Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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von der Unattraktivität seiner Person, natürlich bedingt durch den schweren Unfall. Er suchte im Dunkel des hereinbrechenden Abends Unterschlupf in einer Kneipe, er verabscheute den Tag, weil der Tag alles Entstellte zum Vorschein bringt. Thomas kam mit sich selber nicht mehr klar. Geld hatte er ohne Ende, aber der Preis den er dafür bezahlt hatte, war zu schmerzlich gewesen. Ihm wurde das mit zunehmendem Alter immer bewusster. Was allerdings, konkret, in seinem Kopf so vor sich ging, - ich habe es nie hinterfragt, nie untersucht, es war auch nie wirklich wichtig für mich, denn die beiden Familien Stobbe/Kupka unterscheiden sich zu sehr, als dass man Vergleiche anstellen sollte. Einerseits Suff, Drogen, Selbstmordversuche, Tablettenabhängigkeit, Tablettenmissbrauch und andererseits: Quartals-Suff, sexuelle Perversion, Selbstmord, Geistesgestörtheit sowie sich gegenseitiges anscheißen. Aber, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen, auf den „Parcours d`amour“ gehört in erster Linie das Sexuelle, das Leidenschaftliche, das Unersättliche, und da waren die Kupkaner (meine mütterliche Abstammung) eben „federführend“, wenn nicht sogar „wegweisend“ für andere, die ebenso fühlten und lebten, bzw. immer noch leben. Ich weiß, ich schreibe in der Gegenwart und in der Vergangenheit, ich tue das, weil ich, während, ich diese Zeilen zu Papier bringe, immer wieder neue Ereignisse geschehen, die ich dann, ganz aktuell, mit einfüge, mitlaufen lasse, auf den Parcours d`amour. So erhalte ich, auch für mich selber, eine gewisse Spannung, ein Prickeln, ein Kribbeln, ein Erwarten auf eine neue unbekannte Entwicklung, innerhalb der einzelnen Kapitel, an denen ich mich, gelegentlich sogar noch nachhaltig orientiere. Als Beweis dient an dieser Stelle, der Sieg von Gesangstalent „Alexander“, bei: „Deutschland sucht den Superstar (2003),“ obwohl ich auf die liebreizende Juliette gewettet habe. Sie hat den wirklichen Glamour einer frischen, unverbrauchten, anziehenden jungen Frau, den die Männer, mich besonders, in den Bann zieht. Ihre Beine sind die Marmorsäulen eines Kolosseums der Antike, man wird unweigerlich scharf, man möchte ihre Beine berühren, sie mit Honig bestreichen und dann langsam, bis hoch in den Schambereich ablecken. Ihre Brüste sind einfach nur sexy - geil und schön, und ihre Augen, sowie ihr Lächeln verzaubern jeden „immer noch strammen Hengst“, der sich leider schon in den späten Dreißigern seines Lebens befindet... Ach die Jugend, ihr ewig jungen Mädchen, ihr seid so schön, so versaut, so hemmungslos, so ohne jeden Anstand, wenn man mit euch mal alleine ist und es richtig genießt. Das beziehe ich nicht auf die eben von mir beschriebene Juliette, oh nein, sie ist für mich unerreichbar, ich beziehe es auf alle jungen Mädchen, die hinter dem durchsichtigen Tuch der ersten Liebe, an einem lauen Abend, von einer erhitzten Stimmung begleitet, sich der Lust eines Mannes hingeben, um ihn für eine Nacht glücklich zu machen, vielleicht auch für immer. Liebe ist so viel, manchmal so ungreifbar, so weit weg, plötzlich so nah, man darf sie nicht loslassen, sie ist empfindlich, sie könnte zerbrechen und einen verlassen. Käufliche, vom Gesetzgeber erlaubte Liebe, gaukelt zwar viel vor, aber, sie kann kein Ersatz für Entgangenes sein, für unerreichbare Träume und Sehnsüchte, die in jedem von uns, mal mehr, mal weniger häufig auftauchen. Nicht jeder, vor allem nicht jeder verheiratete Mann von mir aus, sei er auch in festen Händen, gibt seinem sexuellen Instinkten nach. Es ist erziehungsbedingt. Die Freiheit, mit Sexualität offen und ohne Hemmungen umzugehen bestimmt den Blickwinkel von Menschen, gerade, wenn der religiöse Glaube eine entscheidende Rolle spielt. Aber wer so wie mein Onkel Karl-Heinz Kupka, sich nimmt, was er braucht, derjenige, also er, Karl-Heinz, geht überhaupt keine Verpflichtungen ein. Karl-Heinz und seine Frau Jutta, meine Tante, waren das wohl seltsamste Paar in unserer Familie, und auch in unserem weitesten Umkreis. Kalli, wie ihn alle nannten, hatte sich Ende der achtziger Jahre sterilisieren lassen, weil Jutta angeblich die Pille nicht vertrug. Aber das war alles erstunken und erlogen. Kalli sein vielseitiges Sexleben war offenkundig geworden, weil die Ehefrau ihm nicht mehr genügte, deshalb musste so manche ältere Prostituierte herhalten, um Kallis ausgefallene Wünsche zu befriedigen. Er, der Geschäftsmann aus der zweiten Reihe, Jutta führte nämlich den Edeka-Laden in Hamburg/Harburg, war von dem Gedanken des totalen Sexrausches erfasst gewesen. Was er speziell suchte, bei den käuflichen Damen, war, anfangs, noch nicht sicher zu deuten, aber er ging, nach vielen Versuchen, seinen Weg. Ältere, etwas reifere Damen, hatten es ihm angetan. Hier lebte er seine Gefühle, seinen