Charlie Meyer

Mörderische Schifffahrt


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mal abgesehen. Axels Beschimpfungen gipfelten in den Worten arroganter Scheißkerl, der seinen Arsch nicht hochkriegt, während Fred ihn eine Schlampe schimpfte, die auf seine Kosten lebte und zum Beweis für die Schlampe Axels müffelnde Socken unter dem Sofa hervorfischte. Alles in allem sehr unerfreulich.

      Woraufhin Fred sein Kopfkissen vom Futon holte und im Gästezimmer nächtigte, nicht ohne sich wütend zu fragen, warum er auszog und nicht Axel. Schließlich war es sein Haus, seine Wohnung und sein Futon.

      Es lag wohl daran, dass sein Gewaltpotenzial längst nicht so ausgeprägt war wie Axels und er den Zeitpunkt ausgesprochen ungünstig fand, sich ein blaues Auge oder eine gebrochene Nase einzuhandeln. Es reichte, dass ihn der Lauf der Zeit auf natürliche Weise verschandelte.

      Vielleicht sollte er als mittelfristiges Ziel seiner Beziehungskiste eine behutsame Trennung anvisieren. So behutsam, dass niemand, vor allem er selbst nicht, körperlichen Schaden nahm.

      Mit Sicherheit war dies auch der erste und letzte Mordfall, den die Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden untersuchte. Mittlerweile war er mehr als zufrieden mit seinem sozialen Status in der Stadt, und ihm lag nichts daran, zum Gespött der Hamelner zu werden. Es gab eine Zeitung in der Stadt, und diese Zeitung veröffentlichte einmal im Monat seine Werbeanzeige, und das reichte ihm voll und ganz. Er legte keinen Wert darauf, seinen Namen in reißerischen Leitartikeln zu lesen.

      Privat wie beruflich wollte er seine Ruhe haben, daher ging ihm der Fall des toten Rattenfängers quer die Kehle runter und lag ihm wie ein Stein im Magen.

      Absolut unverdaulich.

      Fred stieg auf dem Krankenhausparkplatz in den Saab, steckte vor der geschlossenen Schranke den Parkschein in den Automaten und wartete ungeduldig darauf, dass sie sich öffnete. Auf dem Rückweg in die Klütstraße zog er das Resümee des heutigen Morgens. Zwanzig Euro für die Information, dass der Rattenfänger tot war, drei Euro Parkgebühren. Na toll. Außer Spesen nichts gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes.

      9

      »Hofbräuhaus«, entgegnete Alice Hupe und ihre schulterlangen roten Locken sprühten Feuer. »In München.«

      »München? O ja, klar, das Hofbräuhaus steht natürlich in München.«

      »Nicht unbedingt«, stellte Alice mit einem kleinen Lächeln richtig. »Es gibt unter anderem auch in Berlin, Nürnberg, Hamburg und Dresden Hofbräuhäuser, außerdem mit Sicherheit das eine oder andere in den USA und Australien.«

      Die Personalchefin der Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen bemühte sich vergeblich um einen neutralen Gesichtsausdruck, während über ihrem Büro auf Gleis 2 mit quietschenden Bremsen der Intercity aus Hildesheim hielt und die Deckenlampe an ihrer Strippe ins Pendeln geriet. Die Frau vor ihr, groß, schlank, gut aussehend und geschmackvoll gekleidet, bewarb sich um einen Job als Servicekraft auf dem Fahrgastschiff Libelle. Für acht Euro die Stunde. Sie kam freiwillig und war keineswegs vom Jobcenter zwangsexpediert. Zu allem Überfluss aber hatte sie, nach eigenen Angaben, lange Jahre im Hofbräuhaus in München gekellnert. Die Personalchefin konnte es kaum fassen, und da sie befürchtete, diese morgendliche Luftblase könnte einfach so zerplatzen, wenn sie ihrer Begeisterung offen Ausdruck verlieh, versuchte sie krampfhaft ihre Züge im Zaum zu halten.

      Zwei vom Amt geschickte Bewerber hatten sich bereits am Vortag vorgestellt. Eine Frau in einem ausgebeulten Trainingsanzug und ein Kerl, der während des Bewerbungsgesprächs auf seinem Stuhl kleiner und kleiner wurde, bis sie glaubte, ihre Lupe aus der Schreibtischschublade holen zu müssen. Selbst geschnittene Haare alle beide und Turnschuhe an den Füßen. Sie hatte sie mit dem Überlandbus zu Jansen nach Holzminden geschickt. Offiziell, damit sie auf der Nixe einen Probetag absolvierten, inoffiziell, damit Jansen sie am Hals hatte und nicht sie.

