Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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inmitten der Kneipe, unabhängig von irgendwelchen verwirrten Intriganten, nicht zuletzt deshalb, weil er als Sachbearbeiter auch auf dem Arbeitsamt tätig war. Klares, unabhängiges, logisches Denken ist für ihn also eine Alltäglichkeit, und keine Frage der Einstellung zu der Masse der Unzufriedenen, die den Hals mit Geld, mit Gerüchten, mit Unwahrheiten nicht voll kriegen können. Wahrscheinlich, weil vieles Erlogene, vom Quartett der „vier“, derartig unglaubwürdig wirkte, dass Peter sich Dialoge ersparte. Es nervte ihn. Er suchte in Wilffs Kneipe Frauen und Unterhaltung, ein kühles Bier, etwas Abwechslung, keinen Streit, dabei aß er ab und zu eine Frikadelle mit Brot und Senf. Auch Michael Jürf, wie bereits erwähnt, schätzte die Frikadelle zweifellos, und die „Frikadellen von Wilff“ ungemein, und natürlich besonders, wenn die ganz bestimmte, eben erwähnte Frikadelle, mit Senf sowie Ketchup, durch eine Scheibe Weißbrot erweitert, einem wohlschmeckenden Mahl gleichkam, dem man (Peter und Michael sind gemeint) nicht widerstehen konnte. Und so kam es, vermutlich unerwartet, eines Tages zwischen Michael und Peter zu einer angeregten Unterhaltung zum Thema „Frikadelle“. Beide erwiesen sich als fachkundige Experten auf diesem durchaus vielfältigen „Feld“ und „Gebiet“ des Fastfood. Die Argumente der beiden waren für alle Anwesenden einleuchtend, man war einer Meinung mit den beiden rotnasigen Experten. Nie zuvor wurde derart ausgiebig, sowie leidenschaftlich über „des Deutschen Fleischklops“ gefachsimpelt und bis ins kleinste Detail diskutiert, unglaublich aber wahr, ich war Zeuge, und ich bin immer noch ganz beeindruckt, sowie erstaunt, auch hier wieder, im Nachhinein betrachtet, welche Genies diese beiden versoffenen Imbissjunkies doch sind. Am Ende der Unterhaltung, und nach den zwangsläufig verspeisten Frikadellen, gab man sich feierlich die Hand, und beglückwünschte das unerwartete Wissen des anderen. Michael war überrascht und schwärmerisch beeindruckt. Peter seinerseits, sank ehrfürchtig auf die Knie. Ja, so entstehen Freunde oder zu mindestens Kneipenkumpel. Auch wenn es sich letzten Endes nur um die Frikadelle dreht. Aber auch Polen Peter (sein von ihm nicht geliebter Spitzname) hatte eine extreme, von gelegentlichen Weinkrämpfen gezeichnete, andere Seite. Er war nicht nur der intelligente, sachlich, logisch denkende, ehemalige Mitarbeiter des Arbeitsamtes Hamburg, nein, auch Peter neigte bisweilen zu Eigentümlichkeiten, die sich bis ins Hysterische steigerten, vorwiegend unter starkem Alkoholeinfluss. Es passierte immer wieder, dass er im Delirium, vor den Augen der Öffentlichkeit seine Hose öffnete, und den entsetzten Zeitzeugen der Epoche, seinen Schwanz vor Augen hielt. Die Gäste beschwerten sich dann daraufhin unverzüglich, sowie übel gelaunt, beim Wirt der bestimmten Kneipe, in dem der Vorfall zum Tragen kam. Meistens wurde Peter dann, nach dem Entblößen, also nach solchen Alkoholexzessen, eben aufgrund derartiger Auswüchse, von dem zuständigen, und wie bereits erwähnten Wirt, oder sonstigem Dienstpersonal der betroffenen Kneipe, vor die Tür gesetzt. Man „trat“ den laut