Dietmar Kottisch

Der Totenflüsterer


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mehrere Auslegungen zu. Der eine hört dies, der andere hört das. Vielleicht kommt es auch auf eine gewisse Übung beim Abhören an.“

      „Richtig. Und deshalb interessieren mich diese nicht einwandfreien Stimmen nicht, ich brauche keinen Kauderwelsch. Für mich sind nur Stimmen von Bedeutung, die einwandfrei zu hören und zu verifizieren sind.“

      Sollte jetzt eine Stimme nicht klar und deutlich sein, würde er sie nicht akzeptieren.

      „Und was ist mit den Stimmen, die Sie gut hören und verifizieren können?“

      Aber Holänder schien zu überlegen. Er strich mit gespreizten Fingern durch sein Haar.

      „Seien Sie mir nicht böse, aber auch da hab ich meine Bedenken.“

      „Andererseits, durch einen Faradayschen Käfig dringen keine elektronischen Wellen, er schirmt alles ab. Und trotzdem hat Raudive in diesem Käfig unter der Aufsicht englischer Physiker Stimmen aufgenommen, was keiner leugnen konnte. Aber lassen wir das Problem mit den Radiostimmen, was ist mit denen, die nicht durch das Radio aufgenommen wurden, wenn sie gut hörbar sind?“

      Holänder wandte sich wie ein Aal. Typisch für die Menschen, dachte Paul, die an den Tod als endgültiges Aus gewohnt waren. Und die Antwort bestätigte seine Vermutung. Holänder schlug ein Bein übers andere: „Sehen Sie, es ist so unglaublich schwer, an so etwas zu glauben, oder es nur für wahrscheinlich zu halten.“

      Genau das ist das Problem. Vor allen Dingen, wenn man es nicht selbst erlebt hat, dachte Paul.

      „Ihre Antwort ist normal, Herr Professor. Fast jeder Mensch denkt so. In uns ist ganz tief die Vorstellung verwurzelt, dass der Tod das endgültig Aus ist, dass es danach nichts mehr gibt. Lediglich die Religionen lehren uns ein Weiterleben, sagen uns aber nicht, wie es konkret aussieht. Jürgenson und Raudive haben bis zu ihrem Tod an dieser Wissenschaft gearbeitet, haben Tausende von Stimmen eingespielt, Bücher geschrieben, es sind Schallplatten produziert worden.“

      „Und mit den Stimmen könnten Sie den Beweis erbringen, dass und wie es nach dem Tod weitergeht?“

      Paul nickte. „Und noch mehr sagen uns diese Stimmen. Sie nehmen ihre Lebensvielfalt mit hinüber, teilen uns manchmal ihre Mentalität und sogar ihre Emotionen mit.“

      Holänder schwieg.

      „Sie warten sogar darauf, dass wir uns mit ihnen in Verbindung setzen…..“

      In dem Moment bemerkte Klara, wie Holänder seine Hände aneinander rieb, als friere er.

      „Was wir heutzutage machen, was Jürgenson und Raudive entdeckt haben, ist erst der Anfang. Es wird noch eine ganze Zeit dauern, bis dieses Phänomen keines mehr ist.“

      „Für die exakten Wissenschaften ist dies… nun ja… nicht nachvollziehbar.“

      „Vor hundert Jahren hatte auch keiner geglaubt, dass die Menschen mal zum Mond fliegen, vor über vierhundert Jahren zu Kopernikus` Zeiten hat man die Leute gezwungen zu glauben, die Erde sei der Mittelpunkt des Planetensystems, und erst Freud hat das Unbewusste des Menschen entdeckt und die Psychoanalyse begründet. Warum sollte der Tod des Menschen das absolute Aus sein, wenn man entdeckt, dass er in irgendeiner Form weiterlebt und sich die verstorbene Person selbst zu erkennen gibt?“

      Holänder atmete einmal tief durch. „Können wir jetzt eine Einspielung machen, Herr Klein?“

      „Wir können, Herr Professor.“

      Paul schaltete die Tonbandmaschine ein, nahm sein Buch und einen Kugelschreiber, stellte das Mikrophon ein paar Zentimeter weg. „Wir machen jetzt einen Einspielungsversuch über das Mikrophon. Wenn ich auf die Starttaste drücke, laufen die Bänder und ich beginne mit dem üblichen Gruß. Ich richte meinen Gruß an meine Freunde und an meine Kontaktperson Esther.“

      „Eine Kontaktperson?“ fragte Holänder verwundert.

