittklassiger Provinzschreiberling, außerdem politisch, linksseitig vorbelastet. Der dringende Verdacht der Stasimitarbeit in der DDR, konnte bei ihm nie so ganz ausgeräumt werden. Er selbst wehrte sich zwar immer gegen solche Vorwürfe, aber seine stammelnden Erklärungsversuche waren eher dürftig, um nicht zu sagen stümperhaft. Prawitz war ein cholerischer Volltrottel, ein Spinner und ein Wichtigtuer. Er hatte sich für seine Reportage als Penner, mit Bierdose, alten Klamotten und einem -Zwanzig-Tage-Bart- auf St. Georg herumgetrieben, um das Leben der Hoffnungslosen hautnah mitzuerleben, leider interessierte das niemanden, weder den Armen und Kranken, mit denen er sich zu solidarisieren versucht hatte, noch die armen Leser jener Zeitung, die sich allen Ernstes für überparteilich hält. Prawitz bekam daraufhin von irgendeinem Vorgesetzten einen gezielten Tritt in seinen ostdeutschen, aufbrausenden Arsch. Aber er verlor seinen gutbezahlten Job nicht, sondern er wurde aus Ost-Mitleid (Gnade vor Recht) mit durchgezogen. Was er heute macht? Prawitz und seine Familie leben in einer zweitklassigen Eigentumswohnung in Ottensen - Holstenring 18. Einsam, und von den Nachbarn argwöhnisch beobachtet. Denn das Auftreten der Familie Prawitz entspricht dem eines wildgewordenen Kampfhundes der nicht zu bändigen ist. Tja, so ist das nun einmal. Sozialromantik, gerade, wenn es sich dabei um Leute wie Familie Prawitz handelt, ist eben nicht immer angebracht, überflüssig ist es ohnehin, und die Bildzeitung tut ihr Übriges. Sie verkauft trotzdem weiterhin das, was die Leute lesen wollen: Erfundene Geschichten mit einer Prise Sex, Koks und auch ein bisschen Schwachsinn, macht sich immer mal wieder gut, gerade in Verbindung mit einem Promi, oder einem erfolgreichen Modedesigner. „Was für Drogenerfahrungen hast du selber gemacht?“ Fragte mich Teufel. „Hast du jemals richtig gehascht, geschnupft oder Tabletten eingeschmissen? Du als Musiker/Komponist und angehender Schriftsteller? Du warst doch auch auf nicht gerade wenigen Partys anzutreffen, und was da so abgeht ist doch hinlänglich bekannt, oder etwa nicht?“ Das war mal wieder typisch, nicht nur typisch für Teufel, sondern für alle, die so behämmert waren, und sind, wie er. Manchmal kotzen mich gewisse Leute mit ihren Scheiß-Fragen einfach nur noch an. Wenn man Musiker ist, oder sich sonst irgendwie künstlerisch betätigt, ist man automatisch für die gesamte Gesellschaft jemand der Drogen nimmt. Oder man ist sonst in irgendeiner Form jemand der exzessiv hervortritt, der „es“ schlicht und ergreifend muss. Doch dazu gleich mehr. Ich deutete, während ich mich im tiefsten Inneren ärgerte, auf die Uhr an der Wand. Noch ein paar Minuten, dann wollte ich gehen, und ich verschob somit die Antwort, die Teufel so sehnsüchtig erwartete, auf einen der nächsten Tage. Teufel war zwar mit einem gequälten Gesichtsausdruck einverstanden gewesen, aber so richtig in den Kram passte ihm mein Aufbruch nicht. Wir verabredeten uns, trotzdem, auf den nächsten Freitag. Dann wollte er mich zum zweiten Mal interviewen. So erhob ich mich, leicht beschwipst, aus meinem Sessel, um zu gehen, so gut es ging. Teufel begleitete mich zur Wohnungstür, und ich schwankte zur naheliegenden U-Bahn Station, um nach Hause zu fahren. Als ich mich in meiner Wohnung