Charlie Meyer

Mörderische Schifffahrt


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schicken würden?«, fragte sie.

      »Natürlich haben sie ihn namentlich angefordert«, entgegnete Patrizia Müller verschnupft. Der magische Augenblick von vor wenigen Minuten war vorbei.

      »Woher wissen Sie das?«

      »Melanie!«

      »Na woher wohl?«

      »Dickie hat es Ihnen erzählt+«, mutmaßte Mellie mit gesenktem Kopf.

      »Ein Ausbund an Scharfsinnigkeit. Wie ich schon sagte.« Patrizia Müller runzelte die Stirn und schien einen spontanen Entschluss zu fassen. Abrupt erhob sie sich. »Ich bin müde und werde gehen. Aber ich werde mich zu Hause hinzusetzen und noch einmal über all diese Fragen nachzudenken. Ich melde mich. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, was Sie wissen möchten, rufen Sie an, ich verlass mich auf Sie. Mein Dickie war ein guter Kerl, er hat niemandem etwas zuleide getan. Wenn Sie den Mörder finden, den Menschen, der ihm das angetan hat, dann werde ich dafür sorgen, dass meinem Dickie Gerechtigkeit widerfährt. Finden Sie ihn für mich. Bitte!« Sie wandte sich schluchzend zur Tür.

      »Eine letzte Frage, ja?« Mellie stand auf und ging um den Tisch herum. »Sie sagten, Dickie sei hoch verschuldet gewesen. Bei wem? Bei Privatpersonen oder einer Bank?«

      Patrizia blickte über die Schulter zurück. Tränen liefen ihr über das Gesicht. »Sowohl als auch«, schluchzte sie, »aber wir von Pik-As haben dafür gesorgt, dass er private Insolvenz anmeldete und seine Gläubiger Ruhe gaben. Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. In ein paar Jahren wäre er alle Schulden los gewesen.«

      »Wie hoch beliefen sich die Schulden?«

      »Einhundertdreiundzwanzig Tausend, alles in allem. Finden Sie den Scheißkerl! Auf Wiedersehen.«

      Ein leises Knarren in seinem Rücken ließ Fred Roderich herumfahren. Axel stand auf der Schwelle der Zwischentür zum Wohnbereich. Er hielt ein regloses Fellbündel mit verkrustetem Fell in den Armen, und der Blick, den er Fred zuwarf, konnte nicht anders als hasserfüllt interpretiert werden.

      »O mein Gott«, entfuhr es Fred erschrocken.

      Patrizia Müller, auf halbem Weg zur Tür, fing an zu summen.

      11

      »Ich hätte dabei sein müssen!«, brüllte Alice wutentbrannt. »Ich habe die Leiche aus dem Wasser gezogen, ich habe mich als Servicekraft bei diesem gut aussehenden Arsch beworben, Ich recherchiere auf den Schiffen. Wie konntet ihr die wichtigste Befragung in diesem Mordfall auf einen Zeitpunkt legen, an dem ich nicht im Büro bin? Ihr wusstest doch, dass ich um zehn das Vorstellungsgespräch hatte.«

      Fred gab sich genervt, obgleich er am liebsten so breit gegrinst hätte, wie es die Anatomie seines Gesichtes gestattete. Wie schön, einen so verkümmerten Ehrgeiz sein eigen zu nennen. Eine Achillessehne weniger, an der er verletzlich war.

      »Zehn Uhr wurde nun mal vereinbart und um zehn Uhr stand Frau Müller auf der Matte, um den Vertrag zu unterschreiben. Sie war da, und der Rest, sprich die Befragung, hat sich naturgemäß daraus ergeben. Aus ihrer körperlichen Anwesenheit, meine ich. Schließlich konnte ich nicht sagen: Danke für Ihre Unterschrift, aber kommen Sie bitte noch einmal in zwei Stunden vorbei, wenn meine Kollegin ebenfalls Zeit für sie hat. Sie hätte eventuell noch die eine oder andere Frage an Sie.«

      »Warum nicht?«, brüllte Alice mit hochrotem Kopf. »Wir sind ein Team. Ich habe ein Recht darauf, dabei zu sein, wenn in der Detektei eine dermaßen wichtige Besprechung stattfindet.«

      Fred blickte an die Decke und dachte an Kater Hamlets stümperhaften Versuch, sich tot zu stellen. Er dachte an Axels Gebrüll, und wie er, Fred, ganz sacht die Tür hinter sich zugemacht hatte. Er dachte daran, wie ihn Axel durch das Holz weiter angebrüllt hatte. Durch seine Tür, in seiner Wohnung, in seinem Haus, auf seinem Grundstück. Eingeweicht hatte Axel den Kater dann in seiner Badewanne, mit seinem Shampoo, in seinem Badezimmer.

