Chris Biller

GAUCHO


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jemals erfahren?

      Ich lag also da mit mir im Wissenskonflikt, wie es wohl um mich und der Anzahl meiner Körperteile stehen könnte.

      Sämtliche Geräte in allen Größen und Formen standen um mein Bett herum und jedes von ihnen machte andere Geräusche. Tropfständer, Sauerstoffsättigungsapparatur, Monitore und sogar ein Defibrillator rundete diese großzügige Ansammlung von Pharmaschrott ab. Um mich herum war alles derart mit diesem Zeug dichtgemüllt, das selbst wenn ich hätte aufstehen können, ich nicht von der Stelle gekommen wäre. Selbst der nur indirekte Blick zum einzigen Fenster war fast verbaut worden.

      Mich erinnerte das an Bilder die ich aus Filmen oder Reportagen kannte, bei denen ich derjenige war der am lautesten rief:„Schalte die Geräte aus, der merkt doch eh nichts mehr!“

      Ich habe mir nie die Frage gestellt, was denn mein Wille wäre, wenn ich eines Tages so liegen würde. Maschinell am Leben gehalten, mit oder gegen den eigenen Willen ohne Einfluss, weil das Gesetz es so vorschreibt. Wer denkt schon an einer Patientenverfügung um Lebenserhaltende Maßnahmen zu untersagen? Die Wenigsten!

      Jetzt lag ich also da in der Hoffnung dass ich nicht selbst den Gedanken bekomme, das mich Irgendwer von meinen Leiden erlöst und den Stecker zieht. Es würde sich nämlich nichts ändern. Wie ich mich auch entscheiden würde, nach der unvermeidlichen Offenbarung meines restlichen Seins, es würde kein Ende finden.

      Sie würden weiter machen die Professoren und Doktoren mit der vom Pflichtgefühl umwogenden Zielstrebigkeit nach Erhaltung eines Lebens und der Suche nach neuen medizinischen Errungenschaften. Wer kennt das nicht, das wissenschaftliche Experiment mit der langbeinigen Spinne.

      Man reiße ihr nach und nach ein Bein heraus und dokumentiert, wann sie wohl mit dem Laufen aufhören würde. Gut, man würde mir hier keine Körperteile herausreißen, sofern überhaupt welche vorhanden waren. Aber davonkommen lässt mich auch keiner. Mir blieb also nichts anderes übrig, als zu warten. Warten auf die Dinge, die da kommen.

      Ich studierte den Raum akribisch um mein Sichtfeld perfekt auszubauen. Ich musste die Abstände zu den Gegenständen die sich im Raum befanden durch meine parabolische Sichtweise neu einschätzen. Das stellte sich als nicht ganz einfach heraus. Rechts von mir war also das einzige Fenster durch das ich einige eng zusammenstehende Baumkronen erkennen konnte. Die meisten Blätter die noch hingen waren schon gelb. Mir wurde klar wie lange ich nicht bei Bewusstsein war. Demnach hatten wir Herbst und wenn es nicht Jahre waren die ich nicht bei Sinnen war, wovon ich ausging, dann mussten es mindestens über zwei Monate gewesen sein.

      Links neben den Baumkronen war ein freies Stück mit dem Blick zum Himmel der an jenem Tag meines Er-wachens strahlend blau war. Die Sonne schien mit herrlicher Kraft und einem schon fast gellenden Strahl in mein Krankenzimmer herein. Ein goldener Oktobertag wie er schöner nicht sein konnte. Ich machte mir durch diesen Eindruck für einen Augenblick Illusionen. Gerade zu euphorisch fing ich an mich auf die nächste Tour mit meinem Bock zu freuen. Die Sonne, die Straßen, die Cafes und die Mädels. Ich verspürte dieses Gefühl etwas zu verpassen in dieser Gefangenheit. Ich wollte frei sein und zwar so wie ich es immer war. Hätte mich Jemand hören können aus meiner offensichtlichen ausweglosen Lage mit dem Wissen wodurch diese letztendlich zu Stande kam, ich glaube man hätte mich aufgrund meiner Unbelehrtheit auf der Stelle erschlagen. Es hörte mich aber keiner und so reichte ein Blick zum Strahler über mir, der mich aufs härteste wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Ein Blick genügte nach solch gedanklichen Ausschweifungen um eine psychische Keule zurück in die Realität zu bekommen. Es war grauenhaft ernüchternd, sehen zu müssen dass es vorbei war. Wie lange ich auch so leben würde, niemals käme mein altes Leben wieder in Betracht.

      An dieser Stelle sei zu erwähnen, dass dies kein Selbstmitleid sein sollte, im Gegenteil. Ich versuchte der Lage Herr zu werden um mich damit zu arrangieren. Ich verabscheute Menschen die sich jeden Tag vor anderen selber runter machten um deren Mitleid zu erzwingen. Menschen die nur darauf warteten dass man sie bedauert und umarmt. Für mich war das eine Art von ADS, Aufmerksamkeits-Defizits-Syndrom.