zerrenden Mutterkomplex aus, hier wurde er wieder zu einem Jugendlichen, zu dem Halbstarken schlechthin, und hier konnte er in abgewetzten Lederhosen den wilden Rocker-Macho raushängen lassen. Die Damen nahmen ihn so wie er sich gab, wild und ungestüm, und sie gaben ihm das Gefühl von Männlichkeit. Kalli hasste es allerdings, älter, und damit impotenter zu werden. Er ertränkte seinen ständigen Wochenendfrust, seine gelegentlichen sexuellen Niederlagen, in Unmengen von Scotch und Wodka, und warf alle möglichen, pflanzlichen sowie chemischen Medikamente ein, aber, der Alterungsprozess verschonte auch ihn nicht. Selbstmitleid, Selbstzweifel, Weinkrämpfe und fürchterliche Kontrollverluste wurden zu seinem ständigen Begleiter. Kalli war auffällig geworden. Die Umgebung registrierte, in Bezug auf ihn, sonderbare Veränderungen. Denn, teilweise war Kalli, im Geschäft, schon am frühen Morgen, derartig dichtgesoffen gewesen, dass er unter den typischen alkoholbedingten Niesanfällen litt. Und zwar so laut, so unglaublich heftig, dass ihn selbst die treue, und „ach so“ tolerante Stammkundschaft, mit verächtlichen und mitleidigen, eisigen Blicken, herhabdisqualifizierte. Aber Kalli war, im Laufe der Jahre, an der starken Seite von Jutta, auch hinfällig geworden. Ihn interessierte gar nichts mehr, und er ließ sich deshalb nichts mehr sagen, von niemanden. Er erbrach sich manchmal, ohne Vorankündigung, und das nicht selten, im Vollsuff, jenseits des geringsten Schamgefühls, vor den Augen der Lieferanten, sowie seines Personals. Jutta stand in solchen Momenten, hilflos, mit glimmender Zigarette, kopfschüttelnd daneben. Die Lieferanten schwiegen anstandshalber oder sie sahen peinlich berührt zur Seite. Sie wunderten sich allerdings über den zunehmenden Verfall eines Mannes, der sein Leben lang, nach eigenen Angaben, hart gearbeitet hatte, der sich etwas aufgebaut hatte, der doch glücklich sein musste, der es aber dennoch nicht war. Den Höhepunkt erreichte das ganze Drama, als Kalli, nach durchzechter Nacht im Puff, am frühen Morgen, vor die Tür seines hart erarbeiteten Hauses trat, und wildfremde, zur Arbeit gehende Menschen, auf der Straße sowie in ihren Autos, aggressiv anpöbelte. Er erging sich in Kraftausdrücken, er schrie dabei wie ein Verrückter, und er fuchtelte, drohend, mit einem spitzen Gegenstand herum. Sekunden später brach er, betrunken, entkräftet und röchelnd zusammen. Jutta schleifte ihn anschließend, nachdem der Krach den er ausgelöst hatte, und sie erwachen ließ, ins Haus zurück. Dort versuchte sie ihren Kalli, durch leises Sprechen zu beruhigen, und somit zum Einschlafen zu bringen. Tage danach, nach solchen Störungen, folgten für Kalli Depressionen, Unruhezustände, Neurosen, sowie wirre Selbstgespräche über den schlechten Zustand der Zuchtbetriebe und Bauernhöfe in der Umgebung – „von vor über hundert Jahren“. Außerdem zeigte Kalli, bei der Polizei in Jesteburg, den, auch von ihm rechtmäßig gewählten Bürgermeister an, - weil er ihn für das miese Wetter, das Herumlungern von Wegelagerern, das mangelnde Interesse an Tischfußball, das Missachten seiner Person mitverantwortlich machte, das... usw. usw. usw. - Anschließend, nach der Anzeige, beobachteten Nachbarn, dass Kalli, volltrunken, im Garten seines Hauses, einen Karton mit kleinen Wodkaflaschen vergrub, und wie er sich im Anschluss daran, mit einem abschiednehmenden, schmerzlich berührten Gesichtsausdruck, erschüttert von den großen Gefühlen der Welt, mit langsamen Schritten, innerlich gebrochen, abwandte, - Kalli war am Ende. Der Wahnsinn hatte sich auf seine kaputt gesoffenen Nervenbahnen gelegt, und jedes sinnvolle Handeln im Keime erstickt. Und, aufgrund solcher Ereignisse, die für die Kleinstadt „Jesteburg“ eher untypisch waren, verließ er nur noch selten, das durch Fleiß und Anstand erschaffene Haus, welches ihm und Jutta soviel bedeuteten. Einsam, von konfusen Gedanken gequält, mit starrem Blick, am Fenster sitzend, schaute er den Vögeln hinterher. Und manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, und Jutta nicht da war, dann sprach er zu ihnen, zu den Spatzen und zu den Drosseln. Kalli hatte sich heimlich, also ganz allein für sich, eine Geheimsprache ausgedacht, die aber nur er und die Vögel verstanden, andere, z. B. Jutta, wurden in jene ominöse Geheimsprache nicht mit eingeweiht! Hier war nun ein zentraler Punkt erreicht, wo man durchaus hätte sagen können: „Der Alkohol hat ihn „fast“ besiegt, doch eben nur fast.“ Jutta suchte verzweifelt nach Hilfe, und sie fand sie. Und zwar gleich um die berühmte Ecke herum - in Drehstedt. Es war Kallis jüngerer Bruder Manfred, der Kalli, in seinem Haus in Jesteburg, durch Erinnerungen an die Kindheit, und an die stürmische Jugendzeit, wieder einmal aufrichtete, somit seelisch neu aufbaute, neu zuordnete, in die grausame Realität der heutigen Gesellschaft. Kalli „halfen“ ganz zu Anfang