Chris Biller

GAUCHO


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Fünfzig und sie sah sehr attraktiv aus. Eine Frau die mit Leichtigkeit in der Lage war in ihrer zweiten Lebenshälfte noch immer den Männern die Köpfe zu verdrehen. Das Problem war nur dieses leicht penetrante Auftreten wie ein fetter Fischverkaufender Marktschreier auf einem Brüllfestival. Nicht das sie dem Äußeren einem so manchen entsprach, im Gegenteil. Wer wie sie, wie ein Zufluchtsuchender bei einem Bombenangriff durch die Gänge eines Krankenhauses raste, konnte keine unsportliche Figur haben. Aber sie hätte sicherlich mit ihrer tiefen Raucherstimme den ersten Platz gemacht.

      >>Na, wie haben wir geschlafen, haben wir etwas Angenehmes geträumt? <<

      Wieso wir? Haben wir? Woher sollte ich wissen ob Dora angenehme Träume hatte, wahrscheinlich eher Feuchte. Ich wusste ja noch nicht einmal von meinen.

      Einer der Gründe mit einem Patienten in der „Wir-Form“ zu sprechen ist der, ihm zu vermitteln, daß er nicht alleine mit seinem Problem ist. Das die Personen die sich um ihn kümmern, an seinen Leid teilhaben und für ihn sorgen.

      Ein anderer Grund ist das verblödete und verhätschelnde Getue von überkandidelten Schwestern, die ihre Patienten und deren Krankheiten oder gar Gebrechen nicht für voll nahmen aber auch besser nicht sollten.

      Fragen wie zum Beispiel: „Haben Wir uns verlaufen?“ in einer erhöhten albernen Tonlage, gleichstellend die einer überzogenen Henne. Das zu dem alten Mann der zwei Wochen nach einer Prostataoperation sich auf dem Gang nur die Beine vertreten wollte und die Fäuste ballt, aber nicht weil er Schmerzen hat.

      „Sind Wir wieder alleine zur Toilette gegangen, das sollen Wir doch nicht Frau Müller, oder?“ zu einer Frau, nicht einmal im Rentenalter, die nach einem Schlaganfall die Zeit vor dem Spiegel für sich selber braucht, um sich mit ihrem neuen Gesichtsausdruck abzufinden. Deren Gedanke in solch einen Moment eher „was weißt du denn schon“ ist.

      Schwester Dora passte nicht in dieses Schema. Gerade heraus vermochte sie zu sagen was sie dachte. Manches zwar überzogen dargestellt wie bei ihren Kolleginnen aber das Gefühl der geistigen Herabwertung blieb bei ihr aus.

      Sie redete viel mit mir und stellte Fragen während sie tätig herumlief. Die Antworten darauf, die ich ihr nicht geben konnte, gab sie sich gleich selber. Einige davon entsprachen zwar nicht ganz meiner Meinung, aber oftmals waren sie erstaunlicherweise deckend und das war sehr unterhaltsam.

      Manchmal, wenn sie nah genug bei mir stand, schwieg sie nach einer Frage für einen Moment und schien auf einer Regung von mir zu hoffen. Sie schaute mir dabei mit ihren saphirblauen Augen tief in die meinen, indem sie sich so weit wie möglich zu mir herunter beugte. Sie roch süßlich nach Flieder und ich spürte ihren warmen Atem. Wie sie ihn am Kinn vorbei bis zum Ende meines Halses hauchte und er sich dann am Saum meiner Bettdecke verteilte. Ihre Aufmerksamkeit galt der ausbleibenden Reaktion meines Gesichtes. Trotzdem war ich sicher, sie wusste um die Wahrscheinlichkeit dass ich sie hören konnte. Dann, wendete sie sich wieder ab und redete munter weiter.

      Ich war ihr Gesprächspartner beim Kaffeeklatsch ohne Kaffee. Die Plauderei beim Wäsche aufhängen ohne Wäsche. Wie ein Wasserfall plauderte sie sämtliche Dinge aus, während sie an mir herumzog, mich aus und anzog, pflegte und das Zimmer auf Vordermann brachte. Die urigsten Themen kamen zur Sprache, als hätte sie nur ein Opfer gesucht, dem sie alles unterbreiten konnte was sonst keiner hören wollte. Sie redete von sich und ihre Familie. Von ihrem Mann, der obwohl er im Gegensatz zu mir topfit war aber genauso wenig von sich gab. Ihre Nachbarin über ihr, die nachts immer ganz laut stöhnte und dabei mit einem undefinierbaren Gegenstand im Rhythmus gegen die Wand klopfte aber ganz alleine war. Die beste Freundin, mit der sie sich jeden Donnerstag im Parkcafe` zum Frühstück traf um andere zu beobachten und zu bewerten. Von den Kollegen im Krankenhaus und der Arbeitsmoral bis hin zu den Professoren, Doktoren und schließlich meinen Gesundheitszustand. Sie wusste alles und somit wusste ich auch alles! Sie war in dieser Zeit meine eigene private Nachrichtensprecherin und der indirekte Kontakt zur Außenwelt.

