Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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„selbstverständlich“, denn der heiße Offizier hatte in der Tat begriffen, was das Geraspel, allen Anschein nach, bedeuten sollte. Offizier und Maria/-Oma waren also alleine im Abteil, man unterhielt sich sehr angeregt, man rückte näher zusammen, man mochte sich, man verschloss das Abteil und Man(n) verdunkelte es. Und dann, nach all diesen Vorkehrungen, trieben es beide mit einer Leidenschaft, dass meiner Oma, auch in späteren Jahren noch, die Wangen anfingen zu glühen, wenn sie mir davon erzählte. Maria ließ sich, nach den heißesten Küssen der Welt, von hinten nehmen, denn dadurch, dass sie aufgrund der Hitze keine Unterwäsche trug, machte sie es dem geilen und aufgeheizten Offizier leichter, gleich, sofort, ohne großes Vorspiel, zur Sache zu kommen. Nachdem Maria sich also auf die Sitzbank hingehockt hatte, und sich am geöffneten Fenster festhielt, riss der Offizier seine Hose runter, schob ihr den Rock hoch, und drang, heftig, wild, fast schon brutal, in sie ein, aber Maria wollte es so und nicht anders. Sie keuchte bei jedem Stoß rhythmisch mit, der Fahrtwind verlieh dem Ganzen etwas aufregend Wildes, etwas Leidenschaftliches, etwas in der Erinnerung Bleibendes. Der Offizier gab, ausgehungert wie er war, sein Bestes, und er war wirklich gut, er war ein Offizier wie er im Buche stand, Hitler konnte wirklich stolz auf das Ergebnis seiner Lebensborn-Politik sein. Und meine Oma (Maria), schloss ihn, als er mit einem das: Knochen-Mark-Erschütternden Schrei, gekommen war, herzlich, verschwitzt und selig in die Arme. Er küsste sie zum Abschied, und gab ihr einen Klaps auf den Hintern. Keiner von beiden wusste den Namen des anderen als sie sich am Hamburger Hauptbahnhof trennten, man hatte einfach mal etwas Spaß gehabt, mitten im, vom Krieg gezeichneten Europa. Es war eben damals die schlechte Zeit. Männer waren rar, Essen wurde knapp, und Maria ließ sich für den spontanen Liebesdienst ihrerseits, im Zug, mit einer goldenen, wahrscheinlich erbeuteten Taschenuhr, vom Offizier bezahlen, das darf man in jenem Zusammenhang nicht außer Acht lassen. Wie gesagt: „Es war eben die schlechte Zeit.“ Und als Alfons (mein Opa), der anscheinend treue, rechtschaffene Ehemann, Fronturlaub hatte, verschwieg Maria ihm das amouröse, kleine, wilde Abenteuer, auf der Zugfahrt von Pommern nach Hamburg. Denn auch Alfons war kein Kind von Traurigkeit, jeder wusste das. Aber er, Alfons, war der Ernährer im Hause Kupka, und genoss somit, gewisse Sonderrechte, die er auch gerne für sich in Anspruch nahm. Meine Oma wusste ganz genauso, wo der Hase lief, sie war zu ausgekocht, als dass jemand, wie Alfons, sie anscheißen konnte. Aber er kam dennoch seinen ehelichen Pflichten nach, wenn er mal da war, wenn er die Lust und die Zeit hatte, Maria in Bezug auf Nachwuchs, erfolgreich zu beglücken. Seltsamerweise sahen sich die drei Kinder meiner Oma, also Eva, Karl-Heinz und Manfred, selbst in den ganz jungen Jahren ihrer Kindheit, überhaupt nicht ähnlich. Als ich meine Oma einmal auf derartige Nichtigkeiten vorsichtig ansprach, sagte sie zu mir: „Tja, es war eben die schlechte Zeit,... also ist somit ein Kind vom Bäcker, ein Kind ist vom Schlachter und ein weiteres ist, vom: Damaligen „Gauleiter“ des Bezirks Harburg, höchst persönlich gezeugt worden.