Nina Hutzfeldt

Im Schatten der Lady Cumberland


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die freie Stelle bewerben.«

      Die Frau schaute sie über ihre Brille hinweg an. Maria nahm ihren Hut ab und schüttelte ihr Haar.

      »Setzen Sie sich dort drüben hin, zu den anderen Bewerberinnen.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Stühle an der Wand. Alle waren schon besetzt. Deswegen stellte Maria sich neben die anderen Frauen und blickte zu Boden. Die übrigen Bewerberinnen schauten der Putzfrau beim Reinigen des Bodens zu. Maria war sichtlich nervös und knetete ihren Strohhut. Sie konnte die Blicke der anderen auf der Haut spüren. Im Kopf hörte sie fast ihre Gedanken: »Was will die denn hier? Die wird doch nie einen Beruf finden. Solches Pack sollte man einsperren.« Maria fühlte sich unbehaglich, obwohl niemand etwas gesagt hatte. Die Blicke hatten ausgereicht. Marias größter Schwachpunkt war das Selbstbewusstsein.

      »Bist du auch wegen des Bewerbungsgespräches hier?«, fragte eins der Mädchen. Sie hatte blondes Haar und bleiche Haut. »Verstehst du unsere Sprache nicht?« Sie zog die Augenbrauen hoch und lächelte.

      »Doch«, murmelte Maria. Sie war die einzige in der Familie, die die Sprache der Weißen perfekt beherrschte. »Ich... Ich verstehe eure Sprache.« Eure Sprache? Warum sagte sie so etwas. Es war schließlich auch die Sprache der Ihren. Columbus war schließlich nach Amerika gekommen und hatte sein Volk hier angesiedelt. Marias Volk war schon lange Zeit vor ihnen hier gewesen. Am liebsten hätte sie es laut gesagt. Doch dann kamen die Erinnerungen. Was für ein Leben führte sie?

      »Ich glaube, du bist hier falsch. Gibt es nicht im Reservat eine Stelle für dich? Wer kommt denn schon und gibt Post ab, wenn ein Indianermädchen am Schalter sitzt«, sagte eine andere Bewerberin. Sie fing an zu lachen und die anderen Frauen stimmten mit ein. Maria hielt es nicht mehr aus und lief schnell zur Tür. Dabei hatte sie die Frau, die den Boden säuberte, völlig vergessen. Kurz bevor sie die Tür erreichte, rutschte sie aus, fiel hin und lag wie ein Käfer auf dem Rücken. Das schallende Gelächter übertönte die Türglocke. Maria kämpfte mit den Tränen. Sie tastete nach ihrem Hut.

      »Darf ich behilflich sein?«, fragte eine fremde Stimme. Maria wurde eine Hand gereicht, die sie dankend annahm. »Komm.« Der Fremde, der sich als Anthony entpuppte, hielt Maria die Tür auf und trat mit ihr auf die Straße. Die wenigen Menschen, die sich bei diesem Wetter nach draußen gewagt hatten, hielten ihre Trinkflaschen fest am Körper.

      »Mach dir nichts draus. Die doofen Hühner sind doch nur neidisch, dass du so wunderschöne Haut und ein nettes Lächeln hast.« Er legte seine Hand unter ihr Kinn, um ihr in die Augen sehen zu können. Maria spürte, wie ihr das Blut in die Wangen lief. Sie wollte sich abwenden, doch Anthony ließ sie nicht los.

      »Ja, vielleicht«, sagte sie zögerlich.

      »Du wirst schon einen richtigen Beruf finden. Ich weiß es.«

      »Ja, vielleicht.«

      »Kannst du auch etwas anderes sagen?« Anthony lächelte und kratzte sich am Hinterkopf.

      »Eigentlich schon.«

      »Schon besser. Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag. Ich fahre gleich ins Reservat. Dort soll ich ein paar Geschenke abgeben. Irgendjemand hat wohl Geld bekommen und kann euch gut leiden.«

      Maria schluckte. Gut leiden? Das hörte sich an, als wäre ihr Volk ein Virus. »Jemand kann uns gut leiden?«

      »Nein, so meinte ich es nicht. Es gibt jemanden, der euch gerne hat und euch etwas Gutes tun möchte. Er hat etwas Geld für neue Schuluniformen, Schuhe und Röcke investiert.«

      »Wie nett von ihm.«

      »Ja, das ist es wirklich. So, nun müssen wir uns auf den Weg machen. Mein Vater hat mir das Auto nur für den Nachmittag gegeben.« Er klatschte in die Hände und ging zu einem dunkelgrünen Pickup. Maria blickte sich um, setzte ihren Hut auf und folgte Anthony ohne zu zögern. Die Ladefläche war voller Kisten. Als Maria sich setzte, ließ Anthony den Motor an. Das Auto fuhr langsam die Straße hinauf zum Reservat.

