Charlie Meyer

Mörderische Schifffahrt


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an ihrem Zopf herum.

      Fred öffnete den Mund zu einer geharnischten Strafpredigt – und schloss ihn wieder. Für geharnischte Strafpredigten war er eindeutig nicht in Stimmung. Zu viele Taubenfedern im Kopf.

      »Was gibt’s bei dir Neues im Fall Hep... Hepple...?«, fragte er matt und deutete eine Kopfbewegung in Alices Richtung an.

      »Frau Heppelweit-Nieberg? Nichts Neues an der Front. Keine Mordpläne, keine Mordanschläge, keine Morde. Nur Liebesgeflüster und das höchstwahrscheinlich auch dort, wo unser Richtmikrofon gegen Wände stößt. Ich meine wortwörtlich gegen Wände stößt. Wenn es in den nächsten Tagen keine eindeutigeren Hinweise auf ein Komplott gegen meine Klientin gibt, sollte ich abbrechen, sonst wird die ganze Sache unseriös.« Alice trank einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. »Bah, was für ein Zeug.« Eine Detektivin, die sowohl zu dusselig war, eine Digitalkamera zu bedienen als auch trinkbaren Kaffee zu kochen, war unbestritten das i-Tüpfelchen in dieser miesen Detektei. Reichten nicht schon ein unfähiger Chef und paranoide Kundschaft aus? Alice war sich ziemlich sicher, dass irgendetwas bei Freds nächtlicher Überwachung schief gelaufen war, sie spürte es förmlich, sobald sie ihn ansah. Es könnte sogar sein, dass sie dieses schiefgelaufene Etwas am nächsten Morgen in der Zeitung würde nachlesen dürfen.

      »Und wie war’s bei dir heut Nacht, Cousin Fred? Ich hoffe, es kam keine Langeweile auf, und alle Täubchen erfreuen sich bester Gesundheit.« Sie lächelte.

      Fred verzog das Gesicht. »Die beiden, die überlebt haben, ja, danke der Nachfrage. Ein paar werden noch vermisst, der Großteil wurde begraben und flattert in den Ewigen Fluggründen herum. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, aber die Polizei geht davon aus, dass etwas wie ein Fuchs in den Taubenschlag eingedrungen ist. Er schlug rasend schnell zu. Keine Chance für mich, das Massaker zu verhindern.« Er log. Sowohl Karolus Breuer als auch seine beiden Nachbarn rechts und links beschworen in seltener Einigkeit, eine Katze und keinen Fuchs, Dachs oder sonstigen Räuber gesehen zu haben. Das würde voraussichtlich morgen früh in der Zeitung stehen. Vierundzwanzig Stunden, sich gegen Alices Gelächter zu wappnen. Es sei denn, ihm fiel ein, wie er das Unheil abwenden konnte.

      »Ein Fuchs?«, rief Alice in gespielter Überraschung. »Und ich hatte schon Angst, es könnte ein Kater gewesen sein. Ein gewisser verschwundener Kater, dessen Namen ich nicht nennen möchte.«

      In diesem Moment klingelte eins der Telefone im Büro. Während Melanie und Fred gleichzeitig aufsprangen und ein Wettrennen veranstalteten, blieb Alice in aller Ruhe sitzen und schüttelte grinsend den Kopf. War es nicht herrlich, als Einzige in dieser Detektei ein gutes Gewissen und alles im Griff zu haben, auch wenn ihre eigene Observierung ebenfalls für die Katz war?

      Sie lehnte sich behaglich zurück und überlegte, mit wem sie in zwei oder drei Jahren ihre eigene Detektei aufziehen konnte. Vielleicht Romeo als Sekretär im Empfangszimmer? Ein Fingerschnippen, und er brachte ihr den Kaffee, zwei Mal schnippen, und er schloss die Tür ab und war ihr in anderer Sache zudiensten.

      Nach zwei oder drei Minuten fiel ihr auf, dass sich die Atmosphäre drüben im Büro verändert hatte. Es war Freds Telefon gewesen, das geklingelt hatte, und er telefonierte noch immer, während Melanie kerzengerade auf ihrem Schreibtischstuhl saß und nicht einmal so tat, als höre sie weg. Im Gegenteil, sie starrte Fred an und ihr Mund stand offen. Drüben knisterte es förmlich vor Spannung. Alice erhob sich mit der geschmeidigen Bewegung eines Tigers, zupfte automatisch die weiße kurzärmelige Bluse über der grünen Stoffhose in Form und war mit zwei schnellen Schritten am Durchgang. Sie lehnte sich gegen eine der beiden Halbsäulen und hörte ebenfalls zu.

      »Nein, Frau Müller, selbstverständlich wollte ich damit nicht ausdrücken, unsere Detektei sei nicht kompetent genug, einen Mord aufzuklären. Wir sind ein Team fundiert ausgebildeter Ermittler und werden Ihnen selbstverständlich mit all unseren Kräften zur Verfügung stehen, sollte dies Ihr Wunsch sein. Ich ...« Er unterbrach sich und lauschte. Als er Alices höhnisches Grinsen sah und ihr gewispertes Ein Team fundiert ausgebildeter Ermittler? hörte, drehte er ihr mit unwilliger Geste den Rücken zu. Alice lachte, während Melanie, den Finger auf den Lippen, ihr ein empörtes Pssst! entgegenzischte. Gott, was für ein Kindergarten.

