Francine F. Winter

Mehlsack und Champagnerküsse


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Schulden bezahlen, sonst ...“ Er ließ das Ende des Satzes bedeutungsschwer in der Luft hängen.

      „Sonst?“, wiederholte Elisa zaghaft und biss sich auf die Lippen.

      „Wir haben ja das Haus als Sicherheit ...“

      Elisa schnappte nach Luft. „Das Haus! Nein, das geht doch nicht ... das ...“

      Herr Rittl schnitt ihr das Wort ab. „Vielleicht kommen Sie morgen einmal bei mir in der Bank vorbei, dann können wir alles in Ruhe besprechen.“

      Die Sonne stand noch immer recht hoch über dem Horizont, als Elisa die Konditorei zuschloss. Sie hatte ihre Arbeitskleidung gegen ein leichtes Sommerkleid getauscht und die langen blonden Locken durchgebürstet.

      Der Himmel war strahlend blau, die Wiesen und Bäume leuchteten in sattem Grün, aber für Elisa sah es aus, als hätte sich ein grauer Schleier über alles gelegt.

      Sie ging die vertrauten Wege aus dem Ort hinaus, durch den kleinen Wald, am Mühlbach entlang, der lustig plätscherte, aber sie hatte keinen Blick dafür. Die Worte des Bankers gingen ihr nicht aus dem Sinn. Die unausgesprochene Drohung, ihr das Haus wegzunehmen. Das Haus!

      Elisa blieb atemlos stehen und strich sich geistesabwesend durch die Haare. Ihr Elternhaus! Ihre Eltern! Es würde sie umbringen! Und das, wo es Papa sowieso gerade so schlecht ging nach dem Schlaganfall!

      Sie ging weiter, ohne nach links oder rechts zu schauen, lief einfach immer weiter, bis der Weg an der großen Schlucht endete. Da wo ihr Chalet stand. Es war nicht wirklich ihr Chalet, leider nicht. Es gehörte irgendwelchen reichen Leuten, die niemals herkamen, um es zu bewohnen. In der Gemeinde wusste man nicht viel über die Besitzer, was schon zu allerlei Gerüchten geführt hatte.

      Elisa liebte diesen stillen Ort, die Schlucht, die steil unter ihr abfiel und das wunderschöne weiße Haus, das sich an den Berghang schmiegte. Sonnen-Chalet hatten sie und ihr Bruder Steffen es getauft. Früher hatten sie hier oft gespielt und einmal hatte Steffen sie überredet, über die Mauer zu klettern, die das Chalet umgab. Hinten in einer Ecke des parkähnlichen Gartens gab es eine Stelle, wo die Mauer etwas niedriger war und wo es Vorsprünge gab, auf denen kleine Kinderfüße Halt fanden. Sie waren hinübergesprungen, hatten sich neugierig durch den verwilderten Garten getastet, hatten versucht durch die Ritzen der Fensterläden zu spähen und hatten schließlich auf der großzügigen Terrasse gesessen und den Sonnenuntergang bewundert.

      Sie seufzte laut, als sie an diesen aufregenden Tag zurückdachte. Wie lange war das jetzt her! Ach, Steffen! Ihre Augen wurden feucht. Wo bist du nur? Ich könnte jetzt einen großen Bruder gebrauchen, der mir einen Rat gibt und mir hilft!

      „Entschuldigen Sie?“

      Elisa fuhr zusammen, als sie die dunkle Männerstimme direkt hinter sich hörte.

      „Es tut mir leid, ich wollte sie nicht erschrecken.“ Ein fremder Mann stand hinter ihr auf dem Weg und musterte sie aufmerksam.

      Elisa schaute ihn misstrauisch an. Hier am Ende des Schluchtweges begegnete man selten jemandem und schon gar keinen Fremden. Der Mann sah ziemlich verlottert aus. Er war groß und dunkelhaarig, unrasiert und trug zu kurze, ausgebeulte Hosen, eine viel zu weite, schäbige Jacke und uralte Wanderschuhe. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. „Kein Problem“, sagte Elisa mit gespielter Coolness. „Ich habe sie nur nicht kommen hören.“

      Der Mann betrachtete forschend ihr erhitztes Gesicht und die feuchten Augen. „Können Sie mir sagen, wie ich zum Parkhotel komme?“

      „Natürlich. Sie gehen diesen Weg zurück, dann nach links in Richtung auf den kleinen Wald zu und biegen kurz davor rechts in den asphaltierten Weg ein. Ab da ist es ausgeschildert. Sie können es nicht verfehlen.“

      „Danke“, sagte er und blickte Elisa weiter an. Sein Blick war ungewöhnlich intensiv und sie konnte nichts tun, außer zurückzuschauen.

