Charlie Meyer

Mörderische Schifffahrt


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Autos die ganze Nacht in Hameln unterwegs gewesen und hatten Kater Hamlet gesucht. Vergeblich natürlich, aber für Fred war es die zweite schlaflose Nacht in Folge gewesen. Den Kater hatte Axel erst am Morgen im Alleingang gefunden.

      »Jetzt mach’ aber halblang, auch wenn du mein Chef bist. Stille Wasser mögen ja tief sein, aber ein Genie? Unsere Mellie im karierten Faltenrock?« Alice versuchte, spöttisch zu lachen, aber auch dies misslang. Dabei hatte ihr Tag durchaus triumphal begonnen. Eine begeisterte Personalchefin, ein sabbernder Chef, und in weniger als einer Stunde trat sie auf der Libelle ihren Dienst als Servicekraft an. Zwei Rundfahrten zum Eingewöhnen und morgen dann den ganzen Tag. Beginn: acht Uhr im Hafen.

      »Im Normalfall sitzt unter einem Faltenrock etwas Gefühlsbetonteres als ein Gehirn. Ich hatte mal einen Schotten als Freund, und da ...« Fred klappte abrupt den Mund wieder zu. Die Übermüdung, sagte er sich, sonst nichts. Nur keine Panik. Alles im grünen Bereich.

      Alice betrachtete ihn aufmerksam, und er merkte förmlich, wie sich ihr erschüttertes Ego wieder festigte. Er fand es zwar schade, dass das Erdbeben keine Zehn auf der Richterskala gewesen war, aber es hatte für kurze Zeit funktioniert, und wenn er, Fred, es für nötig befand, konnte er jederzeit ein neues auslösen. Er war der Chef!

      »Schlecht geschlafen?«

      »Nein«, log er. »Ganz prima. Um diese Jahreszeit bin ich immer ein wenig müde. Die Frühjahrsmüdigkeit nach dem Winterschlaf. Schwer in die Gänge zu kommen nach der faulen Bärenhaut.«

      »Tja, das muss wohl das Alter sein. Ich dachte schon, du und Axel, ihr hättet euch die Nacht auf der Suche nach dem Kater um die Ohren geschlagen.« Sie lächelte schon wieder. Zumindest versuchte sie es. Am liebsten hätte sie ihren Revolver aus ihrer Wohnung am Hammelstein geholt oder Freds Magnum aus dem Handschuhfach des Sportwagens, auf seine Nasenwurzel gezielt und gefragt: Wer, sagtest du, ist der Boss in diesem Laden? Wieso zum Teufel, fragte sie sich plötzlich, lässt du eigentlich die Pistole zu Hause in der Nachttischschublade, wenn du in einem Mordfall ermittelst?

      »Hamlet? Ach wo, aber der ist übrigens auch wieder da. Axel hat ihn aus einem Dachsbau oben am Klüt gefischt. Ein wenig lädiert zwar und mit weniger Fell als vorher, weil der Dachs wohl etwas gegen die Einquartierung hatte, aber bleibende Schäden scheint er nicht davongetragen zu haben.« Leider, fügte er in Gedanken hinzu, und spürte es pochen in der tiefen Furche von Hamlets Kralle auf seiner Wade. Ob er für das Ertränken eines unberechenbaren Katers wohl Bewährung bekam? Nein, die Frage musste anders lauten: Ob Axel wohl Bewährung bekam, wenn er, Fred, den Kater ertränkte und Axel ihn als Schuldigen lokalisierte. Kaum wieder zu Hause, hatte Hamlet sich auf dem weißen Teppichboden im Wohnzimmer erbrochen. Jede Menge blutiger Taubenfedern.

      »Es stand heute Morgen übrigens in der Zeitung«, sagte sie langsam.

      »Der Mord am Rattenfänger? Es wundert mich ...«, setzte Fred an, wurde aber brüsk unterbrochen.

      »Das Massaker an den Tauben, und wenn man dem Züchter und all den anderen Zeugen glauben darf, hat eine Katze im Schlag gewildert, kein Fuchs. Oder sollte ich sagen ein Kater?« Jetzt lächelte sie wirklich. Wie schön, das es das Schwert der Rache gab und wie aufmerksam von ihrem Boss Fred, ihr den Schaft persönlich in die Hand zu drücken.

      Fred erstarrte, aber nur eine Sekunde lang, dann entspannte sich sein Körper wieder. Diesmal war er es, der lächelte, auch wenn ihm eher elend zumute war. »Oh, aber die Sache hat sich aufgeklärt. Es war tatsächlich eine Katze, die in den Taubenschlag eingedrungen ist. Eine wildernde Katze aus den Feldern. Einen Tag nach dem Desaster bin ich noch einmal rausgefahren, habe ihre Spuren auf der nassen Erde verfolgt und das Mistvieh tatsächlich gefunden. Keine hundert Meter weit entfernt, mitten auf der Straße zwischen den beiden Kleingartenkolonien. Tot. Ein Auto hat sie erwischt.« Er hatte dem Taubenzüchter am nächsten Morgen tatsächlich eine überfahrene Katze frei Haus geliefert, allerdings eine, die er rein zufällig auf der anderen Weserseite gefunden hatte. Im Industriegebiet zwischen der Puddingpulverfabrik Vogeley und der Mewa, als er auf dem Weg zum Baumarkt war, eine neue Steckdose besorgen. Hamlet holte alles aus der Wand, was mit weniger als drei Schrauben befestigt war. Freds große Hoffnung bestand darin, dass es eines schönen Tages einen gewaltigen Kurzschluss gab, und die Wohnung nach verbrannter Katze stank.