      »Du standest bei dem Telefonat gestern ganz in meiner Nähe, als ich den Termin mit Frau Müller vereinbart habe. Wenn du zu dusselig bist, deine Lauscher aufzusperren, bist du hier fehl am Platz. Dieses Büro lebt unter anderem davon, dass jeder alles mitkriegt, damit im Notfall jeder überall einspringen kann. Und außerdem«, redete er mit gelinder Verzweiflung weiter und fuhr sich mit beiden Händen durch die strubbeligen Haare, »bin ich hier der Chef, und ich bestimme, wer an welchen Besprechungen teilnimmt oder nicht. Sollte dir meine Vorgehensweise nicht passen, steht es dir frei zu kündigen. Im Vertrag stehen vierzehn Tage Kündigungsfrist. Für normale Verhältnisse, sprich, der Angestellten passt die Nase des Chefs nicht mehr oder dem Chef missfällt die Pfuscharbeit der Angestellten. Wenn aber die Angestellte in anmaßender Weise den Chef anbrüllt, steht es dem Chef selbstredend frei, nämliche Angestellte auf der Stelle zu feuern.« Wow, das tat gut, auch wenn ihn in der zweiten Hälfte seiner Litanei plötzliche Angst überfiel. Was, wenn sie wirklich kündigte? Normalerweise wäre es ihm natürlich zu jeder Zeit mehr als nur recht gewesen, aber den Mord am Rattenfänger aufzuklären, fiel nicht unter normale Zeiten. Andererseits hatte er dann einen guten Grund, den Auftrag zu canceln. Personeller Engpass, Frau Müller, ihre ach so mutige Mitarbeiterin hat uns Knall auf Fall verlassen. Tut mir wahnsinnig leid.

      Alice starrte ihn mit offenem Mund an, brüllte aber nicht mehr. Die Röte ihres Gesichtes verflüchtigte sich, und ihre Haut wurde blasser als normal. »Das meinst du nicht ernst«, flüsterte sie fassungslos.

      »Doch, tue ich. Ich habe nichts dagegen, wenn du deine Termine verschiebst, um an meinen teilnehmen zu können, aber erwarte diese Rücksicht bitte nicht von mir, deinem Chef. Von der Mitarbeiterseite her hat Melanie die Detektei vertreten. Übrigens ausgesprochen würdig.«

      »Melanie?«

      »Melanie! Frau Müller war von deiner Kollegin begeistert.«

      »Wovon? Der Art, wie sie sich nicht traut, einem in die Augen zu sehen?« Alices Stimme kickste nach oben weg. Sie konnte nicht glauben, was sie hörte, und da war etwas tief in ihrem Inneren, das ihr dringend riet, alles, was gesagt wurde, schleunigst zu vergessen.

      »Von ihrem messerscharfen Verstand. Von ihrer Fähigkeit zum analytischen Denken.« Fred gab sich alle Mühe nicht zu triumphieren. Die Schlacht war vorbei. Er überließ es Alice, die Leichen zu begraben.

      »Melanie?«

      »Melanie von Rhoden, das ist korrekt.«

      Alice blickte sich suchend um. »Wo ist sie eigentlich? Hat sie mit ihrem messerscharfen Verstand dermaßen analytisch gedacht, dass sie den Mordfall längst geknackt hat? Ist sie unterwegs den Mörder zu verhaften, oder steht sie in diesem Moment auf dem Siegerpodest und lässt sich den Lorbeerkranz auf ihr weises Haupt drücken?« Hohn und Spott glückten ihr nicht ganz, wie sie verärgert merkte. Freds Rede hatte Spuren hinterlassen und sie verunsichert. Wo nahm der Kerl nur die Dreistigkeit her, so mit ihr zu sprechen. Sie sollte tatsächlich auf der Stelle kündigen. Bei ihrem Aussehen fand sich doch jederzeit ein neuer Job. Eigentlich hatte sie sogar schon einen. Den bei der Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen. Für acht Euro die Stunde.

      »Hajo Claus hat sich wieder gemeldet, und Mellie ist als Geisterjägerin auf Achse.« Jetzt grinste er doch.

      »Mit vollem Akku?«

      »Der Akku ist voll, ja. Möchtest du dich selbst davon überzeugen?« Fred Roderich deutete auf die Ablage neben dem Gasherd. Dort hing noch immer der Akku am Strom, und ein grüner Lichtpunkt zeigte an, dass er zu hundert Prozent aufgeladen war.

      »Oh Mann.« Alice fühlte sich sofort um Längen besser. Wenn Melanie wieder Geister jagte, blieb für sie die Mörderjagd, und logisch denken konnte sie allemal besser als diese graue Maus im Faltenrock. »Die Kamera hat sie aber mitgenommen?«

      »Wird sie wohl, zumindest liegt sie hier nirgends rum. Einstein soll übrigens auch so ein Chaot gewesen sein. Es heißt, die meisten Genies versagen bei ihren täglichen Verrichtungen, aber ich bin mir unsicher, ob es sich dabei nicht nur um einen Spruch der Neider handelt.« Fred gähnte