Francine F. Winter

Mehlsack und Champagnerküsse


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Sicher ist bei so einem Schlaganfall gar nichts.“ Frau Burger setzte sich schwerfällig hin. „Es ist furchtbar, ihn so hilflos zu sehen.“ Die Tränen traten ihr in die Augen.

      Elisa legte das Besteck beiseite und streichelte ihrer Mutter die Hand. „Ach Mama, das wird schon wieder. Wir müssen halt ganz fest daran glauben. Und du musst dir auch mal ein wenig Ruhe gönnen. Jeden Tag diese lange Fahrt in die Klinik. Mach doch zwischendurch mal einen Tag Pause. Ich kann ja auch mal wieder hinfahren.“

      „Ach, du hast doch selbst genug zu tun mit deinen Torten. Nein, nein, es geht schon. Papa braucht mich jetzt. Ich kann ja froh sein, dass er noch lebt!“ Frau Burger zog ein Taschentuch aus ihrer Jackentasche und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. Dann steckte sie das Taschentuch weg und atmete tief durch. „So, jetzt lass uns essen und den schönen Abend genießen!“

      Während sie aßen, betrachtete Elisa ihre Mutter unauffällig. Sie sieht wirklich erschöpft aus, dachte sie. Sie hat in den letzten Wochen so viel durchgemacht. Und Papa erst. Ich kann ihnen unmöglich noch mehr Sorgen machen!

      Sie zwang sich, ein fröhliches Gesicht zu machen. „Mhm, das Essen ist total lecker, Mama. Bei dir schmeckt es am besten!“

      Als Elisa später in ihrer kleinen Wohnung im Bett lag, wirbelten ihre Gedanken durcheinander und hinderten sie daran einzuschlafen.

      Sie musste irgendwie das Geld beschaffen. Aber wie denn nur? Sie arbeitete von früh bis spät in der Backstube, was konnte sie sonst noch tun? Die Konditorei lief ja nicht schlecht. Sie hatte zufriedene Stammkunden und auch die Touristen kamen gerne vorbei, um sich etwas Süßes zu gönnen. Aber die Einnahmen reichten immer nur so gerade eben. Sobald irgendeine Extra-Ausgabe anstand, rutschte ihr Konto sofort ins Minus.

      Was würde passieren, wenn sie es nicht schaffte und sie das Haus verloren? Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch. Sie würden alle auf der Straße enden!

      Plötzlich fiel ihr der fremde Mann vom Schluchtweg wieder ein. Warum musste sie jetzt ausgerechnet an den denken? Weil seine Kleidung so schäbig gewesen war und er ausgesehen hatte, als hätte er schon bessere Zeiten erlebt? Es passierte doch immer wieder, dass Menschen sich finanziell ruinierten und dann vor dem Nichts standen!

      Es war aber noch etwas anderes gewesen. Der Mann hatte sie irgendwie fasziniert. Er hatte eine starke körperliche Präsenz gehabt, die ihr fast Angst gemacht hatte. Aber auch sehr anziehend war. Allerdings hatte sie jetzt wirklich keine Zeit, darüber nachzudenken. Es ging um ihre Existenz und die ihrer Eltern.

      Nicht auszudenken, wenn Papa davon erführe, dass sein Lebenswerk vor dem Ruin stehen würde und dann noch das Haus! In seinem Zustand! Es würde ihn umbringen!

      2. Kapitel

      Moritz Gardener ging mit großen Schritten die Auffahrt des Parkhotels hinauf. Er hatte genug Zeit mit Spazierengehen vertrödelt. Die Landschaft und die Begegnung mit der blonden Eingeborenen waren ganz hübsch gewesen, aber es gab heute noch viel zu tun!

      Als er die Hotelhalle betrat, schauten sich einige Gäste erstaunt nach ihm um. So schäbig gekleidete Menschen gingen hier normalerweise nicht ein und aus.

      Der Rezeptionist kam eilig hinter seinem Tresen hervor. „Herr Gardener, Ihr Gepäck wurde gefunden und vom Flughafen hergebracht. Es ist schon oben.“

      „Das ist eine gute Nachricht!“ Moritz Gardener schmunzelte amüsiert, als ein älteres Ehepaar an ihm vorbei ging und ihn pikiert von oben bis unten musterte. „Dann muss ich nicht länger als Gästeschreck herumlaufen.“

      „Es tut mir so leid ...“, beeilte sich der Rezeptionist zu sagen, „dass wir auf die Schnelle nichts anderes für sie gefunden haben und Sie solche Unannehmlichkeiten hatten.“

      „Ach was, kein Problem“, wischte Moritz die Entschuldigung weg. „Ich hatte Ihnen ja gewissermaßen die Pistole auf die Brust gesetzt mit meinem spontanen Entschluss. Es ist eine lustige Verkleidung, aber jetzt möchte ich mich doch lieber umziehen.“

      „Selbstverständlich, Herr Gardener. Der Fahrstuhl kommt sofort.“ Der Rezeptionist machte dem Pagen, der neben dem Fahrstuhl stand, ein Zeichen, damit er auf den Knopf drückte.