protestierenden Peter, der sich trotz solcher Sauereien im Recht fühlte, einfach in den Arsch und schmiss ihn hinaus. Am darauffolgenden Tag schämte sich Peter meistens zu Tode, wenn ihm, bedingt durch den Alkoholentzug, bewusst wurde, was er wieder angerichtet hatte. Er litt, er weinte, er bat untertänigst um Verzeihung, allerdings wandte er sich oft an die falschen Leute. Man (alle die ihn kennen und kannten sind gemeint) war sich nicht mehr sicher, in wie weit Peter noch als „Gesunder“ galt. Denn auch seine häufige Aggressivität wuchs im Laufe der Jahre um ein Vielfaches. Er war immer öfters ohne Kontrolle, ohne Selbstbeherrschung, ohne natürliche Grenzen, die in einem intakten Hirn eigentlich vorhanden sind. Nein, er lernte „nichts“ daraus, aus diesen Fehltritten, im Gegenteil, er soff unglaublich maßlos, rücksichtslos, immer mehr und immer weiter. Und da dieses Verhalten nicht mit normalen Maßstäben zu erklären war, vermuteten er selber und andere, in seinem ausgeprägten Hang zum Alkohol als solches, zu der Menge die er hinunter spülte, die eigentliche Ursache. Sein Trinkverhalten war einzigartig, egal welche Art von Alkohol auf den Tisch kam, Peter schluckte alles in sich hinein - „Hauptsache besoffen“, das war sein Motto. Und dann, wenn in diesen extremen Momenten, eine Frau zugegen war, rastete Peter vollkommen aus. Er schmiss die Runden, „Geld“ spielte keine Rolle mehr, er war der König, der Kneipenkönig bis zum Schluss, also, bis das Lokal oder die Kneipe restlos leer war. Erst dann, von Kotze, und von Ketchupflecken übersät, machte er sich, in seiner abgenutzten, weltberühmten: Gelben Stoffjacke, grölend, ächzend, laut und falsch singend, sowie ganz alleine mit sich und der Welt, auf den Heimweg nach Neuwiedenthal. Glücklich, und das überdurchschnittlich, war er, wenn er besoffen war, mit ziemlicher Sicherheit, das schwöre ich auf jede Bibel. Ich war öfters, staunender Augenzeuge, wenn er seine Anfälle hatte. Und Peter hat sich bis in die aktuelle Gegenwart kaum verändert. Peter und Michael, in ihrer grenzenlosen Haltlosigkeit sehr ähnlich, bilden einen ewig durstigen Schlund, der ständig, durch Alkohol feucht gehalten werden muss. Ja, ich meine das ohne Spott, wenn ich sage: „Beide haben wohl mehr Alkohol in sich hinein gegossen, als irgendjemand sonst, im eigentlich, eher abgelegenen Stadtteil Hamburg-Harburg, welcher für seine harmonische Ruhe bekannt ist.“ Beide suchen (immer noch) im Alkohol mehr als nur Berauschung. Die gewöhnliche, vulgäre Kommunikation, das Fallen der Hemmungen, das Vorgaukeln eines Stärkegefühls und die radikale Benebelung der Psyche, vermischen sich allzu oft zu einem sozial unverträglichen Krankheitsbild, welches irreparabel und konfus erscheint. Denn beide haben, jeder auf seine Art und Weise natürlich, gezeigt, dass sie im Innern ihrer Gefühlswelt, ihrer Herzen, lediglich „Einsamkeit“ verschleiern. Natürlich berauscht sich jeder Mensch für gewisse Zeit, aber, wenn eine angeknackste Seele, eine verletzte Seele, zusätzliche Arbeit leisten muss, um Wahnsinn und Wirklichkeit auseinander zu halten, dann kann es zu Fehlzündungen kommen, und die haben sich in letzter Zeit stark vermehrt bei unseren beiden trinkfreudigen, Fastfood-liebenden