Francine F. Winter

Mehlsack und Champagnerküsse


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vergessen. Schließlich war seine Firma pleite gegangen und er für einige Jahre in einer Depression versunken.

      Für seinen Vater war das Scheitern des jüngeren Sohnes ein großer Schlag gewesen. So etwas würde Moritz bestimmt nicht passieren. Er wollte seinen Vater nie wieder so enttäuscht sehen. Und er, Moritz, würde sich bestimmt nicht wegen einer Frau ins Unglück stürzen.

      Frauen waren interessant und reizvoll, sicher. Aber man musste für eine Affäre ja nicht gleich Haus und Hof verwetten. Man konnte das Zusammensein genießen und sich dann wieder um die wichtigen Dinge des Lebens kümmern. Da Moritz erfolgreich war und blendend aussah, kamen die Frauen meistens von allein zu ihm. Er musste sich nur eine aussuchen und schon bekam er Sex. Nicht, dass es ihm viel bedeutete, aber so lief das eben.

      Manchmal in stillen Stunden, sehnte er sich nach etwas, dass er nicht genau benennen konnte. Es musste doch noch etwas anderes geben, als Geschäfts-Meetings, Essen in teuren Restaurants und heiße Nächte in Hotelbetten, etwas Tiefergehendes, Ruhigeres, - aber Moritz hatte selten stille Stunden, dafür hatte er einfach zu viel zu tun.

      Er setzte sich an den Schreibtisch, klappte den Laptop auf und checkte die Mails. Siebenunddreißig ungelesene Nachrichten im Posteingang. Dann mal los.

      Sein Handy klingelte. Das Display zeigte die Nummer seiner Assistentin.

      „Gibt es Probleme?“

      „Ja, die Stoff-Fabrik in Shanghai wollte uns heute die genauen Preise durchgeben, aber sie melden sich nicht und wir können dort niemanden erreichen!“

      Moritz seufzte. „Wir brauchen diese Information aber dringend. Hast du es auf dem Handy von Mr. Jühan probiert?“

      „Ich habe die Nummer nicht, deshalb rufe ich dich an.“

      „Okay, warte, das haben wir gleich.“ Moritz checkte kurz sein eigenes Handy und gab dann die Nummer durch. „Bestell ihm schöne Grüße von mir. Läuft sonst alles?“

      „Ja, alles bestens und ich mache gleich Feierabend. Falls du mich heute nicht mehr brauchst ...“

      „Ja, mach Schluss, ich wünsch dir einen schönen Abend.“ Moritz legte auf.

      Zwei Stunden später klappte er den Laptop zu, lehnte sich im Stuhl zurück und gähnte. Sein Magen knurrte laut. Es war kurz vor zweiundzwanzig Uhr und er hatte seit Ewigkeiten nichts gegessen.

      Die Speisekarte vom Zimmerservice lag auf dem Schreibtisch. Moritz blätterte lustlos darin herum. Immer dieses Hotel-Essen. Er hob den Telefonhörer ab.

      „Gardener, guten Abend. Ich hätte gern ein keines Steak mit viel Gemüse und eine große Flasche Mineralwasser ... nein, das ist alles, danke ... ach, Moment! Ich brauche für morgen Nachmittag eine große Geburtstagstorte, aber keine 0815-Sahneschnitte. Lassen Sie sich etwas Besonderes einfallen!“

      Elisa drehte die Gasflamme kleiner und wartete, bis die Gelatine sich aufgelöst hatte. Dann nahm sie den Topf vom Feuer und ging hinüber zum Arbeitstisch, wo eine Schüssel mit Joghurt-Sahne-Creme bereitstand. Während sie die Masse kräftig durchrührte, schaute sie aus dem Fenster. Die Sonne schien. Als sie früh um halb sieben zur Backstube herüber geradelt war, hatten dicke graue Wolken den Himmel verhangen und es hatte genieselt. Seitdem war sie ganz auf ihre Arbeit konzentriert gewesen. Sie musste sich ranhalten, wenn die Kunden nicht vor leeren Kuchenplatten stehen sollten.

      Jemand klopfte an die hintere Tür. Das musste Reni, ihre Verkäuferin, sein.

      „Guten Morgen.“

      „Grüß Gott, Elisa. Sag mal, hast du schon gehört, was die Tochter vom Metzgermeister wieder angestellt hat? Die hat doch tatsächlich gestern ..." Reni plapperte weiter, während sie ihre Jacke auszog und eine weiße Schürze umband.

      Elisa strich die Sahnecreme auf einen Biskuitboden und hörte nur mit halbem Ohr zu. Reni erzählte immer ziemlich viel, besonders was die Leute aus dem Ort so gemacht oder nicht gemacht hatten. Elisa fand das meistens nicht so interessant, aber die Kunden mochten es, wenn sie bei Reni den neuesten Klatsch und Tratsch erfuhren, also war es ganz gut fürs Geschäft.