      Wenn sie ihr Ziel dann erreicht hatten, fingen sie an noch schlimmer zu werden. Das war auch der einzige Grund warum ich über meine Bewusstlosigkeit, was das anging, positiv dachte. Ich wollte gar nicht wissen wer oder was mich in der ersten Phase nach meiner Einlieferung alles schon besucht hatte. Wer auf mich herab sah und vor lauter Mitleid das Heulen anfing. Es hätte die Sache für mich nur noch verschlimmert. Sie hätten dazu beigetragen meinen Zustand unerträglich zu machen. Es gab meine Vergangenheit, die derzeitige Gegenwart und die leicht kalkulierende Zukunft an der ich mich stets zu erinnern zwang. Denn die war Fakt.

      Auf der anderen Seite im Zimmer befand sich in einem aus furniertem hell orange farbenden Holz die große und breite Zimmertür. Daneben das Nachtlicht für die Schwester und ein leuchtender Druckknopf um sie bei Bedarf zu holen. Die Wände waren in einem leichten gelb gehalten und der kleine Schrank für die persönlichen Sachen neben dem Bett war hellgrün. Es machte alles zusammen irgendwie einen frischen Eindruck. Als ob man darauf sehr bedacht war dass die Patienten sich wohl fühlten. Ein Einzelzimmer in der Nähe einer wunderschönen Parklandschaft ohne Seeblick aber mit Homeservice und mobilen Wellniesbereich.

      Das einzige was fehlte war eine Uhr und ein Kalender, denn ich fühlte mich zeitlich komplett desorientiert. Hatte nicht gerade Dr.Lammers nach der Morgenvisite diesen Raum verlassen, schien es im nächsten Augenblick kurz vor Anfang der Dämmerung zu sein. Für mich kamen zunächst nur zwei Möglichkeiten in Frage. Entweder nahmen die Ärzte das mit der Visite nicht ganz so genau, indem sie ihren Rundgang durch die Zimmer auch mal am späten Nachmittag absolvierten. Oder ich hatte Blackouts, die mich unkontrolliert wegtreten und nach unbestimmter Zeit wieder wach werden ließen. Die letztere These, eher ohne Ernsthaftigkeit von mir aufgestellt, bestätigte sich Erschreckenderweise durch die Antwort, die ich mir im gleichen Augenblick, jedoch mit einem Zeitsprung zur Mitte der Nacht, selbst darauf geben konnte.

      Ich durfte also die Option „Blackouts“ einloggen. Nun stellten sich die nächsten Fragen. Wie lange dauerte einer dieser Zustände an und kann ich das irgendwie kontrollieren?

      War jene Nacht diejenige von dem Tag zuvor oder befand ich mich schon in der übernächsten Nacht? Sind die durchzuführenden Tests die Professor Niehlan angewiesen hatte schon erledigt worden, oder finden sie noch statt? Wenn ja, wie waren sie ausgefallen?

      Das hatte mir zu meinem Glück noch gefehlt. Ich war der Einzige der wusste, wann ich bei Sinnen war aber ich hatte keinen Einfluss darauf wann. Befand ich mich im Wachzustand änderte es nichts daran, dass ich weiterhin zeitlos war. Nachfragen konnte ich nicht und ein Grund mich zu informieren bestand ebenfalls nicht.

      Der Zufall entschied also darüber wann und ob ich ganze Tagesabläufe mitbekam oder nur Minuten. Wenn überhaupt. Informationen über wichtige Ereignisse mich betreffend, waren so sicher wie der Hauptgewinn an einer Losbude auf dem Jahrmarkt.

      Was für ein unerträgliches Desaster. Ich hätte mir am liebsten vor Wut selber eins in die Fresse gehauen. Aber ich wusste ja noch nicht einmal ob ich eine Hand dafür hatte. Dieser physische und nach außen hin komaähnliche Zustand reichte also nicht. Nein!

      Für mich durfte es wie so oft ein wenig mehr sein und somit hatte ich die tollsten Aussetzer als Nachtisch. Als ungewollter Zeitreisender bewegte ich mich unkontrolliert durch die 4. Dimension und fand mich in verschiedensten Situationen wieder. Einige stellten mich auf die Probe oder forderten mich mental heraus. Andere hätten für mich sogar im gesunden Leben bereichernde Auswirkungen gehabt.

      >>Guten Mooorgen Tony! Es ist ein wunderschöner Herbstmorgen und heute ist Waschtag. Das heißt wir machen uns nackiiig. <<

      Ich weiß nicht ob ich komatös oder in einer Schlafphase war, als die liebe Schwester Dora bei meiner ersten Begegnung mit ihr, ihre war es offensichtlich nicht, mit vollem Elan die Zimmertür derartig aufschlug, als ob sie daraus eine Drehtür machen wollte. Es schepperte so laut das man wach werden mußte und mit ihrem Organ hätte sie sogar die alten Inkas aus ihren Gräbern schreien können. Die Tatsache, dass sich der Ort an dem wir uns beide aufhielten, den meisten die erforderliche Ruhe zur groben Genesung verschaffen sollte, war für sie anscheinend