      Oben in der Herzogen-Suite fand Moritz das Gepäck vor und ein Zimmermädchen, das gerade seine Anzüge in den Schrank hängte. Als sie ihn hereinkommen sah, weiteten sich ihre Augen vor Schreck.

      „Danke, ich mache jetzt selbst weiter.“ Moritz drückte der jungen Frau einen Zehn-Euro-Schein in die Hand.

      Nachdem sie gegangen war, suchte Moritz seinen Waschbeutel heraus. Er war seit dreißig Stunden auf den Beinen und brauchte dringend eine Dusche. Allein der Flug von Shanghai hatte zwölf Stunden gedauert. Er gähnte und wischte sich müde über die Augen.

      Als er im Flur an dem großen Spiegel vorbeikam, erschrak er vor sich selbst und musste dann lachen. So bekam die Welt den international erfolgreichen Unternehmensberater Moritz Gardener selten zu sehen. In den alten Sachen, die ihm die Hotelangestellten hektisch zusammengesucht hatten, weil er nicht in Maßanzug und handgenähten Schuhen über die schlammigen Wege wandern wollte, sah er tatsächlich aus wie ein Landstreicher.

      Kein Wunder, dass die junge, hübsche Frau an der Schlucht so misstrauisch gewesen war. Normalerweise hatte er eine andere Wirkung auf Frauen. Das war mal eine ganz neue Erfahrung gewesen. Nicht, dass ihm Frauen so wichtig waren; die Arbeit ging eindeutig vor.

      Das Telefon klingelte.

      „Ja, bitte?“

      „Herr Gardener, hier ist die Hotelrezeption. Wir haben leider vergessen, Ihnen eine Nachricht weiterzuleiten: Dr. Sietz wird nicht wie vereinbart heute Abend eintreffen, sondern erst morgen Vormittag.“

      „Ah ja? Und weiß man auch warum?“

      „Diese Information habe ich leider nicht bekommen.“

      „Na ja, macht nichts. Ich habe auch so noch genug zu tun.“

      „Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Abend, Herr Gardener.“

      Moritz legte endlich die schäbigen Kleider ab und stellte sich unter die Dusche. Eine Minute lang ließ er das warme Wasser über sein Gesicht rieseln, dann griff er energisch zur Shampooflasche. Es war keine Zeit zum Trödeln. Er war nicht zum Vergnügen hier.

      Zehn Minuten später kam er pfeifend aus dem Badezimmer, ein weißes Handtuch um die Hüften geschwungen. Er checkte kurz sein Aussehen vor dem Spiegel. Seine Figur war okay, da war kein überschüssiges Gramm Fett zu sehen, aber ein bisschen mehr Training könnte nicht schaden. Man hatte bei Geschäften einfach eine andere Ausstrahlung, wenn man gut durchtrainiert war.

      Seine Augen waren rot gerändert. Er sollte wohl ein wenig schlafen, aber erst gab es noch Mails zu lesen und ein paar Kleinigkeiten zu regeln. Dieses Geschäftstreffen in „inspirierender Natur“, wie es auf der Einladung geheißen hatte, war sowieso eine Schnapsidee. Sie hätten sich in München oder Wien treffen können, wo man in der Nähe des Flughafens war, aber nein, Dr. Sietz hatte darauf bestanden, das Meeting in diesem Hotel im tiefsten Bayern abzuhalten, weil die schöne Aussicht und die gute Luft angeblich den Kopf klarer machten.

      Es war reine Zeitverschwendung, aber wenn die Konzernleitung es so wollte, dann traf man sich eben in diesem Kaff. Immerhin ging es um einen der wichtigsten Aufträge in seiner Karriere und die war schon eindrucksvoll genug, - sagten jedenfalls die anderen Leute. Moritz selbst fand es nicht so aufregend. Er hatte das Studium an der Harvard Business School mit Bestnote abgeschlossen und sich dann zielstrebig einen guten Namen in der Beratung großer Konzerne gemacht. Inzwischen leitete er seine eigene Firma mit zwanzig Angestellten. Aber das war doch nichts Besonderes, wenn man wusste, wie es ging und hart dafür arbeitete.

      Dafür, dass er wusste, wie es ging, hatte sein Vater gesorgt. Schon als kleiner Junge hatte Moritz tagein tagaus gehört, dass man etwas leisten musste, wenn man konkurrenzfähig bleiben wollte. Das war ein wichtiges Thema in der Familie und Moritz