      „Fast jeder Experimentator bekommt im Laufe der Zeit eine Kontaktperson, diese meldet sich und scheint eine Art Führung zu übernehmen. Meine heißt Esther. Herr Professor, was wollen Sie denn unsere Freunde fragen?“

      Holänder starrte Paul an und schwieg.

      „Sagen Sie etwas,“

      Klara bemerkte, wie der Gast seine Miene veränderte.

      Holänder wirkte sehr nervös. Sie spürte, dass etwas sehr Persönliches dahinter steckte, dass er mit jemandem Kontakt haben wollte, dass er an alles andere dachte, als an seinen exakt-wissenschaftlichen Zweig.

      Dann wanderten seine Augen zu Paul und dann zu Klara.

      Als Paul nickte, holte er tief Atem: „Fragen Sie,…..wie….es… meiner Frau.. geht…..!“

      Also doch, dachte Klara. Es war seine verstorbene Frau, die ihn an das Tonband trieb.

      Paul drückte auf die Aufnahme-Taste, die Spulen drehten sich und er begrüßte die Freunde im Jenseits.

      „Es ist Mittwoch, der zweiundzwanzigste Zehnte neunzehnhundertachtzig, einundzwanzig Uhr dreiunddreißig. Ich begrüße Euch, meine lieben Freunde, ich begrüße Esther,“ sagte er ins Mikrophon.

      Holänder sah, wie die rote Nadel nach rechts ausschlug, Paul wartete ein paar Sekunden. Dann fuhr er fort. „Bei uns ist Dietrich Holänder zu Gast.“ Dann wieder ein paar Sekunden Pause, dann fragte Paul: „Esther, kannst du mir sagen, wie es der Frau von Dietrich Holänder geht?“

      Wie gebannt starrte er auf das Gesicht von Paul. Die Minuten zogen sich wie Gummi. Dann endlich drückte er auf die Stop-Taste, nahm seine Kopfhörer und setzte sie auf. „Jetzt höre ich das Band ab.“ Er spulte es zurück und stoppte es wieder an jener Bandlaufstelle, die er notiert hatte, dann startete er wieder.

      Holänder nahm die Teetasse in die zitternde Hand und wollte einen Schluck trinken, kam aber nicht dazu. Er holte tief Atem, sah zu Klara, die sein Zittern beobachtete, dann stellte er die Tasse wieder ab. Für ihn musste die Ruhe im Raum eine Tortur sein. Die Spulen drehten sich, Paul hörte konzentriert. Klara fiel auf, dass Holänder nicht den Namen seiner Frau gesagt hatte. Plötzlich erhob er sich langsam und zog seine Jacke aus, dann setzte er sich wieder. Grausam, wie sich fünf oder sechs Minuten dehnen konnten, dachte sie und sicherlich auch der Gast.

      Endlich nahm Paul die Kopfhörer herunter, stoppte das Band und spulte es zurück. Er drehte sich zu Holänder. „Ich habe zwei Stimmen auf dem Band, ich spiele sie Ihnen vor, o.k.?“

      Holänder nickte nur, dann beugte er sich zu den Lautsprechern.

      Es war das unerhört laute Rauschen, das zuerst an sein Ohr drang, dann kam eine helle, schnelle Frauenstimme: <Endlich Paul bist du…>

      Paul stoppte das Band ab, schaute Holänder fragend an.

      „Ich höre…endlich…Paul…..“

      Paul spulte zurück, dann wieder vor. <Endlich Paul bist du….>

      <Endlich Paul bist du….>

      „Ja, ich höre es,“ sagte Holänder, …. . „Endlich Paul bist du….““

      „Sie begrüßt mich so, als hätten wir lange Zeit keinen Kontakt mehr. Das war sie, Esther.“

      „Oh mein Gott!“ entfuhr es Klara, „wie zwei Verliebte! ..und konnten zusammen nicht kommen, weil der Bach so tief war .. oder so ähnlich!“

      Paul ignorierte diese Bemerkung. Holänder schien sie gar nicht gehört zu haben.

      „Und jetzt die zweite Stimme.“

      Er drückte auf eine Taste, sie hörten wieder atmosphärische Geräusche, und dann kam diese etwas verzerrte und tiefe Alt-Stimme aus den Lautsprechern: <Ute…im…Katzenloch.>

      Holänder zuckte zusammen. „Noch mal!“ rief er und fuhr mit seinen gespreizten Fingern durch sein Haar.

      <Ute…im…Katzenloch.>

      „Noch einmal