Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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ich bei Gott, und allem, was mir sonst noch wichtig und heilig ist. Sicherlich bekam sie ihr Geld von mir immer wieder, aber es ist für niemanden schön, inmitten des Monats die Geldbörse zu öffnen, es fiel- und fällt ihr nicht leicht, in all den Jahren, in denen wir uns kennen, für mich die große Schwester zu sein. Aber sie ließ mich nie hängen, sie verurteilte mein verrücktes Leben nicht, sie ließ mich trotz allem, trotz aller Rückschläge - schreiben, und drückte mir insgeheim, fest und ehrlich beide Daumen, und manchmal glaube ich, es hilft mir tatsächlich. Ist das nicht wundervoll? Also, noch einmal: „Tausenddank, und einen ganz dicken Kuss für dich Cordula.“ Vielleicht schaffe ich es eines Tages, und werde an Kaliforniens sonniger Küste, in einem angemessenen Haus für mich residieren. Umgeben von einer schönen, aufregenden Frau, ein paar Kindern, zwei herumtobenden Hunden, in dem dazugehörenden überdimensionalen Garten, sowie vernünftiges, geschultes, zweisprachiges Hauspersonal, denn es ist das Hauspersonal, die Dienerschaft, welches das Ansehen einer Residenz mit Meeresblick, erst zu dem macht, was es ist: Zu einem Paradies. „Alles nur Träume?“ Höre ich die Kritiker, die Neidischen, die künstlerisch Unbegabten, die Armseeligen, die anständig zur unterbezahlten, und zur unsicheren Arbeit gehenden da sagen. Aber, ihr werdet schon sehen wie es kommt, wie es kommen muss. Denn, ohne Träume wäre die Mondlandung nicht geglückt, gigantische Städte wären nicht entstanden, pferdelose Kutschen (Autos) würden mit Abgasen nicht die Luft verpesten, wahrscheinlich würde nicht einmal Ingo Wilffs Bahnhofskneipe existieren, in der sich jeden (wirklich jeden) Freitagnachmittag, das Harburger Elitegesocks, (die Namen müssten nun bekannt sein), die Klinke in die Hand gibt usw. Beispiele gibt es genug. Die Straßen, jeder Stadt, sind mittlerweile voll von verkrachten Existenzen, von Künstlern, von Arbeitslosen, von Obdachlosen, von Sozialhilfeempfängern, von, wie ich zu sagen pflege: „Opfern dieser korrupten Demokratie, Opfern der verschiedenen sogenannten demokratischen Parteien, deren Führer sich, wohl wissentlich und der Verantwortung bewusst, die Taschen ihres feinen Zwirns, mit Schwarzgeldern voll stopfen, während andere auf der Strecke bleiben und Suppenküchen in Anspruch nehmen müssen, damit sie nicht verhungern.“ - Oh ja, es wird zu einem Knall kommen, zu einem riesengroßen „Big Bang“, aber dann möchte ich eben sehr weit weg sein, weil ich nicht mehr glaube, dass dieses Land zu retten ist, ich selber bin ja mit meiner Masche aufgefallen, gescheitert, ich werde im Grunde genommen von einem Journalisten zur Wahrheit gezwungen. Allerdings, war und ist mein Fall, eher unpolitisch sowie unspektakulär - im Moment jedenfalls noch. Was also wird erst passieren, wenn alle ausnahmslos „alle“, unsere, von uns gewählten Politiker auf den Prüfstand kommen? Ja, ja, dann geht es hier zur Sache, darüber sind sich aber nicht nur alle Spießer, alle ewig Gestrigen, alle ehemaligen APO-Aktivisten, und auch nicht alle Bildzeitungsleser, sowie alle listigen Menschenquäler im Klaren. Man sieht eben zu gerne weg, es geht einem, im Kleinen, im sehr privaten Rahmen, doch eigentlich ganz gut. Man ist doch noch wer, man kann sich den Ausflug an die Elbe in ein Mittelklasse-Restaurant, mit Frau und Kind, doch immer noch so, einigermaßen, gerade mal so, wenn Schwiegermutter die paar Getränke übernimmt, durchaus leisten. Also, wer malt hier schwarz, an den geweißten Wänden der unerschütterlichen deutschen Demokratie? Das Volk? Die Armen? Die Politiker? Die Arbeiter? Die Experten? ... Die „Fachexperten“ sitzen in den Kneipen, bei nur noch einem einzigen oder höchstens zwei Bier beisammen, und reden sich die Welt gegenseitig ideal. „So schlecht wie es aussieht ist es nicht, wer wirklich, und „nur“ wer wirklich im Geringsten arbeiten will, der findet auch welche. Es ist so einfach, so verdammt einfach, wenn man nur wirklich will,“ hört man die, die noch Arbeit haben sagen. Wenn sie allerdings „selbst“ von Armut, Arbeitslosigkeit sowie Ausweglosigkeit betroffen sind, dann scheitern „ihre“ Ehen, zerfallen „ihre“ Selbstwertgefühle, Freunde nehmen großen Abstand, der Alkohol bittet, von einem auf den andern Tag, um mehr Aufmerksamkeit. Der Anfang vom Ende? Nein, Alkohol muss nicht sofort das „Ende“ bedeuten, aber die „Menge“ entscheidet natürlich, „Ich wiederhole mich schon wieder ich weiß,“ gez. der Autor. Aber Baldrian und andere Präparate helfen bei Schlaflosigkeit, Zukunftsängsten und Enttäuschungen, gerade bei Arbeitslosigkeit, genauso gut wie der allabendliche Schlummertrunk, das habe ich schon des Öfteren festgestellt.