      Als ich das erste Mal bei der körperlichen Pflege durch Dora anwesend war, war ich auf das restliche Aussehen meiner selbst unterhalb der Bettdecke gespannt. In Vorbereitung dessen, erfuhr ich nebenbei dann endlich, wie die Tests die Doktor Lammers auf Anordnung von Professor Niehlan durchführen sollte, ausgefallen waren. Die Ergebnisse waren in aller Hinsicht negativ. Durch die langsame oder kaum stattfindende Regeneration des peripheren und vegetativen Nervensystems, sind äußerliche geringe Auffälligkeiten als belanglos einzustufen. Sie wären kein dringender Beweis für die bewusste Wahrnehmung des Patienten.

      Schönen Dank auch, das war doch super! Gern hätte ich mich dafür bei jemanden bedankt. Aber bei wem? Von allen Momenten die es gab, suchte sich dieser Knaller Lammers ganz offensichtlich genau den aus, in dem mein Körper sich auf Abwegen zum hellen Licht befand. Zur falschen Zeit am falschen Ort befanden wir uns also beide. Schwermütig nahm ich diesen unkorrekten Umstand zur Kenntnis und hatte keine andere Wahl, als auf die nächste Gelegenheit zu hoffen meine Existenz als solches unter Beweis zu stellen.

      Dora erzählte unter anderem das Doktor Lammers auch den Leuten vom BKA über die Testergebnisse berichtete. Er machte denen wenige Hoffnungen dass in absehbarer Zeit überhaupt irgendwelche Vernehmungen durchgeführt werden könnten. Die ließen sich jedoch nicht davon abhalten und beharrten darauf, sich weiterhin alle drei Tage über mein Wohlbefinden zu erkundigen. Die Befragungen wären schließlich von äußerster Notwendigkeit und obliegen höchster Priorität.

      Ich fragte mich was bei dem Hergang meines Unfalls noch im Unklaren sein sollte. Vor allem verstand ich nicht, was das BKA damit zu tun hatte. Was wollten die von mir?

      >>Ja mein lieber Tony, du scheinst eine ziemlich große Nummer für die Jungs vom BKA zu sein. Ich bin jetzt seit mehr als dreißig Jahren Krankenschwester und habe so manche Dinge erleben dürfen, aber was für ein Wirbel um deine Person gemacht wird, das ist Phantastisch! Du hast sogar deine eigenen Leibwächter. Alle drei Stunden wechseln sie sich ab, um dann mit einem dummen Gesicht vor deiner Tür herumzusitzen.

      Ich sage dir Tony, da sind manchmal Typen bei, denen würde ich an der Garderobe im Tanzlokal nicht einmal meinen Schal anvertrauen. Die haben auch keine Uniform an, nur ein Ausweisschild auf der linken Brust damit man sie von gewöhnlichen Verbrechern unterscheiden kann. Komische Leute! <<

      Sie war ständig in Bewegung, rannte um das Bett, zupfte und zog das Laken mit mir zu Recht. Schnaubend in der Hast ihrer Tätigkeit leicht nach Worten schnappend, brachte sie sich, aufgeregt über all das was sie durch mich bisher erlebte, immer mehr in Fahrt.

      >>Nur ausgesuchtes Personal darf diesen Raum betreten und alles was wir mit hineinbringen wollen, und sei es nur ein Putzlappen, wird vorerst akribisch genau untersucht. Wir wurden vorher gründlich durchleuchtet und mussten einige Fragen aus unserem persönlichen Umfeld beantworten. Kein Wort über deinem Aufenthalt nach draußen, das mussten wir denen schriftlich versichern.

      Ach Tony, wenn du doch nur ein kleines bisschen sprechen oder zumindest etwas schreiben könntest. Du hast ja keine Ahnung wie verrückt mich das macht. Jeden Tag dieses Ungewisse und dieser Trubel um deine Person. Was hat das alles nur zu bedeuten? Ich frage mich jeden tag was so verflucht wichtig sein kann, das ein Mensch so behütet werden muss. Bist vielleicht am Ende noch ein Kronzeuge, wie? <<

      Dora tippste mir mit ihrem Zeigefinger auf meine noch vorhandene Nasenspitze und grinste mich liebevoll an.

      Leibwächter und sogar Kronzeuge? Ich konnte mir nicht vorstellen dass sie mir irgendwelche Geschichten erzählte um mich bei Laune zu halten. Genauso wenig konnte ich mir vorstellen dass das wegen dieser Sache war. Mir war klar, wenn das tatsächlich stimmte, wenn ich hier im Krankenhaus unter Polizeischutz stand, dann nur weil sie über alles Bescheid wussten. Aber woher?

      Ich muss zugeben es war ein wenig naiv, zu glauben aus der Sache ganz locker wieder heraus zu kommen. Keiner hatte am Anfang damit gerechnet dass dieser Trip durch die Unterwelt solche Ausmaße annimmt. Denn hätten wir vorher in unserer Dummheit geahnt mit wem wir es tatsächlich zu tun haben, wir hätten die Finger davon gelassen.

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