Jacques Varicourt

Parcours d`amour


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krank. Aber „er“ merkt es nur noch im Ansatz, er ignoriert es, weil er durch den Suff regelmäßig betäubt ist. Auch er ist Michael Jürf nicht unähnlich, Ingo würde mir wahrscheinlich recht geben. Ja, Krohm ist ein Schwachkopf durch und durch, er war jahrelang arbeitslos, mittellos, schmarotzend, hintertrieben und bettelte sich so durch den Tag. Immer wieder fielen ihm neue Argumente ein, um sich in der Gesellschaft nicht nützlich machen zu müssen. Faulheit, Desinteresse und Unfähigkeiten seinerseits, machten sein Leben zu einem Teufelskreis. Wohnungsverlust, hervorgerufen durch fehlende Mieteingänge beim Vermieter, ließen ihn zurück zur leiblichen Mutter kehren, die ihr Söhnchen (Krohm) offen in die beharrten Arme schloss. Doch auch seine Mutter konnte ihn nicht allzu lange ertragen. Wer kann das schon? Ist Krohm nur bescheuert? So musste er gehen. Unfreiwillig. Er lebte, nach diesem Zerwürfnis, unter anderem mit einem schwulen Boyfriend in Harburg-Heimfeld zusammen, „allerdings ohne auf die Wünsche des anderen, - des überzeugten Schwulen einzugehen,“ sagte Krohm einmal, mit einem Lächeln, welches mir, und vielen anderen, unvergessen blieb. Bäähh...

      Aber er ist darüber hinaus, ich meine trotz gewisser Ausrutscher mit dem gleichen Geschlecht, auch noch verheiratet - mit einer Frau. Seine Ehefrau ist eine imposante, von Fettleibigkeit gestrafte, fresssüchtige, aus einem Rubensbild entsprungene Riesengestalt, deren Zigarette nie ausgeht und die sich in ihrer Haut allem Anschein nach recht wohl fühlt. Sie hat sich im wahrsten Sinne des Wortes ein dickes Fell zugelegt, um die Eigentümlichkeiten ihres Gatten, auch langfristig gesehen, zu ertragen. Es ist schon merkwürdig, dass alle diese Weiber „rauchend“ den Tag bestreiten, verbringen, dahin gehen lassen. Ist die Zigarette vielleicht nur ein Penis-Ersatz, ein Blasen, ein Saugen, vielleicht eine unvermeidliche Tatsache, eine seltsame Art von frustrierter Lebensanschauung? Antworten darauf zerstreuen nur die eigenen Gedanken, also bleibe ich sachlich. Krohm passte, mehr als jeder andere in die warme, intrigante Ecke von Wilffs Bahnhofskneipe. Hier, und nur hier, herrschte, besonders am Freitagabend, eine Atmosphäre so wie es sie nur unter Männern gibt. St. Pauli z. B., in den dunkelsten Ecken überhaupt, lebt von solchen Besuchern. Und in der Mitte des homoerotischen Geschehens bei Wilff - Krohm. Prahlend, peinlich, maßlos übertreibend, schildert/schilderte er seine Tätigkeit bei der Firma „OBI“. Er ist dort im Grunde genommen nur eine Lageraushilfskraft, doch nach seinen, gelogenen, großkotzigen Erzählungen, ist er wesentlich mehr. Er ist der wichtigste Mann dort überhaupt, nach ihm kommt nur noch der liebe Gott, ja, ja... so ist das. Böse Zungen munkeln allerdings: „Krohm dürfe (bei OBI) lediglich die „Scheißhaustür“ für die Stammkundschaft aufhalten, was er auch gerne tut, denn er wird für diese Tätigkeit schließlich entlohnt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, obwohl das Geld ausschließlich für Alkohol und fettes Fleisch, für die Ehefrau, draufgeht. Randbemerkungen sind hier wohl unangebracht. Man denkt oder man schweigt. Wenn er (Krohm) manchmal am Tresen sitzt, sich unbeobachtet fühlt, und wenn sich sein defekter Augendeckel auf und nieder bewegt, dann ist auch er in einer anderen Welt. In einer Welt, wo Schwachsinn, Verwirrtheit, logische Denkunfähigkeit und Kraftmeierei sich einander gerne begegnen... und alles wird von einem warmen, schwülstigen Luftzug begleitet. Krohm der Möchtegern, der Oberspinner, war im Laufe der Zeit, zu einer tragischen Witzfigur geworden, zu der er sich selber hindirigiert hatte. Niemand mochte ihn, mit Ausnahme der Gleichgesinnten, der Gleichbeknackten - man wusste untereinander natürlich Bescheid, wie man mit dem anderen umzugehen hatte. Es war wie im Irrenhaus, wenn die Beknackten: Diane, Christiana, Barbara und allen voran Krohm, sich gegenseitig, in Hassgefühlen weideten, unnatürlich intensiv hochschaukelten, ich meine, immer dann, wenn mir Michael Jürf oder irgendjemand anderes ein Getränk ausgab. Dann gab es für die eben Aufgezählten kein Halten mehr, man wurde wahnsinnig, man wurde neidisch, man registrierte und man analysierte das ausgegebene Geld für das Getränk der dementsprechenden Person. Diane, Krohm, Christiana, sowie auch Barbara litten darunter. Neid, als auch, die damit verbundene Missgunst, steigerten sich ins Krankhafte, ins Unfassbare, ins grenzenlos Schizophrene, tief hinein. Nicht selten blickte ich in ihre: Diane, Christiana, Krohm und Barbaras aschfahlen, hässlichen, abstoßenden Gesichter. Im Innern lachte ich über sie, denn sie taten mir leid und das meine ich ganz ernst. Aber ich hatte hier wohl nichts mehr zu suchen, jedenfalls nicht nach 14 Uhr, denn dann war immer Schichtwechsel und das Schicksal nahm seinen Lauf. Schon das Erscheinen der bereits mehrfach Aufgezählten, veranlasste viele (Stammgäste) einfach zu gehen. Die Stimmung schwenkte dramatisch um, denn es wurde giftig, unrein, unheimlich. Würde es einmal zu einem Mord kommen - an einem unbekannten Fremden,... Krohm, Diane, Christiana sowie Barbara wären wohl die Hauptverdächtigen.