      Alice überlegte eine Weile. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Fred mit einer großen Lupe in der Hand gebückt über die Felder rannte, immer den Pfotenspuren nach, und schüttelte den Kopf. Es musste eine andere tote Katze gewesen sein, die er zufällig gefunden hatte, nur würde sie ihm das ebenso wenig nachweisen können wie der Taubenzüchter. Zwei zu null für ihren Chef. Kein guter Tag für die Rache. Sie sollte sich wieder angewöhnen, morgens ihr Horoskop zu lesen.

      »Okay«, sagte sie ernüchtert. »Kommen wir wieder zum Geschäftlichen. Würdest du mich – bitte – über den Inhalt eurer Besprechung mit dieser Patrizia Müller in Kenntnis setzen. Ich hoffe zumindest, dass mein Gehirn scharfsinnig genug ist, all die scheinbar unbedeutenden Einzelheiten analytisch denkend in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Wollen wir uns setzen? Gibt es Kaffee? In einer Stunde muss ich auf dem Schiff sein, denn, während ihr hier Klönschnack gehalten habt, habe ich mir einen neuen und sehr lukrativen Job gesucht.«

      Einen kleinen, heiklen Moment lang stutzte Fred, dann begriff er trotz seiner Übermüdung und rang sich Worte ab, die ihm aus dem Herzen gekommen wären, wenn er sie an jemand anderen hätte richten können. »Super! Tolle Arbeit. Die Detektei ist stolz auf dich. Jetzt musst du nur noch den Mörder überführen, dann sind wir aus dem Schneider. Also, um auf die Besprechung zurückzukommen. Der Rattenfänger Dickie Blume hieß mit vollständigem Namen Benediktus Blumenthal-Sowieso und war zweiunddreißig Jahre alt. So, wie es sich anhörte, war er nicht eben der freundliche Junge von nebenan. Nett war er zu denen, die ihn hofierten und unnett zu jenen, die dies eben nicht taten. Er ...«

      »Unnett? Was ist das denn für ein Wort? Neue deutsche Wortschöpfung?«

      »So in etwa. Unnett ist der Ausdruck, den Patrizia Müller exklusiv für ihren toten Freund kreierte. Er stellte Menschen bloß, die ihm nicht die nötige Aufmerksamkeit zollten. Was nun mögliche Motive für den Mord betreffen: Blumenthal war spielsüchtig, sowohl privat als auch bei den Banken hoch verschuldet, hatte aber schon private Insolvenz angemeldet, sodass wir dort wohl kaum das Motiv finden werden. Er war arrogant seinen Mitmenschen gegenüber und ein Träumer, der sich eine Karriere erhoffte, ohne etwas dafür zu tun.«

      Alice runzelte die Stirn und besah sich kritisch das belegte Brötchen aus der Metzgerei. Leberkäse? Sie hatte Parmaschinken, nicht Leberkäse gesagt. Igitt. »Ein Motiv hätte mir vollkommen gereicht. Danke der Nachfrage«, sagte sie leicht geistesabwesend, während sich ihr Magen entschieden verknotete. Für Leberkäse Zutritt verboten.

      »Er wollte Musiker werden. Klarinettist bei den Berliner Symphonikern, aber er übte nicht. Er träumte eben nur. Spielsüchtig war er in Bezug auf einarmige Banditen, und deshalb, beziehungsweise aus dem Grund, weil er wegen versuchtem Diebstahl vor Gericht kam, musste er bei Pik-As, einer Selbsthilfegruppe, antreten und lernte Frau Müller kennen.«

      »Okay. Jetzt das Ganze noch mal in allen Einzelheiten. Zur Belohnung schenke ich dir anschließend mein Leberkäsebrötchen.«

      Fred Roderich schilderte ihr alle Einzelheiten, soweit sie sich in seinem übermüdeten Hirn verfangen hatten, und Alice lauschte mit wachsendem Interesse. Dann aß Fred das Leberkäsebrötchen und hörte zu, wie Alices Magen knurrte.

      »Du solltest was essen, bevor du deinen Dienscht antrittscht«, mümmelte er.

      »Wirklich witzig!« Alice war bereits damit beschäftigt, ihre SMS zu lesen. Zwei stammten von Romeo Ich liebe dich unsagbar und Warum antwortest du mir nicht. Sie verdrehte die Augen, der Kerl fing an, ihr langsam auf die Nerven zu gehen. Vor eineinhalb Stunden erst war sie von zu Hause aufgebrochen, ihn im Bett zurücklassend, wo er friedlich vor sich hinschnarchte. Kaum war er wach, fing er an sie mit seinen SMS zu traktieren. Wo bist du? Warum kommst du nicht? Wer war der Kerl, mit dem ich dich in der Stadt gesehen habe? Verlass mich nicht, sonst hänge ich mich auf und so weiter und so fort. Er ließ keine Peinlichkeit aus, und mehr als einmal hatte sich Alice gewünscht,