Dietmar Kottisch

Der Totenflüsterer


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sein Teesortiment unterbreiten wollte. Die Vertreter gaben sich manches Mal die Türklinke in die Hand, um ins Geschäft zu kommen, denn Pauls Qualitäten und Teemischungen galten als die besten.

      „Mein Name ist Dietrich Holänder, so wie der Holländer, nur mit einem L“, er unterbrach sich und ließ den Bruchteil einer Sekunde vergehen, damit sich der Name in Pauls Gedächtnis festsetzen konnte. „Ich bin Professor der Physik an der UNI Frankfurt. Und Sie sind in einem Tonbandstimmenverein. Und darum geht es mir.“

      „Aha!“ Leute, die sich für die Stimmen interessierten, waren ihm immer willkommen. Und wenn sogar einer von der Fakultät zu ihm kam, um so besser. Nach seinem >Aha< wartete er auf die Fortsetzung.

      „Ich möchte nicht allzu sehr Ihre Zeit am Telefon in Anspruch nehmen, bin aber an diesem Phänomen interessiert. Deshalb frage ich an, ob wir uns einmal treffen könnten.“

      Er kam gleich zur Sache.

      „Gerne. Und wann und wo dachten Sie?“

      „Ich möchte Sie entscheiden lassen, denn ich will auch an einem Experiment teilnehmen.“ „Sie möchten an einer Einspielung teilnehmen?“

      „Ja, auch.“

      Paul überlegte. „Geben Sie mir Ihre Telefonnummer und ich rufe Sie zurück, in Ordnung?“ „Natürlich.“ Er gab ihm die Nummer seines Büros und auch seine private Telefonnummer daheim. Er wohnte in Frankfurt am Main. Als sie aufgelegt hatten, rief Paul Klara an.

      „ Gerade hat ein Professor der Physik bei mir angerufen. Er möchte an einer Einspielung teilnehmen und sich mit mir über dieses Phänomen unterhalten. Ich würde ihn für heute Abend zu uns einladen, und würde mit ihm Einspielungen machen, wäre das für dich o.k.?“

      Er wollte Klara mit einbeziehen, da sie jetzt sowieso Interesse an der Sache hatte.

      „Von mir aus, Paul. Wir haben nichts vor heute Abend. Und wann soll er kommen?“

      „Ich bin gegen acht daheim, also halb neun.“

      Sie war mit der Uhrzeit gegen halb neun einverstanden. Ein Physikprofessor, überlegte sie, ist einer von den exakten Wissenschaften, die im Allgemeinen von paranormalen Erscheinungen nicht viel hielten. Insofern hatte sie schon ein wenig Bedenken. Aber es war Pauls Entscheidung.

      Paul rief den Professor zurück und vereinbarte das Treffen gegen halb neun Uhr abends.

      Gegen acht Uhr kam Paul heim. Sie begrüßten sich, er duschte, aß eine Kleinigkeit und begab sich in sein Arbeitszimmer. Klara folgte ihm. „Du weißt, dass so ein Mensch ein Skeptiker ist, Schatz.“

      „Natürlich. Aber wenn wir Einspielungen machen und er würde die Stimmen hören, soll er sich äußern, ich bin bereit.“

      Das glaub ich, dachte sie, ging in die Küche und begann Tee zu kochen für diesen Abend.

      „Vorausgesetzt, dass es funktioniert,“ rief sie von der Küche aus.

      „Es wird schon……“ Er wusste, dass es nicht immer funktionierte, dass er Abende vor seinem Tonband saß und keine Stimmen bekam.

      Punkt halb neun hörten sie draußen einen Wagen vorfahren. Klara ging zum Küchenfenster. Er stieg aus einem Renault aus.

      „Er kommt.“

      Dietrich Holänder war ein mittelgroßer Mann. Er hatte einen sympathischen Blick aus seinen dunklen Augen, sein schütteres Haar war nach hinten gekämmt, sein Händedruck war ungewöhnlich fest, Paul zuckte fast schmerzhaft zusammen. Klara nahm seinen Trenchcoat ab und hängte ihn auf einen Bügel in der Gardarobe. Sie gingen zuerst ins Wohnzimmer und sie bot ihm Tee an. „Ich hoffe, dass sie Tee trinken, weil wir keinen Kaffee im Haus haben.“

      „Aber sehr gerne. Ich konnte mir schon denken, dass es in einem Teehaushalt kaum Kaffee gibt.“

      Und dann begann er zu niesen, nahm ein Taschentuch aus der Hose und schnauzte sich. „Typisch für dieses Wetter.“ Seine Stimme war leicht kratzig.

      „Wie kamen Sie auf meine Adresse?“ fragte Paul und nahm ihm gegenüber Platz.