      Nun also endlich zu der bereits erwähnten Barbara. Sie ist ein kleiner, kurzhaariger, ebenfalls intriganter, geiziger, trivialer Giftzwerg, der den ganzen Tag darauf wartet, von irgendjemanden eingeladen zu werden (Getränke und Speisen sind gemeint), um so für sich selbst Geld zu sparen. Mit Mitte fünfzig ist sie auf der geistigen Ebene einer elektronischen, ferngesteuerten Spielzeugratte, und so in etwa ist auch ihr ganzes Verhalten. Sie ist ein Spion, welcher seine Ohren, wie zwei Antennen in alle Richtungen ausfährt, um immer auf dem neusten Stand der Dinge zu sein. Es darf ihr einfach nichts entgehen, sie würde sonst vor Neugier platzen und endgültig verrückt werden. Doch dann, wenn sie die neusten Gerüchte sowie Informationen, durch gezieltes Zuhören, durch professionelles Belauschen aufgesogen hat, dann hat ihre Stunde geschlagen. Sie winkt Diane, Christiana oder auch Krohm zu sich, und man überlegt gemeinsam, wie man mit den neusten Informationen am besten umgehen könnte, wie man den oder diejenige denunzieren könnte, nur so, ohne einen sinnvollen Grund. „Spaß an der Freud“ nennt man so etwas. Barbara ist wie eine Spinne, sie ist eine Schlange mit den Fähigkeiten einer Tarantel, die ihr großes Netz immer wieder nachbessert, immer wieder erweitert, immer wieder neu ausrichtet, um so Anerkennung von Krohm, Diane und Christiana zu ernten, weil ja nur das noch bei ihr funktioniert. Denn sie ist eigentlich schon längst tot, bei ihr hat sich der Geist sowie die damit verbundene Bildung vom gesunden Körper rasch, zügig, ohne Umschweife getrennt. Sie wird nicht mehr beachtet und eher gemieden von den normalen Besuchern. Ich weiß warum, aber ich füge dem nichts mehr hinzu. Denn Peinlichkeit lässt sich nicht steigern. Die Gemeinsamkeiten der „vier“ sind, ohne in Übertreibungen zu verfallen: beispiellos, extrem und aufeinander abgestimmt, man ist deshalb durchaus geneigt zu sagen: „Hier geht es mehr, als nur um eine Freundschaft unter Gleichgesinnten, andere Gefühle sind hier stetig am Wirken, dunkelste Urnaturen gehen Hand in Hand an der Schwelle zur kompletten Verdummung, zum Erkrankten, zum nicht Reparablen, auch der bereits erwähnte Michael Jürf weiß davon zu berichten, denn er teilte im Nachhinein ein fast identisches Schicksal. Nicht selten behauptete er: „Ich hätte ihm die Flasche Bier aus der Hand genommen, in der sich noch ein fingerbreiter Rest befunden habe, nur um ihn zu schikanieren und somit aus der Wohnung zu weisen, wenn er, bei mir, einen Sauftag verbracht hatte und dieser sich dem Ende neigte.“ Tags darauf erschien er dann, nachdem er fünf Tassen starken Kaffee getrunken hatte, zitternd, geistig umnachtet, aufgeregt und durchgedreht wieder bei mir, und schilderte mir in den unglaublichsten Geschichten seine Unzufriedenheit mit der Welt, mit seinen Nachbarn, seinen Eltern, seiner Mattigkeit, seinem Leid an dem „ich“ auch mit Schuld habe; er war zu bedauern, und er wollte Anteilnahme an seiner miserablen Situation erwecken, indem er sich der Winselei bediente. Lieber Gott, behüte mich davor, eines Tages genauso abzusacken, in moralischer, geistiger und sozialer Hinsicht wie diese, vorrangig genannten „vier“ apokalyptischen Miniteufel, die es versäumt haben etwas Gutes zu tun, da sie sich jenseits von dem eigentlichen Positiven befinden, und es nicht mehr schaffen dort hinauszukommen, weil sie schlicht und ergreifend zu blöd, zu unvollkommen, zu unreif sind. Mehr ist zu dieser seltsamen Clique wirklich nicht zu sagen. Es fällt mir nicht leicht über etwas weniger schwer Verdauliches zu berichten, bezüglich der Genannten, aber da es sich um die absolute Wahrheit handelt, wäre jede Schönfärberei von meiner Seite aus gesehen - gelogen. Und Lügerei ist für eine Satire, für eine Gesellschaftssatire, auf diesem Niveau, so wie ich sie verfasse und empfinde, alles andere als ehrlich. Wahrheit ist wie eine bittere Medizin die wirken muss, unverdaulich und scheußlich muss sie denen schmecken, die sie stets, und immer wieder gnadenlos missbrauchen. Mögen sie alle daran qualvoll ersticken. - Doch wende ich mich nun, einem meiner Halbfreunde, „Peter Pöda“, und einen, der eher seltenen Gäste, der eigenwilligen Bahnhofskneipe zu. Er gehört nicht in die warme Ecke, er ist zu intelligent, als dass er sich einspannen lassen würde von dem Quartett der Entbehrlichen. Peter, der mit seinen 191 cm, sowieso alles überragt, steht vielleicht aufgrund seiner