      »Wie heißt du eigentlich? Ich habe dich schon ein paar Mal im Dorf gesehen, aber mich nie getraut dich anzusprechen.« Er berührte kurz ihren Arm. Seine Hand war kühl.

      »Ich heiße Maria.«

      »Nein. Ich meine den Namen der Lakota. Wie wirst du dort genannt?« Anthony blickte kurz zu ihr hinüber.

      »Ich heiße Ehawee. Das bedeutet lachendes Mädchen«, fügte Maria hinzu, als Anthony die Stirn runzelte. Als sie an eine Weggabelung kamen, bog Anthony links ab, obwohl es zum Reservat geradeaus gegangen wäre.

      »Wo fährst du hin? Ins Reservat geht es doch dort.« Maria zeigte in Richtung des Reservates.

      »Nur ein kleiner Umweg zu einem Freund. Ich muss ihm noch etwas bringen. Ich habe eine Wette verloren und schulde ihm etwas.« Der Pickup fuhr weiter.

      »Okay.« Maria wollte noch fragen was, er ihm schuldete, aber sie traute sich nicht und blieb ruhig sitzen.

      Eine ganze halbe Stunde später hielt Anthony den Wagen auf einem Hof an. »Wir sind da. Komm.« Er stieg aus und wartete bis Maria ebenfalls ausgestiegen war. Sie fuhr sich über die Stirn. »Wo ist denn dein Freund?«

      »In der Scheune. Nun komm schon. Er ist wirklich sehr nett.« Anthony öffnete das Scheunentor und schob Maria hinein.

      »Ich weiß nicht. Ich glaube, ich warte lieber draußen.«

      »Nun komm schon. Hab dich nicht so.« Anthony blickte sich kurz um, bevor er die Tür von innen ins Schloss und den Schlüssel in die Hosentasche gleiten ließ.

      Kapitel 1

       Flensburg, April 2012

      Die kühle Morgenluft kroch durch die Ritzen der Fenster und ließ Lara noch vor dem Weckerklingeln aufwachen. Sie zog sich die Bettdecke dicht um ihren Körper. Eigentlich wollte ihr Vermieter sich längst um die Renovierung des Hauses gekümmert haben, aber aus irgendeinem Grund schob er sie immer wieder auf. Lara hatte dafür kein Verständnis, schließlich wollte er die Miete ja auch immer pünktlich auf dem Konto haben. Am liebsten würde sie heute im Bett bleiben oder sich auf die Couch lümmeln und fernsehen. Doch die Arbeit rief, und ihre Chefin würde es nicht gutheißen, wenn sie zu spät käme – und die Kunden schon gar nicht. Deswegen schlug Lara kurzerhand die Decke weg, schlüpfte in ihre Hausschuhe, die sie im Ein-Euro-Shop günstig geschossen hatte, und trottete vom Schlafzimmer hinüber ins Bad. Das Badezimmer war so klein, dass sie über die Toilette steigen musste, um in die Dusche zu gelangen. Total blöde Konstruktion. Doch etwas Besseres konnte sie sich im Moment einfach nicht leisten. Das Gehalt einer gerade ausgelernten Friseurin ist nicht üppig genug, um in eine Stadtwohnung mit Blick auf die Förde ziehen zu können.

      Lara knotete ihr langes Haar auf dem Kopf zusammen und ließ die Duschbrause über ihren Körper gleiten. Das Wasser war morgens auch ungenießbar, denn von den Bewohnern aller zwölf Mietparteien war Lara die einzige, die so früh aufstand und duschte, und das Wasser brauchte ewig, um warm zu werden. Innerlich sah Lara die Euros nur so von ihrem Konto fliegen. »Oh mein Gott, wann tut der Bastard endlich was?«, fluchte sie und rubbelte sich nach der Dusche mit dem viel zu harten Handtuch über den Rücken. Aus dem Spiegel im Bad blickten sie zwei müde Augen an. »Guten Morgen, Lara. Wie geht es dir?« Sie kniff sich in die Wangen. In manchen Nächten war die Kälte so beißend, dass Lara kaum Schlaf fand. Der doofe Vermieter musste doch endlich mal etwas unternehmen. Die Idee einer Unterschriftensammlung für die Renovierung ging ihr im Kopf herum. Doch etwas hielt sie davon ab, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Was wäre, wenn sie ihren Vermieter wütend machte und er ihr vielleicht mit Kündigung drohte? Das könnte sie sicher nicht gebrauchen. Sie würde auf der Straße sitzen. Ihre nächste Adresse wäre dann wohl: »Unter der Brücke 3«.

      Als sie sich ihr Top über den Kopf zog, wäre es beinahe an der Kette hängengeblieben. Es war die Kette, die Marcel ihr zu ihrem zweijährigen Jahrestag geschenkt hatte. Es war damals Liebe auf den ersten Blick gewesen. Lara hatte mit ihrer Arbeitskollegin Christin und deren großer Schwester Janet in der Brauerei am Wasser gesessen und ein Feierabendbier getrunken,