      „Nun, wie Sie wissen, gibt es in Deutschland nur einen Lehrstuhl für paranormale Erscheinungen, und der ist in Freiburg. Professor Bender. Institut für Grenzgebiete der Parapsychologie. Mit denen habe ich gesprochen, und man hat mich auf Ihren Verein verwiesen. Aber mein Besuch bei Ihnen und das Interesse an den Stimmen ist rein privat, wenn Sie verstehen.“

      Natürlich verstand Paul.

      „Und außerdem sind die Tonbandstimmen gelegentlich auch Thema in der Presse gewesen.“

      Klara brachte den Tee, stellte die Tassen auf den kleinen Tisch und goss ein. Der Darjeeling stand goldgelb in der Tasse und duftete herrlich. Der Professor nahm ein paar Stückchen weißen Kandiszucker. Nachdem er seinen ersten Schluck genommen hatte und die Tasse wieder hinstellte, sagte nicht nur seine Mimik, dass der Tee ihm schmeckte. „Köstlich, einfach köstlich. Woher kommt dieser Tee?“

      „ Darjeeling, Nordindien, zirka zweitausend Meter hoch, an den Südhängen des Himalaya Gebirges. Geerntet im Frühjahr dieses Jahres.“

      „Und wie kommen Sie zu diesem Phänomen?“

      Paul musste lachen. „Wie kommt man dazu? Ich sah vor ein paar Jahren die Sendung im Fernsehen. Der Besuch der Deutschen Bundespost in Schweden bei einem Friedrich Jürgenson, der es zufällig entdeckte. Und schon war es passiert. Ich kam nicht mehr davon los. Der Gedanke, dass man durch ein Tonbandgerät Verbindung aufnehmen kann mit verstorbenen Menschen faszinierte mich. Das mag alles unglaublich klingen, aber in der Zwischenzeit und durch meine Experimente bin ich fest davon überzeugt, dass es die Verstorbenen sind!“

      Holänder nickte nur und musste wieder zweimal niesen.

      Klara hatte sich dazugesetzt. Hoffentlich wirft der nicht mit Bazillen um sich, dachte sie.

      „Es ist bekannt, dass englische Wissenschaftler Dr. Raudives Stimmen als Fakten anerkannt haben, als er sie in einem Faradayschen Käfig aufnahm. Der Lette Raudive begann fast zur gleichen Zeit wie der Schwede Jürgenson, dieses Phänomen zu entdecken. Nur über die Interpretationen kann man sich streiten. Wenn ich also die Stimme einer Verwandten höre und sie mir interne Dinge mitteilt, wer könnte es wohl anders sein?“

      Dietrich Holänder nickte wieder.

      „Erzählen Sie mir, wie so etwas in der Praxis vor sich geht,“ bat Holänder.

      „Kommen Sie mit.“ Paul stand auf. Holänder und Klara erhoben sich ebenfalls. Sie gingen über den Flur in Pauls Arbeitszimmer. Er bot dem Gast einen Stuhl an und setzte sich selbst hin. Klara nahm ebenfalls Platz.

      „Im Prinzip ist es ganz simpel. Jeder kann es machen. Ich stelle das Mikrophon auf den Tisch, steuere es sehr hoch aus und schalte das Band ein. Dann begrüße ich die Freunde von drüben und stelle meine Fragen. Ich lass das Band ein paar Minuten laufen, stoppe es dann ab und höre mir an, was drauf ist.“

      Holänder nickte wieder.

      „Ich registriere die Stimmen in mein Buch. Ich trage das Datum, die Uhrzeit und die Bandnummer ein. Manche benutzen das Radio als Energiequelle, sie gehen sozusagen zwischen zwei Sender in ein Weißes Rauschen, bei manchen kommen die Antworten direkt während der Einspielung, man nennt das ein Dialogexperiment. Oder sie gehen auf einen ausländischen Sender, dessen Sprache sie nicht kennen und spüren die Nachricht durch eine Umformung des Wortes auf. Zum Beispiel: sie hören ausländische Nachrichten, und plötzlich wird ein ausländisches Wort von den Jenseitigen in ein deutsches Wort umgeformt.“

      „Ich habe zu Hause eine Schallplatte von Raudives Stimmen, „UNHÖRBARES WIRD HÖRBAR“ ich kenne also schon Stimmeneinspielungen, allerdings nur, wie gesagt, von einer Schallplatte. Jetzt hätte ich die Gelegenheit, es einmal vor Ort zu erleben, “ reagierte der Professor.

      „Und? Was sagen Sie zu den Stimmen,?“

      Es war für den Bruchteil einer Sekunde, als Paul die Mimik