      Für Hameln hielt sie nach einem anderen Kaliber Ausschau und die Chancen, es gerade eben gefunden zu haben, standen nicht schlecht. Diese Frau hier, diese Alice Hupe, die ihr mit übergeschlagenen Beinen völlig entspannt gegenübersaß und nicht nur perfekt gekleidet war, sondern auch das ausstrahlte, was den anderen Servicekräften fehlte – Kompetenz -, diese Frau war der Traum einer jeden Personalchefin. Es gab da nur ein klitzekleines Problem: Eddie, Chris, Inga und die Aushilfen auf der Libelle würden sie ablehnen. Die Aushilfen konnte sie austricksen, in dem sie sie in den nächsten Wochen auf der Libelle einfach nicht einsetzte. Höchstens für die Charterfahrten. Aber das Problem blieb die Stammbesetzung. Inga, das durfte sie keineswegs unterschätzen, hatte diesen besonderen Draht zum Chef, der ihr persönlich schon lange ein Dorn im Auge war. Man munkelte so einiges. Inga würde die Neue als Konkurrenz ansehen und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Bei Eddie und Chris waren die Probleme ein wenig anders gelagert. Die erste Zeit würden sie um die Neue wie verliebte Gockel herumtänzeln und sie erst dann ablehnen, wenn sie merkten, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die mit Nautikern in die Koje hüpfte, bloß weil er eine Uniform mit Schulterklappen trugen. Sie konnte nur hoffen, dass die Neue diese Hürde mit viel Diplomatie umschiffte.

      Nein, das Schiffsvolk stand selbstbewussten, gut aussehenden und teuer gekleideten Servicekräften, die überdies auch noch belehrend auftraten (siehe Hofbräuhäuser) und alle in Grund und Boden kellnerten, eher skeptisch gegenüber.

      Die Personalchefin nicht. Ihr Ziel war es seit ihrer Einstellung zwei Jahre zuvor, auf den Schiffen einen Fünfsterneservice zu schaffen, und selbst, wenn sie von den fünf Sternen ein bis zwei als allzu optimistisch ansah, brauchte sie doch personell gesehen geeignetes Material. Wie diese Neue hier. Sie seufzte. Eigentlich, und das war das Fatale an der ganzen Geschichte, verrichtete sie ihren Job eher widerstrebend und brachte für die Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen nicht wesentlich mehr Interesse auf als für die sonntäglichen Aufführungen der Rattenfängersage auf der Hochzeitshausterrasse.

      Sie hatte in Hamburg Theaterwissenschaften studiert und bis zuletzt gehofft, die ausgeschriebene Stelle als Intendantin des Hamelner Theaters zu ergattern. Leider hatte sich die Stadt für jemanden mit zwanzigjähriger Intendantinnen-Erfahrung entschlossen und nicht für eine Einunddreißigjährige Newcomerin. So war sie der Not gehorchend erst als Servicekraft auf dem Glühwürmchen gelandet, dann vom Schiffsvolk ins Büro abgeschoben worden und schließlich eines Morgens auf demselben Stuhl aufgewacht, auf dem der alte Personalchef verstorben war. Der Schlag hatte ihn getroffen, was sie bei dem ganzen Ärger mit dem Personal nicht weiter verwunderte. Mitunter träumte sie von dem Einsatz einer mentalen Transformationsmaschine: vorn marschierten all diese eigenwilligen Persönlichkeiten hinein, mit denen sie sich tagtäglich abplagte, und hinten heraus kamen willige, freundlich lächelnde Kolleginnen und Kollegen in adretter Uniform, die ihr aufs Wort gehorchten.

      Seit zwei Jahren redete sie sich ein, eine Bühnenshow zu inszenieren, sobald sie früh um sieben die Bürotür aufschloss, und in der Tat gab es zwischen Theater und Firma keine gravierenden Unterschiede. Hüben wie drüben hing der Erfolg der Inszenierung vom Können und den Launen der Mitwirkenden ab, und hier wie da beurteilte das Publikum das Stück. In der letzten Saison war der Ordner Beschwerden dermaßen aus den Nähten geplatzt, dass sie einen zweiten Ordner hatte anlegen müssen. Im Binnenschifffahrt-Katastrophengesetz gehörte die Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen mit Fug und Recht auf Platz eins der Gefahrenliste. Schon vor der diesjährigen Saison war es zu einer Beinahe-Katastrophe gekommen, als Eddie und Chris mit der Libelle den Tündernanleger aus dem Hamelner Hafen schleppten, um ihn an seinem rechtmäßigen Platz unterhalb der Holländischen Windmühle zu vertäuen, und sich der Ponton losriss. Was heißt losriss? Irgendwo im unkontrollierten Arbeitsablauf gab es ein Kuddelmuddel helfender Hände, und die starke Flussströmung nahm sich des plötzlich herrenlosen Pontons an und trug ihn in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Zumindest ein Stück weit, die Hälfte des Weges ungefähr. Bevor ihn zwei mutige Mitarbeiter des DRLG mit Hakenstöcken einfangen konnten, riss er etlichen Anglern die Ruten aus den Händen und brachte ein Schlauchboot zum Kentern. Nur eine der vielen Katastrophen, die sich alljährlich in Jansens Schifffahrtsgesellschaft häuften. Es war, als läge ein Fluch auf der Firma.

      Die Sache mit der Schleuse hatte sich in der letzten Saison ereignet. Natürlich war es ein Fehler des Schleusenwärters