“ „Ach so, so, so ...,“ sagte ich still und leise, und erneut, zu mir. Dass die, - jene eben, gegebene Antwort Marias war ihre Eigenart mit Dingen, mit Erlebnissen, mit Tatsachen, eventuell sogar mit Lügen, direkt umzugehen. Na, ja nun... Aber am wichtigsten ist, trotz allem, sie überlebte den Krieg, mit drei kleinen Kindern, einem untreuen Ehemann, ständigen Hunger und Durst, und „trotz“ all der Angst in den Bunkern, wenn Tieffliegerangriff war, wenn die Alliierten Vergeltung übten, wenn es also unangenehm wurde. Erst in den Fünfzigern, als sich die allgemeine Armut langsam zu wandeln begann, führte sie mit ihrem Ehemann, - Alfons, ein offenes Gespräch, allerdings nur von ihrer Seite aus. Alfons wollte nämlich eigentlich „gar nichts“ wissen, von dem, was seine Ehefrau so trieb, so getrieben hatte, während der uns wohlbekannten „schlechten Zeit“ des zweiten Weltkrieges. Alfons nämlich, nutzte die fünfziger Jahre, als er auf Montage war, um Entgangenes, gnadenlos nachzuholen. Und das - also diese „Gnadenlosigkeit“, während meine Oma mit ihren drei, immer hungrigen Piepmätzen, die Wohnung hütete... Aber, in jener Zeit schaffte Alfons Geld heran, viel Geld sogar, und Maria verwaltete und haushaltete gut damit. Die Kupkas kamen zu Wohlstand, und gehörten bald schon zur oberen Schicht, in ihrem, leider immer noch, etwas sehr zerbombten Stadtteil - Hamburg/Harburg. Maria schuftete, unermüdlich, mit Hilfe von ein paar Aufputschtabletten, in der Reifenabteilung bei der Phönix. Gelegentlich, verbotenerweise sogar in zwei Schichten. Die Frauen wechselten sich, nach Absprache, untereinander, ab. Man bezahlte schwarz, diejenige, die einen vertreten hatte, Vertretungsgründe gab es damals, in der schlechten Zeit, viele. Man zahlte und man schwieg. So lief es auch bei Maria immer wieder mal ab. Und er, Alfons der Weltenbummler, überwies sein verdientes Geld, regelmäßig und zuverlässig, aus dem europäischen Ausland „direkt“ nach Hamburg/Harburg, damit die vier hungrigen Mäuler, ohne Sorge zu haben, leben konnten. Maria war damit einverstanden gewesen, mit dieser Art der Ehe die beide führten, sie hatte ihren Spaß, und sie genoss es, in ungeahnter, vielfältiger Weise. Alfons ging aber auch weiterhin, unbeeindruckt vom Verhalten seiner Frau, seine eigenen Wege. Jedoch aus welchem Grund er/sie so war/waren? Es bleibt auch hier ein Rätsel. Der Krieg hatte jeden Menschen irgendwie, nachhaltig verändert; auch Maria und ihre Rasselbande waren, indirekt, von der Veränderung der heimkehrenden Männer betroffen gewesen, also psychisch stark belastet. Aber Maria und Alfons trennten sich nicht, erst der dramatische Selbstmord von Alfons im Jahre 1965 beendete ihre, nicht immer ganz ehrliche Ehe - abrupt, und ohne großartige Vorankündigung... auch hier, bei dieser durchaus extremen Partnerschaft, hatten sich beide Charaktere, auf stumme Art und Weise, geeinigt. Nicht zuletzt der Kinder wegen. Schließlich sollte aus ihnen einmal etwas Besseres werden, sie sollten es einfacher im Leben haben, als Alfons und Maria es gehabt hatten. Die Wunden des Krieges hatten allerlei Hierarchiestörungen bewirkt, aber