      „Wohnen Sie hier?“, fragte er schließlich und wies auf das Chalet.

      „Leider nicht“, gab Elisa zurück. „Das Haus ist die meiste Zeit unbewohnt.“

      „Schade drum“, meinte der Mann. Er lehnte sich neben sie auf das Geländer, das den Weg von der Schucht trennte. „Die Aussicht ist wirklich phänomenal.“

      „Hm, ja.“ Elisa fühlte sich unwohl, weil er so dicht neben ihr stand, und wich ein wenig von ihm zurück.

      Er richtete sich abrupt wieder auf. „Ich will sie auch nicht weiter stören. Vielen Dank für die Auskunft.“ Er sah sie noch einmal mit diesem intensiven Blick an, der sich in ihr Innerstes zu bohren schien, dann drehte er sich um und ging mit großen Schritten den Weg entlang.

      Elisa schaute ihm hinterher. Was für eine merkwürdige Erscheinung. Was er hier wohl tat? Vielleicht suchte er einen Job in dem Hotel. Im Gegensatz zu seinem verlotterten Äußeren war er recht höflich gewesen. Und seine Hände waren ihr aufgefallen, als er sie auf das Geländer gelegt hatte. Die Finger waren lang, gepflegt und kräftig gewesen. Hände, von denen man sich gerne anfassen ließe ...

      Sie zuckte ertappt zusammen, als der Mann sich plötzlich umdrehte. Er winkte ihr noch einmal zu und schien zu lächeln. Elisa winkte zurück und drehte sich dann entschlossen zur Schlucht um. Sie hatte jetzt wirklich andere Sorgen!

      „Da bist du ja!“ Eine rundliche Frau mit einem grauen Kurzhaarschnitt öffnete Elisa die Tür. „Ich habe schon auf dich gewartet. Hast du etwa jetzt erst Feierabend gemacht?“

      „Nein, Mama, ich war noch spazieren.“ Elisa drückte ihrer Mutter ein Kuchenpakt in die Hand, das sie noch schnell aus der Konditorei geholt hatte. Das Haus der Eltern grenzte an die Rückseite der Konditorei, die eigentlich ein Anbau am Burger-Haus war. Elisas Großvater hatte das alles mit seinen eigenen Händen gebaut. Sie durfte gar nicht daran denken, dass der Familienbesitz nun möglicherweise in Gefahr war.

      „Ist was passiert, Kind? Du guckst so ernst?“, fragte Frau Burger mit mütterlichem Instinkt, während sie in die Küche gingen.

      „Nein, nein.“ Elisa zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist alles in Ordnung, Mama. Ich bin nur müde.“

      „Na dann, ich habe Tomaten mit Mozzarella für dich, die isst du doch so gern, und danach gibt es eine Gemüsepfanne mit Fisch.“ Frau Burger schielte durch die seitliche Öffnung in das Kuchenpaket. „Hm, Zitronentörtchen! Wenn die nur nicht so viele Kalorien hätten!“

      „Ach Mama, Hauptsache, sie schmecken gut.“ Elisa ließ sich müde auf einen Stuhl fallen.

      „Du hast gut reden, du kannst es dir ja leisten“, meinte Frau Burger.

      „Ich weiß nicht“, murmelte Elisa. „Ich wäre lieber etwas schlanker.“

      „Ach was. Eine dünne Konditorin, das passt doch nicht zusammen. Du bist wunderbar so, wie du bist.“ Frau Burger lud Geschirr auf ein Tablett. „Nimm das schon mal mit in den Garten. Ich bringe gleich das Essen.“

      Elisa trug das Tablett nach draußen auf die Terrasse und stellte es auf dem Tisch ab, der unter dem roten Sonnenschirm stand. Sie verteilte das Geschirr und setzte sich auf die alte, blau gestrichene Holzbank, die sie so liebte.

      Der Garten war eine Pracht. In den Beeten blühten Rosen, Hortensien, Schwertlilien und weitere unzählige Blumensorten um die Wette. Das war Mamas Werk. Der Garten war ihr ein und alles. Wenn sie den verlieren sollte ... Elisa wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.

      „So, hier kommt das Essen!“ Frau Burger stellte die Platte mit Tomaten und Mozzarella auf den Tisch. „Kindchen, du siehst so blass aus. Du wirst doch nicht krank?“

      „Nein, Mama. Es ist alles in Ordnung.“ Elisa füllte sich schnell etwas zu Essen auf. „Wie geht es Papa? Warst du heute bei ihm?“

      Frau Burgers Gesicht verdunkelte sich. „Ja, ich war da, wie immer. Es ist alles unverändert. Man kann eben nur hoffen.“

      „Aber der Arzt hat doch letzte Woche gesagt, dass er wahrscheinlich