Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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er, an einem trockenen Tag, feierlich: „Besserung“, er wollte nur noch „normal saufen“, wenn überhaupt jemals noch mal. Jutta, die Ehefrau und der Hausdrachen in „Persona“, war eine logische, eigenbrötlerische, knallharte Geschäftsfrau, sie litt damals, wirklich, ohne jeden Zweifel, unter der zunehmenden, totalen Verweichlichung ihres Mannes aufgrund seiner Saufexzesse. Die vermuteten Rückfälle seitens Kalli, waren sicherlich vorprogrammiert gewesen, und sie trafen auch gelegentlich ein, aber Jutta ließ sich nichts anmerken. Kalli hatte sich zwar immer schon etwas mehr als der deutsche Durchschnittsmann gehen lassen, aber, was er ihr (Jutta) in den letzten Jahren geboten hatte, überstieg alles bisher da gewesene. Auch die direkten Nachbarn in Jesteburg bekamen unwillkürlich mit, wie es um Kalli wirklich stand. Ein hilfloser, vom Alkohol erkrankter Waschlappen, der meinem leiblichen Vater (Jürgen Stobbe sen.) in nichts, in gar nichts, nachstand: „Das war aus unserem Kalli geworden.“ Ärztliche Hilfe lehnte er trotzdem grundsätzlich ab. Er tankte sich, nach allzu großen Alkoholexzessen, im Laufe einer Woche, sehr langsam, ganz behutsam wieder „runter“ so wie es im Fachjargon heißt, und bekanntermaßen, immer noch gemacht wird. In seinen sogenannten depressionsfreien Trockenphasen widmete er sich dennoch weiterhin, immer mal wieder, der käuflichen Liebe, zugegeben sehr selten, „aber so ist das nun mal“, denn der regelmäßige Alkohol, belastete seine angeschlagene Libido ganz erheblich. Und seine, sonst so gut gefüllte Brieftasche, wurde immer leichter, Geld bekam über Nacht Flügel. Selbst im gemütlichen, heimischen, im Bauernstil gestaltetem Ehebett, daheim in Jesteburg, kam es zu unerwarteten Phasen, der totalen, der absoluten Trockenheit, obwohl Jutta, selbst noch im Geschäft, die kürzesten Miniröcke der Welt trug, welches die tägliche Kundschaft aus der Ferne begutachtete, meine Stief-Oma „Oma Betty“, sei hier als Zeugin genannt! Trotzdem, kam der gute, alte Kalli nicht mehr auf Touren. Erst ein langfristiges konsequentes Einschränken, seines außergewöhnlichen Hanges zum Alkohol, versprach eine sinnvolle, eine dauerhafte Besserung. Und diese alkohollose Zeit bewirkte, dass die reiferen Prostituierten wieder zu regelmäßigen Einkünften kamen. Jutta wusste das, aber auch sie war ein erotisch denkender Mensch, und der wöchentliche Sex mit Kalli hatte für sie, genauso eine Bedeutung, wie die Zigarette in der Mittagspause. „Lieber nur „etwas“ Sex als gar keinen, und, was Kalli so nebenher treibt ist mir egal, wir führen eine moderne Ehe!“ So oder so ähnlich, lauteten ihre devoten Argumente, in einem Gespräch, mit einer, nur allzu neugierigen Freundin, aus dem zur Heimat gewordenen Jesteburg. Manfred, der bereits erwähnte jüngere Bruder, lebte mit seiner Frau Irmgard in Drehstedt. Drehstedt? Drehstedt ist ein Kuhdorf vor den Toren Hamburgs. Unbehaglich anzusehen, mit Schweinescheiße verdreckte Nebenstraßen, Dunstglocken von ungeahnten Ausmaß, „eine“ Hauptstraße existiert mit viel Einbildungsvermögen ebenfalls. Bestialischer Gestank, seltsame kleinköpfige, hässliche Landeier