man wollte jetzt, „jetzt gerade“, auch innerhalb der Familie, demokratischer sein, sich mehr Freiheiten zugestehen, behutsamer miteinander umgehen, denn der Pulverdampf hatte sich noch nicht ganz verzogen. Es roch fast überall in den Straßen nach einem weiteren, also den zweiten, verlorenen Krieg in Folge, es roch nach völliger Zerstörung, aber es roch auch nach Neubeginn, nach ein bisschen Hoffnung. Trümmer und Geröll störten das einst so symmetrische, farbenfrohe, heimische, pflichtstrotzende, großdeutsche Stadtbild. Also, musste man wenigstens im Kleinen, im ganz privaten und intimen Bereich, so etwas wie einen Garten der Ruhe anlegen, mit einem Springbrunnen und einer Bank zum Sitzen, irgendwo auf dem gemeinnützigen Hinterhof der heimatlichen Lassallestraße in Harburg. „Es“ (die Idee) sprach sich herum, es war nämlich eine gute Idee, und alle packten sofort mit an, denn es sollte ein Gemeinschaftswerk werden, es sollte die neue demokratische Einheit verdeutlichen: Auf die man plötzlich soviel Wert legte. Selbst alte Streitereien, „in“ und „mit“ der empfindlichen Nachbarschaft von, „vor“ dem Krieg, gehörten von nun an, in das Reich der Legenden. Man grüßte sich sogar wieder freundlich, wenn man sich zufällig traf, beim Schlangestehen vor irgendeinem Einkaufsladen. Und man half sich gegenseitig so gut es ging. Das errungene und so lang entbehrte, demokratische Gemeinschaftsgefühl tat allen gut. Aber, viele sogenannte „Ausgebombte“, sowie die Rückkehrer, die einstigen Flüchtlinge, hatten fast alles verloren. Insbesondere ihren Glauben, ihr Vermögen, ihre Zuversicht, ihre Kraft. Und sie hatten darüber hinaus, einen großen Makel mit sich herumzuschleppen - den Tod, den sie einst bis zur Perfektion entwickelt hatten, den sie nun mitverantworten mussten, vor sich und vor anderen, und auch vor Gott. Von dem Tod selber aber, sprach man nicht mehr, denn der Tod, die Schuld, das Mitmachen, all das war Tabu, es wurde, vielleicht sogar verständlicherweise, kollektiv totgeschwiegen. Niemand hatte etwas gewusst oder geahnt, niemand fühlte sich wirklich mitverantwortlich, niemand dachte mehr an die jüngste, grausige und blutige Vergangenheit gerne, ohne Schönfärberei, zurück. Allerdings die KZ-Bilder, mit den Toten und den Überlebenden, schockierten bis aufs Entsetzlichste die große, breite Masse der Unwissenden. Sie, die unbestechlichen Zeitungsbilder, von einem unbekannten jüdischen, vor dem Krieg emigrierten, jetzt amerikanischen, national denkenden Soldaten und Fotografen, brannten sich auch in die Seelen derer ein, die dem nationalsozialistischen Regime bis zuletzt die Treue gehalten hatten. Obwohl sich meine Familie, wenn man schon mal drüber spricht, mütterlicherseits zumindest, diesbezüglich nichts vorzuwerfen hat. Väterlicherseits, die Stobbes, waren da bewusst ganz anders gelagert, denn sie solidarisierten sich zu dem Zeitpunkt der Reichstagswahl mit den neuen Machthabern aus Eigennutz, aus Angst, aus Neugier und Perspektivlosigkeit. Die Mutter meines Vaters, Minna, war eine glühende und überzeugte, leidenschaftliche NS-lerin gewesen. Ja, und die auffällige Hakenkreuzfahne hing, wann immer sie benötigt wurde, frisch gewaschen und gebügelt, aus dem Fenster in der Schorchstraße in Harburg, hinaus.