auf mein Sofa fallen ließ, fingen meine Gedanken an zu kreisen. Ich dachte an alles Mögliche, außerdem war ich vom Wodka mit O-Saft, und vom Bier reichlich angesoffen, nicht nur beschwipst, wie ich anfangs vermutete, ich war voll. Total voll. Ich brauchte endlich Schlaf. - Als ich am nächsten Morgen aus den Federn fiel, goss ich mir erst einmal ein, oder zwei - oder auch drei Glas Lambrusco ein und duschte danach ausgiebig. So gegen 9:30 Uhr klingelte dann mein Handy - es war Michael Jürf, ein ehemaliger Arbeitskollege und mittlerweile ein mittel-dufter Kumpel - auf den ersten Blick allerdings nur. Jürf lud mich lallend zum Frühschoppen nach „Sonja“ ein, so nannten wir die Altengrab-Kneipe in der Neuen Straße in Hamburg-Harburg. Ich war einverstanden und machte mich auf den Weg. Dort angekommen, saß Michael bereits, vom Kampf gegen den Alkohol gezeichnet, in der äußersten Ecke. Nach einer üblichen „Hallo wie geht’s?“ Begrüßung, bestellte auch ich mir etwas Alkoholisches, trotz des Wodka-Vortages. Anneliese, ehemalige Lebensgefährten meines Cousins „Thomas“, nahm meine Bestellung, mit der für sie so typischen Gleichgültigkeit zur Kenntnis. „Geht gleich los,“ sagte sie. Anneliese brauchte immer eine Weile, bevor sie mir mein Bier und meinen Jägermeister auf den Tisch stellte, so geschah es auch heute. Dann, nach dem Servieren, verließ sie unseren Platz und begab sich Richtung Tresen, um die nächste Bestellung anzunehmen, dabei noch einen giftigen Blick Richtung Tür werfend, falls ein weiterer Gast auftauchen sollte, doch dann setzte sie sich wieder auf ihren Hocker, und rauchte genüsslich eine selbstgestopfte Zigarette. Ich erzählte Michael unterdessen von dem Besuch bei Bert Teufel und der Bewässerungsanlage. Michael hörte, durch gelegentliche, von ihm ausgehende, alkoholbedingte, stotternde Zwischenkommentare unterbrochen, todmüde zu. Ich redete und redete in der Erwartung, er würde meinen Frust verstehen den ich hatte, mit dieser Interview-Geschichte. Jedoch Michael war zu sehr mit seiner Bierflasche beschäftigt, als dass er mir gegenüber wirkliches Interesse zeigte, während ich mit den Händen gestikulierend, das Gespräch am Laufen hielt. Michael machte sich so seine eigenen Gedanken zu dem Thema, obwohl er beim Sprechen, das heißt, beim Kommentieren meiner Erlebnisse starke Ungenauigkeiten hatte, denn der Alkohol hatte bei ihm bereits die Wirkung gezeigt, welche ein Gespräch mit ihm zunehmend erschwerte. Eigentlich war er ja auch nur eine alte, von den Eltern verwöhnte Saufnase, aber der Gedanke, Cannabis in der einen oder auch der anderen Form einmal zu probieren, faszinierte ihn offensichtlich. Er erkundigte sich bei mir ob ich ihm etwas Stoff besorgen könnte, er wollte es mal testen, nur mal so... als ich mir Michael in dem Moment ansah, wie er da saß mit seiner Stirnglatze, seiner uralten, ergrauten Second Hand Jacke, seinen angesoffenen Augen, seinem sichtlich angeschlagenen Bewegungsrhythmus, da dachte ich mir: „Ja, warum sollte Michael, der mich seit meiner Finanzkrise aufopfernd mitdurchschleift - kneipentechnisch gesehen, nicht ruhig einmal Hasch ausprobieren, denn in seinem Gehirn kann man sowieso nicht mehr viel beschädigen.“ Einer wie er, der sein gesamtes Leben den Kneipen in Hamburg und Umgebung gewidmet hat, der braucht etwas Neues