      Schließlich unterbrach sie den unaufhörlichen Redefluss: „Es ist acht Uhr, Reni, du kannst jetzt aufschließen.“

      Während Reni vorne im Laden die Kunden bediente, war Elisa hinten in der Backstube damit beschäftigt, für Nachschub zu sorgen. Immerhin kamen Leute und kauften ihre Kuchen und Torten, aber die Einnahmen reichten trotzdem nie aus. Elisa wusste, dass sie endlich die Preise erhöhen musste. Die Waren, die sie einkaufte, wurden schließlich auch stetig teurer, aber sie scheute davor zurück und befürchtete, dass die Kunden dann womöglich wegblieben.

      Eine kluge Geschäftsfrau wäre vielleicht in die Nachbarorte gefahren und hätte geschaut, wie andere Konditoreien es mit den Preisen hielten, aber dafür fehlte ihr die Zeit. Das sagte sie sich jedenfalls. In Wirklichkeit hatte Elisa einfach keine Lust, sich mit den vielen Zahlen und Berechnungen zu befassen. Sie wollte backen, etwas Schönes kreieren. Das war ihr Beruf, schließlich war sie eine Künstlerin. Jedenfalls hatte sie mal eine werden wollen. Nach der Konditor-Lehre hatte sie angefangen zu studieren, aber kurz vor dem Abschluss war es immer deutlicher geworden, dass ihre Eltern mit dem Betrieb überfordert waren und so hatte Elisa schließlich schweren Herzens ihr Kunststudium an den Nagel gehängt, um das Lebenswerk ihrer Eltern weiterzuführen.

      Es war ja immerhin ein kreativer Beruf. Das sagte sie sich jedes Mal, wenn sie zu frustriert war. Sie liebte es, mit den süßen Cremes zu hantieren und schöne Dekorationen zu entwerfen, aber der geschäftliche Teil war einfach nicht ihr Ding. Und die langen schweren Arbeitsstunden und das Angebundensein an den immer gleichen Ort eigentlich auch nicht.

      Das Telefon klingelte. Elisa seufzte und stellte die Rührschüssel ab.

      „Konditorei Burger, guten Tag.“

      „Das Parkhotel, guten Morgen, Frau Burger!“

      „Guten Morgen!“, sagte Elisa erleichtert. Wenigstens war es nicht die Bank! Aber da musste sie nachher sowieso persönlich hingehen.

      „Wir brauchen mal wieder ihre Hilfe, Frau Burger. Unser Konditor ist krank, wir sind bis auf das letzte Zimmer ausgebucht und kommen mit der Arbeit kaum hinterher. Können Sie uns bis heute Nachmittag eine schöne Geburtstagstorte liefern? Für einen besonders anspruchsvollen Gast, internationales Management und so, Sie wissen schon.“

      Nein, eigentlich wusste Elisa darüber gar nichts. Es klang nach großer, weiter Welt, das war ganz interessant, aber Industrie-Konzerne, Wirtschaft und Finanzen, das interessierte sie alles herzlich wenig. „Ja, natürlich“, sagte sie trotzdem in die Leitung. „Hat Ihr Gast irgendwelche besonderen Wünsche geäußert?“

      „Er möchte keine 0815-Sahneschnitte, hat er gesagt, sonst nichts weiter. Sie können also machen, was Sie wollen“, sagte der Küchenchef.

      Machen, was ich will, ist gut, dachte Elisa, nachdem sie das Gespräch beendet hatte und weiter die Joghurt-Sahne-Creme verrührte. Sie brauchte erst einmal eine gute Idee, wie sie die Torte gestalten wollte. Internationales Management – die Leute waren sicher nur das Beste vom Besten gewohnt, und die Zeit war knapp.

      Ach und zur Bank musste sie auch noch gehen. Das konnte sie unmöglich schaffen, wenn die Auftragstorte rechtzeitig fertig werden sollte! Sie strich die fertige Creme auf kleine runde Biskuitböden. Sie würde Herrn Rittl anrufen müssen und absagen. Elisa schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken, den Banker um einen neuen Termin zu bitten. Er würde denken, dass sie sich vor dem Gespräch mit ihm drücken wollte.

      Sie stellte die Platte mit den fertigen Joghurt-Sahne-Törtchen in die Kühlung und säuberte den Arbeitstisch. Ach was, die Bestellung ging eindeutig vor, das musste Herr Rittl doch verstehen, schließlich bekam sie gutes Geld dafür. Das Parkhotel zahlte immer gut.

      Ob sie nachher im Hotel den fremden Mann vom Schluchtweg wieder sehen würde? Es konnte gut sein, dass er dort arbeitete, vielleicht als Küchenhelfer oder so. Elisa holte einen dicken Rezeptordner vom Regal und blätterte darin herum. Aber statt der Torten sah sie wieder die