      Die Familie

      Die eigene Familie hier auch nur zu erwähnen, bringt mich höchstwahrscheinlich um mein Erbe. Aber, wenn ich sowieso schon enterbt bin, mütterlichseits, wie es mir mein Vater im „Voraus“ prophezeit hat, bzw. er es vielleicht auch nur vermutete, er es mir so Stück für Stück beibringen wollte letztes Jahr: Dann scheiße ich natürlich auf alles, natürlich nicht auf meinen Pflichtanspruch, denn der steht mir ja zu. Jener Anspruch ist irgendwann einmal, gesetzlich, Gott sei Dank, so festgelegt worden. Egal wie viel es dann auch sein wird, man nimmt, was man kriegt, und „nicht“ das, was man „verdient“, ich meine damit die Betrachtungsweise aus der Sicht der anderen, die ja immer im Rechten sind, weil sie alles besser wissen, jedenfalls glauben sie das. Welche Familie unterscheidet sich da schon? - Es war im Sommer 1979 als mein Vater, Jürgen Stobbe sen., gegen Mittag, vorzeitig von der Arbeit nach Hause kam, und meine Mutter „Eva“ und deren beste Freundin „Doris“, nur mit einen hauchdünnen Höschen bekleidet, engumschlungen, tanzend, der realen Welt weit entrückt, alles um sich herum vergessend, antraf. Beide hatten gerade einige zärtliche Berührungen, ein paar Liebkosungen der Brüste, ein paar intime Küsse auf die Innenseiten ihrer Oberschenkel ausgetauscht. Nebenbei allerdings Gardinen aufgehängt, sowie dem gut gekühlten Sekt zugesprochen. Sie waren in bester Laune gewesen, bis mein Vater, das Wohnzimmer, vor ohrenbetäubender Discomusik dröhnend, sehr langsam und sehr neugierig betrat, denn er hatte mich, seinen Sohn, mit meiner Freundin erwartet, und nicht seine Ehefrau in den Armen einer „anderen“. Daraufhin, nach dieser Fehlerwartung, platzte meinem Vater der Kragen. „Was ist das denn?“ Hörte man ihn sagen. Doch diese Frage war nur der Anfang vom Ende einer langen, nicht immer leichten Beziehung. Unerträgliches Geschrei auf beiden Seiten entstand. „Mon Papa“ übertönte in seiner sprachlichen Gewalt, in seinem aufflammenden Hass, in seiner Frustration sogar die stampfende Discomusik der schwedischen Popgruppe „ABBA“. Papa war außer sich, kaum noch zu verstehen, so leidenschaftlich, so inbrünstig, so irre, überschlug sich seine, vom Alkohol geformte, tiefe, bisweilen weinerliche, ja sogar bis ins „Animalische“ unerhört laut klingende Stimme. Er war geschockt, zu tiefst getroffen - er war fertig mit der Welt. Dann jedoch, nach einem durchaus plausiblen, logischen, ernsthaften und sachlichen Streitgespräch, welches die drei sichtlich erregt führten - Argumente verschiedener Ursprünge prallten aufeinander-, glätteten sich die aufgeschäumten Wogen wieder. Selbst die streitsüchtige Doris beruhigte sich so nach und nach, denn auch sie war verheiratet. Auch sie hatte somit etwas zu verlieren, in der noch nicht ganz so toleranten Gesellschaft der siebziger Jahre. Doch mein Vater, in diesem Moment einen Ehrenmann, versprach zu schweigen, „zu niemanden ein Wort,“ hieß die Vereinbarung. Alle Beteiligten schworen ihren ganz persönlichen Eid... So also hielt der Alltag, erneut wieder Einzug, in unsere kleine Familie, in Neuwiedenthal, im Wiedauweg, unserer Straße, Nr. 6. Vater und Mutter einigten sich, nicht zuletzt meinetwegen. Man gewährte sich, nach einem sehr langen weiteren Gespräch, ohne Doris, als ich schon schlief, sexuelle Freiheiten. Mutter hatte weiterhin ihre jungen Freundinnen, Vater bevorzugte, wenn er auf Montage war, „Frisches“ von der Seitenstraße. Junge Mädchen, ein wenig verrucht, ein wenig drogenabhängig, ein wenig anlehnungsbedürftig, und zum Sex allzeit bereit, gegen Bezahlung, das war sein Ding. Hier fand er, als Mann, die Bestätigung, die ihm meine Mutter versagte. Eva (meine sonderbare Mutter) wollte nämlich ihre Bisexualität, häufig sehr exzessiv, sehr aggressiv und sehr intensiv ausleben. Sie suchte überall ihre Gespielinnen, im Wohnhaus, im Wohnblock gegenüber, auf der Arbeit; z. B. bei Reynolds Aluminium, auf irgendwelchen Stadtteilfesten, in der Jazztanzgruppe, in Schwimmbädern, auf Kuren, im Urlaub, ja sogar in der eigenen Familie, sie war sexsüchtig. Mutti hatte sich außerdem, in der Vergangenheit, an meine Tante: „Ruth Stobbe“ rangeschmissen, stieß allerdings bei ihr auf ein totales Unverständnis, angewidert, verärgert und irritiert, wies Ruth sie zurück in ihre lüsternen Schranken. Bei Irmgard, auch eine Tante von mir, der Ehefrau von ihrem Bruder Manfred, hatte sie mehr Erfolg. Es kam zwar nicht zum Geschlechtsakt, aber sie fand bei Irmgard, in Zeiten des Kummers, fürsorgliche Hilfe sowie Beistand. Irmgard und Mutti führten ein Verhältnis wie eine „ältere und jüngere Schwester“ - bei der Mutti, die dominierende Rolle gerne für sich in Anspruch nahm.