schlürfen schon am frühen Sonntagmorgen, lärmend durch das Dorf, und beäugen jeden Fremden, so als wollten sie ihn aufhängen, weil er keiner von ihnen ist. In dieser Atmosphäre, in dieser Gegend, an diesem unheimlichen Ort der Widersprüche und Grundsätzlichkeiten, lebten und leben Manfred und Irmgard Kupka. Zwei Westhighland Terrier gehören mit zu ihrer intakten, soliden, auf Vertrauen aufgebauten, Familie. Sie sind auf ihre Art ebenfalls glücklich und zufrieden, aber sie sind ausgestiegen, nicht nur aus dem Mief der Großstadt Hamburg, nein, sie wollten Natur und Modernes miteinander verknüpfen. Zwischen Kuhgebrüll, angestochenen Schweinen, knatternden Traktoren und zunehmenden Berufsverkehr, fanden sie ihre wohlverdiente Ruhe. Sie pflegten ihre Hobbys. Manfred war außerdem noch, trotz Zukunftsangst „berufstätig“, und darauf war er am meisten stolz, die Arbeit war für ihn alles. Lange hatte er für seinen Job gekämpft und gebüffelt. Sein ganzes Leben lang hatte er hart an sich, und an anderen gearbeitet, ja, er hatte es weit gebracht, dickes Haus, dickes Portemonnaie, dicker Bauch, fettes, aufgedunsenes Gesicht, was will man mehr? Irmgard hingegen döste, wenn Manfred mal nicht da war, so in den langen, monotonen Tag hinein. Sie hatte viel Zeit für sich und ihre belanglosen Belange. Sie hörte gerne, alleine, die CD`s von Erika Pluhar. Irmgard verschwand, wenn die Stimme der Sängerin erklang, mit ihren Gedanken, in der Weite der Verwundbarkeit ihrer sensitiven Gefühle. Teilweise, ergriffen von den wienerisch gehauchten Worten der Sängerin, bewegte sie ihre Hand zum Takt der Musik mit. Leise, melancholisch vereint, wesensverwandt mit der Harmonie der Töne, summte Irmgard die traurigen Melodien, sichtlich betroffen mit. Und irgendwie war sie dann völlig abwesend, halb-träumend, halb-schlafend, geistig nicht mehr gegenwärtig. Ein etwas sonderbarer stiller Blick, fernab der Hauptstraßen und Nebenstraßen der ländlichen Idylle, sowie vom Zigarettenrauch eingehüllt und angetrunken, lag sie mit den beiden Hunden zusammen, auf der schon zu sehr abgenutzten, schäbigen Couch im überdimensionalen Wohnzimmer, gegenüber dem ebenso gewaltigen Bücherregal. Manfred hingegen, der dem Tennissport leidenschaftlich, bis hin zur totalen Selbstaufgabe verfallen war und ist - ähnlich wie Ingo Wilff, bewegt seinen massigen, von Cola und Chips gezeichneten, Körper, immer noch regelmäßig in die Arena der alten Herren, auf den sogenannten: Tennis-Court. Das Wochenende bedeutet für ihn Sport, Sport, Sport etc. Bäuerliche, etwas anspruchslosere Tennisturniere waren/sind sein Lebensinhalt, körperliche, vorübergehende Höchstleistungen, anschließende, ausgiebige, magenüberladende Fressorgien und Branntweinexzesse, die dem Trinkverhalten seines Bruders - Kalli, und meines Vaters - Jürgen Stobbe sen., in nichts nachstehen, weder damals noch heute, gehören mit zum guten, ländlichen Ton - jedem das Seine. Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall, heißt es doch? Ich habe mich häufig gewundert, mit welcher Gleichgültigkeit, mit welchem Humor, mit welcher Ausdauer, eine schöne, eine derartig elegante, verträumte Frau wie Irmgard, das alles meistert, wie sie es ohne großartige Schwierigkeiten, mit einem leichten Wesen bewältigt - bewundernswert. Aber man, also sie (Irmgard), muss wohl anders mit derartigen, offenliegenden Gesetzesmäßigkeiten, mit derartigen radikalen Veränderungen, auf Dauer umgehen als ich es könnte. Vielleicht ist einzig und allein die Fäkaliengeschwängerte Landluft daran schuld, denn reine Landluft, soll ja angeblich sehr gesund sein. Und, die Landluft könnte in der Tat, für einen Stadtmenschen wie mich, berauschend sein, wenn dieser permanente, eigentliche Gestank, nicht wäre, aber das hängt wohl mit den verschiedenen Örtlichkeiten zusammen, und es sollte nicht verallgemeinert werden. Aber, wenn die Gülle, und irgendwelche Chemiepräparate, so durch die Gegend spritzen, wenn die Rinder sich, um ihre und „unsere“ Gesundheit Sorgen machen müssen, dann bin ich doch lieber Stadtmensch. - Obwohl das eine mit dem anderen, ohne jeden Zweifel, nichts zu tun hat. Die ländliche Ruhe hat „natürlich“ etwas für sich, aber, wenn aus der Ruhe Einsamkeit, Verlassenheit, Flucht aus der Gegenwart wird, nein, dann bin ich eben unverbesserlich. Ich liebe Hamburg, mit all seinen Merkwürdigkeiten, seiner Korruption, seinen bestechlichen Beamten, den angeblich politisch Verfolgten, den Machtanspruch der Vollzeit-Spießer die einen, ein ganzes Leben lang begleiten, ob man nun will oder nicht. Sicherlich, das alles ist „meine“ Sicht der Dinge, ich bin eben teilweise zu einseitig, geht ja auch gar nicht anders, aber meine Familie ist durch Spießigkeit, Intoleranz, Anscheißen, Bezichtigungen aller Art usw. - zu Ruhm, Geld und zu Ehren gekommen, tja, so ist das nämlich. Vielleicht meint es ja, irgendwann einmal, irgendjemand mit mir auch noch gut? Oder bin „ich“ zu wehleidig? Vielleicht zu uneinsichtig? Oder lebe ich zur falschen Zeit im falschen Jahrhundert? Ach, ich weiß eigentlich gar nichts mehr. Ich bekämpfe auch niemanden, ich schildere lediglich, ich vollziehe nach, ich erzähle in erster und in entscheidender Linie einen Verlauf - mehr nicht. Also drehe ich das Rad der Familiengeschichte, jetzt, in diesem Moment, einmal in die Zeit des tausendjährigen Reiches zurück. Sagen wir: „Es war im Jahre 1942“. Meine Oma war in den dreißiger und vierziger Jahren eine schöne, knackige, begehrenswerte junge Frau. Sie hatte im heißen Sommer 1942 Verwandte in Ostpommern besucht, und befand sich nun wieder im Zug nach Hause. Sie trug ein schönes, teures, luftiges Sommerkleid, sowie Stöckelschuhe, einen bunten Hut, und sie war darüber hinaus geschminkt wie ein berühmter Filmstar - das auch noch obendrein, oh ja. Ach, und sie war in so einer Stimmung,... na, ja,... es könnte nicht heißer sein. Sie fing an zu träumen, sie dämmerte ein wenig dahin, sie wirkte allein mit sich und den schönen Dingen des Lebens. Irgendetwas fehlte, ein starker Arm, ein langer Kuss, ein Mann kurz und gut. - Die nun geschilderten Erlebnisse haben sich, laut meiner Oma, genauso, und nicht anders, seinerzeit zugetragen. Etwa eine halbe Stunde vor Hamburg, betrat ein uniformierter, schneidiger, junger Offizier, das Abteil meiner Oma. Seine lüsternen Augen erfassten sofort, ohne Umschweife, die einsamen Augen meiner Oma. Meine Oma, die nach eigenen Angaben, keine Kostverächterin war, nutzte die Gelegenheit, um