Charlie Meyer

Mörderische Schifffahrt


Скачать книгу

Regen nach draußen und riss Kofferraum- und Motorhaube auf. Der Kater war verschwunden.

      Das Haus des Taubenzüchters leuchtete mittlerweile wie ein Tannenbaum während der Bescherung, und auch in den Nachbarhäusern erstrahlte ein Fenster nach dem anderen. Aufgebrachte Stimmen schwirrten durch die Nacht. Panische, hysterische und böse Stimmen. Angstvolle Stimmen. Jemand schrie, eine Frau weinte.

      Fred Roderich umklammerte das Lenkrad, und es fiel ihm schwer zu atmen, während Hamlet den Taubenbestand dezimierte. Was sollte er tun? Was konnte er tun? Er konnte schlecht zum Taubenschlag laufen und sagen: O Entschuldigung, mir ist eben der Kater meines schwulen Freundes Axel entlaufen. Sie haben ihn nicht zufällig gesehen? Fred stöhnte. Irgendwann war er in dieser Nacht in einem Albtraum gelandet, aus dem es kein Erwachen gab. Er musste etwas tun. Er musste handeln. Gleich. Sofort!

      Fred ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken und spielte mit dem Gedanken loszuheulen.

      Als wütende Fäuste auf das Dach des Saab trommelten, wusste er, es war zu spät, irgendetwas zu tun. Sein Klient kam, sich zu beschweren.

      Scheiße.

      7

      »Wie ist es bei dir gelaufen?« Fred Roderich sah blass aus, übernächtigt, mit schwarzen Ringen unter den Augen, und er fühlte sich noch viel schlimmer als er aussah. Die Ellenbogen auf dem Tisch, stützte er seinen Kopf mit beiden Händen. Was für eine fürchterliche Nacht!

      Es war zehn Uhr am Morgen. Die Mitarbeiter der Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden saßen um den großen Walnussholz-Esstisch von Roderichs Großeltern, der in seinen Glanzzeiten unter gefüllten Fasanen in Trüffelsoße und mit Cognac flambierten Rehrücken zusammenzubrechen drohte. Er stand nach wie vor an seinem alten Platz im ehemaligen Esszimmer von Oma und Opa Roderich, nur war das Esszimmer mittlerweile Besprechungsraum und durch einen von zwei Halbsäulen flankierten Rundbogen vom Büro getrennt. An der Wand, wo das Sideboard aus Walnussholz gestanden hatte, hatte Fred Herd und Spüle einbauen lassen, womit der Besprechungsraum gleichzeitig auch als Küche fungierte. Die eigentliche Küche war hinten im Privattrakt der Etage, den Fred und Axel bewohnten.

      Heute trug der große Tisch nicht mehr als die leichte Last dreier Handys und zweier Ellenbogen sowie Freds Kopf.

      Melanie von Rhoden fuhr mit der Zeigefingerkuppe die Maserung nach. »Was?«

      »Wie es bei dir gelaufen ist, möchte ich wissen«, wiederholte Fred stirnrunzelnd.

      »Ganz gut«, murmelte sie, ohne aufzusehen.

      »Ist der Kunde zufrieden?«

      »Denke schon.«

      Fred verdrehte die Augen, Alice stöhnte übertrieben.

      »Geht’s ein bisschen genauer?«, fragte er genervt. Das fehlte ihm gerade noch, eine Mitarbeiterin, die sich wie ein pubertierendes Gör jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen ließ. Vielleicht war ihre Einstellung ein wenig überstürzt vonstattengegangen. Schließlich verdankte sie ihren Job lediglich seinem Stress mit Alice. Er musste unbedingt versuchen, seine Launen in den Griff zu bekommen.

      »Okay. Klar doch. Also – ich bin dem Klienten kreuz und quer durch Hameln gefolgt, und zweimal hatte ich tatsächlich das Gefühl, er wird verfolgt. Außer von mir, meine ich. Das erste Mal war es ein Radfahrer ganz am Anfang. In der Salamanderstraße.« Sie sah noch immer nicht auf. »Das zweite Mal in der Innenstadt ein Fußgänger. Die Osterstraße hinunter bis zum ECE. Aber sicher bin ich mir nicht, es könnte auch Zufall gewesen sein. Der Radfahrer verschwand nach zwei Minuten schon wieder, und den Fußgänger habe ich im Kaufhaus aus den Augen verloren.«