Extremisten. Dennoch hoffe ich, dass sie nicht so wegbrechen wie einige andere Gestalten in Wilffs Bahnhofskneipe. Denn bei den ganz heiklen Fällen, die ich bereits geschildert habe, ist Hopfen und Malz für immer und ewig verloren. Jeder, der meine Sicht der Dinge, zwangsläufig, irgendwann einmal, prüfen wird, wird erstaunt feststellen, dass sich nichts verändert hat. Es hat sich eher verschlimmert. Saufen, mal ganz nüchtern betrachtet, kann, jeder weiß das, Sorgen ertränken, aber, wenn eine Grenze, („Ich weiß ich wiederhole mich,“ gez. der Autor), mehrfach überschritten wurde, dann hilft auch kein beten mehr, weil der Wille längst schon gebrochen ist. Innere Organe wissen, was ich meine. Tja, und der Magen, das wichtigste innere Organ eines Trinkers überhaupt, nimmt auch, langfristig gesehen, keine feste Nahrung mehr an, er (der Magen) leidet dann mit seinem Herrn und Meister. Durchfälle werden zu einer unangenehmen Qual. Das Gehirn jedoch schweigt, es wird kurzfristig ausgeschaltet, auf „Stand by“, damit die Wirklichkeit nicht so schmerzt. Der ständige Durst ist nur noch Einbildung, aber es schmeckt eben doch, denn es ist die alltägliche Gewohnheit, die zum Bedürfnis wurde. Auch die sogenannten Wochenendtrinker, besonders bei Wilff, erwecken den Eindruck, dass sie nicht mehr in der Lage sind, klare Gespräche zu führen. Man schreit einfach drauflos, man kreischt einfach mit, man ist befreit, und das ist letzten Endes wichtig, es gehört zum Besoffensein mit dazu. Ein Paradebeispiel ist und bleibt der schwülstige, geistesgestörte Intrigant - Jürgen Krohm. Und wenn man darüber hinaus, einander ein wenig anscheißt, dann macht es besonderen Spaß. Die vier von mir genannten Oberanscheißer, Krohm, Christiana, Diane und Barbara, werden jener These wahrscheinlich begeistert zustimmen, wenn sie diese Zeilen jemals lesen sollten, denn alle vier sind absolute Fachleute auf jenem fragwürdigen Gebiet. Als Bert Teufel mich am Donnerstag Abend anrief, und sich erkundigte, ob es bei dem Termin am Freitag bleiben würde, verneinte ich, ich verschob die zweite Interviewrunde auf den kommenden Montag, ich brauchte eine Pause. Außerdem war ich noch nicht so richtig überzeugt, ob es wirklich sinnvoll war, alles, was ich wusste - zu erzählen. Ich brauchte endlich einmal Geld. Einen Vorschuss, ich dachte so an 1000 Euro, denn meine Festkosten waren fällig geworden. Teufel versprach mir einen Scheck zuzusenden, und der kam auch. Ich war überrascht, der Scheck kam nämlich außergewöhnlich schnell, bald schon regelmäßig. Natürlich war mir bewusst, dass Bert Teufel selber knapp am Limit lebte, einmal abgesehen von den kleinen Nebeneinnahmen mit der unglaublichen Bewässerungsanlage, aber ich war eben „noch mehr“ pleite als er es war, deshalb hatte ich wohlverdienten Anspruch auf einen Vorschuss. Ja, so bin ich in solchen Augenblicken. Geschäftliches hat immer Vorrang. Wenn allerdings, in der Vergangenheit und leider auch noch in der Gegenwart, gar kein Geld aufzutreiben war, wandte ich mich, wie schon des Öfteren, an meine liebe Cordula. Ich muss mich hier an dieser Stelle einmal innigst und herzlichst bei ihr bedanken, bei meiner kleinen treuen Maus. Was wäre ich ohne sie? Ich wäre schon ein paar mal in größte, sowie