      »Sehen Sie, Frau Müller, der Mord an Ihrem Freund steht noch nicht einmal in der heutigen Ausgabe der Dewezet. Das könnte natürlich darin begründet liegen, dass die Polizei bereits auf einer brandheißen Spur ist, und die Information aus diesem Grund zurückhält. Vielleicht sollten Sie einfach noch mal zwei Tage abwarten ... Wie bitte?« Er lauschte erneut. »Ach, um Himmels willen, Frau Müller, missverstehen Sie mich doch nicht. Natürlich nimmt die Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden Aufträge an, und was könnte für uns reizvoller sein, als eine Morduntersuchung, aber ... aha ... aber ja doch ... aha ... äh ... zweihundert Euro pro Tag. Spesen werden gesondert abgerechnet. Ja natürlich, ich setze sofort den Vertrag auf. Wäre Ihnen zehn Uhr morgen früh für die Unterschrift recht?« Fred Roderich blies die Backen auf und ließ langsam die Luft entweichen, während er behutsam den Hörer auf die Gabel legte.

      »Wow!«, hauchte Melanie. »War das wirklich die Freundin des toten Rattenfängers?«

      Fred nahm die Brille ab und wischte sich müde über die Augen. »Jepp! So wie’s aussieht, haben wir einen neuen Job.«

      »Das wundert mich«, stellte Alice ein wenig spitz fest, doch ihr war die Aufregung von den Augen abzulesen. »Du hast schließlich alles dafür getan, die Sache zu vermasseln. Das war die klassische Demonstration von Antiwerbung. Um Himmels willen, nehmen Sie bloß nicht uns Versager, sie schmeißen Ihr Geld zum Fenster raus. Wenden Sie sich an die Bullen, die Bullen werden das Kind schon schaukeln. Stellst du deine Mitarbeiter nur gern als Dumpfbacken hin oder willst du die Detektei in den Ruin treiben?«

      Wenn ich dich damit loswerde, durchaus eine überdenkenswerte Alternative, dachte Fred Roderich und widerstand der Versuchung, den Kopf auf die Arme zu legen und den verpassten Schlaf am Schreibtisch nachzuholen. Tatsächlich war es so, dass der Auftrag zu keinem schlechteren Zeitpunkt hätte kommen können. Er konnte vor Übermüdung keinen klaren Gedanken fassen, er fürchtete sich vor einer Auseinandersetzung mit Axel, und eigentlich hatte Alice sogar recht. Sie waren Versager, und zwar allesamt. Alice schaffte es nicht, bei ihrer Observierung ein einziges Gespräch aufzunehmen, das länger als zehn Sekunden dauerte. Ständig standen ihrem Richtmikrofon Hausmauern oder eiserne Jachtrümpfe im Weg. Melanie knipste Fotos ohne Akku und fühlte sich einem Kerl solidarisch, der an Verfolgungswahn litt. Wahrscheinlich das Nightingale-Syndrom. Und er? Wie sollte er sich oder anderen Kater Hamlet im Taubenschlag erklären?

      Er sah schon die Schlagzeilen in der Zeitung: Dreiste Abzocke der Hamelner Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden an der armen Witwe des Rattenfängers. Leb wohl, Detektei, dachte er wehmütig. War schön, dich gehabt zu haben. Gott half bestimmt keinem schwulen Atheisten aus der Patsche, aber vielleicht konnte Mellie für sie alle ein Gebet sprechen. Das Kreuz zwischen ihren Brüsten unter dem Rollkragenpullover schien ihm größer als die Brüste selbst.

      Fred Roderich seufzte. »Patrizia Müller engagiert uns genau für zehn Tage, soweit reichen voraussichtlich ihre Ersparnisse. Wenn wir den Mord innerhalb dieser Zeit nicht aufgeklärt haben, finden wir uns garantiert als Negativschlagzeile in der Dewezet wieder.«

      »Wovon du ausgehst«, spottete Alice.

      »Wovon ich ausgehe«, antwortete Fred mit Grabesstimme und schob die rutschende Brille zurück auf die Nasenwurzel. »Was meinst du dazu, Melanie?«

      Mellie murmelte Unverständliches. Klar, diese Mordgeschichte war natürlich spannend für die Detektei, ein Prestigeobjekt. Aus der Distanz betrachtet. Aber Fred und Alice dachten hoffentlich nicht ernsthaft daran, sie in ihre Mördersuche mit einzubinden. Oder doch? Sie fühlte sich bereits bei Herrn Claus und seinen Geistern überfordert. Ihr Interesse, einen Mörder zu jagen, lag bei unter null. Mörder mordeten, und sie war auch ohne eine so offensichtliche Bedrohung nicht sicher, die Zeit in der Detektei unbeschadet zu überstehen. O nein, sie würde allen Beteiligten die Daumen drücken und sie anfeuern, gern auch aus der ersten Reihe, doch den Schritt auf die Bühne tat sie mit Sicherheit nicht.

      »Zehn Tage nur, und wir dürfen