      »Verzettle dich bloß nicht«, sagte Alice und gab sich keine Mühe, ihre Skepsis zu verbergen. »Niemand folgt deinem Typen, schon gar nicht ein ausgeklügeltes Netzwerk mit einer vierundzwanzig Stunden währenden Rundumüberwachung. Du sollst ihn von seiner Paranoia befreien und sie weder verstärken noch dich von ihr anstecken lassen. Denk immer dran: Es ist eine Hilfe meine Nachbarn bestrahlen mich Geschichte, wie du ganz richtig gesagt hast, und davon hat sich bis dato mit Sicherheit keine als wahr erwiesen.« Die Morgensonne, die durchs Küchenfenster schielte, ließ ihre roten Locken förmlich glühen. Man glaubte, das Feuer knistern zu hören. »Nimm ihm einfach die Angst, auf der Straße verfolgt zu werden, und der Rest seiner Paranoia legt sich von selbst. So etwas nennt man höhere Psychologie. Du folgst ihm fünf Tage, dann knöpfst du ihm tausend Euro dafür ab, dass er von nun an wieder ruhig schlafen kann, weil da niemand ist, der ihm etwas Böses will. Die beiden angeblichen Verfolger heute waren bestimmt nur Zufall. Dein Klient wird dir glauben, gerade weil er für diese Info viel Geld gezahlt hat.«

      Melanie schob die Unterlippe vor und ging dazu über, das Ende ihres dicken braunen Zopfes zwischen den Fingern zu drehen. Sie trug wie üblich einen flauschigen Rollkragenpullover zu einem karierten Faltenrock, beides in warmen, beruhigenden Erdfarben. »Was, wenn ihm doch jemand folgt?« Was, wenn Fred dich gleich nach den Fotos fragt?

      »Es fällt mir schwer, es zuzugeben, aber Alice hat recht«, meinte Fred seufzend. »Du verrennst dich.« Er kratzte sich im Nacken und schob seine rutschende Brille mit den eckigen Gläsern auf die Nasenwurzel zurück.

      »Wer sagt das?«, murmelte Melanie mürrisch.

      »Ich, und zwar in meiner Eigenschaft als dein Chef und desjenigen, der die größere Erfahrung hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass dein Herr Claus tatsächlich verfolgt wird, ist zwar verschwindend gering, liegt aber nichtsdestotrotz im Bereich des Denkbaren. Ein auf ihn fixierter Spinner, ein verliebter Fan, was weiß ich. Aber mehrere Verfolger an einem Tag? Eine organisierte Vierundzwanzigstundenüberwachung und dann noch diese Bestrahlungsgeschichte? Also wirklich, ich bitte dich. Solche Dinge geschehen einfach nicht.« Während er sprach, versuchte Fred verzweifelt, den mordenden Kater im Taubenschlag auszublenden. Solche Dinge geschehen einfach nicht. Hamlet war im allgemeinen Tohuwabohu entkommen, dafür fuhr jetzt Axel mit einer Stinklaune Hamelns Straßen ab und suchte nach seinem Baby. Statt sich dafür zu entschuldigen – oder zumindest davon zu distanzieren - wie dieses Mistvieh von Kater in der Nacht Freds Auftrag sabotiert hatte, gab Axel Fred die Schuld. Und wie bitte soll Hamlet in den Saab gekommen sein, wenn ihm nicht jemand die Tür aufgeschlossen hat? Eine mittlere Beziehungskrise bahnte sich an, und Fred fühlte sich momentan nicht stark genug, sie einfach auszusitzen.

      »Hast du Fotos geschossen?«

      Mellie errötete und nuschelte etwas Unverständliches.

      »Wie bitte?« Fred hielt sich die Hand hinters Ohr.

      »Ich wollte, aber der Akku war leer.«

      Niemand sagte etwas. Ärgerlich, aber ein typischer Anfängerfehler. Früher waren es volle Filme, heute im Zeitalter der Digitalkameras leere Akkus. Die Welt änderte sich, das Resultat blieb das Gleiche.

      »Schlechte Arbeit«, kommentierte Fred nach einer Weile halbherzig, während vor seinem geistigen Auge blutige Taubenfedern durch die Luft wirbelten. Statt die massakrierten Tauben zu bedauern, fürchtete Axel einzig und allein um Hamlets Gesundheit. Vogelgrippe, ein Knöchelchen, quer im Schlund stecken geblieben, Federflusen in der Lunge. Sollte Hamlet wieder auftauchen, was Fred aus ganzem Herzen nicht hoffte, würde sich der Kater zwei Minuten später in einer Tierarztpraxis in der CT-Röhre wiederfinden, während ihm fleißige Helferchen Blut und Urin abzapften und ihn gegen dreißig Ansteckungen gleichzeitig impften.

      »Setzt du die Überwachung heute fort?«, fragte er ohne großes Interesse.

      Mellie zuckte die Achseln. »Heute Nachmittag vielleicht.«

      »Was heißt vielleicht? Hat er dich weiter mit dem Fall beauftragt oder nicht?«

      »Er war ein wenig eingeschnappt. Ich meine, wegen der Kamera und dem leeren Akku. Bei der Sache mit dem Radfahrer in der Salamanderstraße konnte ich ihn hinhalten, aber dann, nachmittags, als ihm der Typ in der Osterstraße folgte, bestand er darauf, die Fotos sehen. Klar, dass er erst einmal sauer war und sich ein bisschen ...« Sie stockte und suchte nach Worten.

      »Verarscht